Interview

"Wir sind die Melkkühe der Nation"

Bauhilfsgewerbe
15.02.2022

Martin Greiner, neuer Bundesinnungsmeister Bauhilfsgewerbe, über Fachkräftemangel, Schwachstellen bei BIM und Schwarzarbeit.

Martin Greiner ist seit November 2021 Bundesinnungsmeister des Bauhilfsgewerbes. 
"Die Ökologisierung der Nova ist für uns KMUs eine sehr große finanzielle Belastung – vor allem weil es einfach keine 'grüne' Alternative gibt." Martin Greiner, Bundesinnungsmeister Bauhilfsgewerbe  

Wenn man mit Martin Greiner spricht, spürt man direkt, wie sein Herz für die Unternehmen im Bauhilfsgewerbe brennt. Und genau das war auch seine Motivation, im November vergangenen Jahres die Funktion des Bundes­innungsmeisters Bauhilfsgewerbe von seiner Vorgängerin Irene Wedl-Kogler zu übernehmen. Welche Änderungen er sich für das Schulsystem wünscht, warum die KMUs die Melkkuh der Nation sind und was er von Digitalisierung hält, erzählt er im Interview mit der Bauzeitung.

Der Bau an sich ist in den vergangenen zwei Jahren relativ gut durch die Krise gekommen. Die Materialengpässe und Preisexplosionen waren jedoch 2021 ein großer Stolperstein für Unternehmen. Wie ist es dem Bauhilfsgewerbe ergangen?

Martin Greiner: Der Rucksack, den wir alle durch Corona zu tragen haben, ist vollgepackt, aber die Stimmung bei den Unternehmen ist trotz aller Heraus­forderungen gut, und wir sind voll ausgelastet. Von den Materialengpässen und Preissteigerungen war das Bauhilfsgewerbe mit seinen 18 Berufsgruppen sehr unterschiedlich betroffen. Für manche war es durchaus existenzbedrohend, von heute auf morgen kein Material mehr zu bekommen, andere wiederum hatten kaum Probleme. 

Inzwischen scheint sich die Situation wieder etwas entspannt zu haben. Mit welchen Erwartungen sind Sie ins neue Jahr gestartet?

Greiner: 2022 wird sicher noch eine Challenge. Das Bauhilfsgewerbe ist eines der letzten Glieder auf der Baustelle. Das bedeutet, viele der Herausforderungen von 2021 kommen jetzt erst auf uns zu. Aber ich denke, mit ein wenig vorausschauender Planung sollte auch das machbar sein. Ein viel größeres Problem sehe ich in dem seit Jahren gepredigten Fachkräftemangel, der nun voll durchschlägt. Das Personalwachstum ist schon lange nicht mehr mit dem Marktwachstum im Gleichschritt. Die Corona-Pandemie hat dies zusätzlich verschärft. Und auch wenn die absoluten Lehrlingszahlen gleich bleiben, bräuchten wir viel mehr. 

Von wie viel mehr sprechen wir hier?

Greiner:: In vielen Bereichen könnten wir das ­Doppelte an Lehrlingen brauchen. Es gibt Branchen, in denen haben wir österreichweit pro Jahrgang nur zwölf Schüler.

Gäbe es überhaupt genug Unternehmen, die ausbilden würden?

Greiner: Jein – das ist auch ein Thema, an dem ich dran bin. Die Ausbildung muss nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Unternehmen attraktiv sein. Gerade für KMUs sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen problematisch. Jugendliche dürfen mit 16 wählen, den Führerschein machen, dürfen Alkohol trinken und Fallschirm springen, aber in der Arbeit dürfen sie – überspitzt gesagt – keinen Schrauben­zieher angreifen. Vielen Unternehmen ist das zu heikel, und sie verzichten darauf auszubilden. Die gesetz­lichen Rahmenbedingungen müssten dringend der gelebten Realität angepasst werden, damit es in diesem Punkt endlich wieder Rechtssicherheit gibt.

Welche Maßnahmen werden vonseiten der Inter­essenvertretung gesetzt, um die Lehre attraktiver zu machen?

Greiner: Es gibt sehr viele Anstöße vonseiten der Landesinnungen, und ich versuche in der Bundesinnung die Aktivitäten und auch die finanziellen Kräfte zu bündeln. Wir ­haben zum Beispiel die Website ­"Pro­fis am Werk" geschaffen, ­parallel dazu sind die "Jung­profis" gerade im Aufbau. Eines der Hauptprobleme sehe ich jedoch im derzeitigen Schulsystem. Es wird seit Jahrzehnten von einer Schulreform gesprochen, hier muss endlich Bewegung hinein­kommen. ­Jugendliche sollten mehr Möglichkeiten bekommen, verschiedene Berufe kennenzulernen – und zwar nicht nur für ein paar Tage, sondern über einen viel längeren Zeitraum. Derzeit wird Geld in Bereiche gesteckt, die wir meiner Meinung nach in dieser Form nicht brauchen. Ist es wirklich notwendig, in Österreich diese Anzahl an sündteuren AHS zu betreiben? Wäre es nicht sinnvoller, den Fokus stärker auf die ­Berufsvorbereitung zu legen? Wir sollten das ganze System infrage stellen und offen für Neues sein. 

Aktuell auch ein großes Thema sind die steigenden Energiepreise und die CO2-Bepreisung – welche Auswirkungen hat diese Entwicklung für die Unternehmen?

Greiner: Wir sind keine produzierende Industrie, deshalb treffen uns die explodierenden Energiepreise nicht ganz so hart. Was für uns im Bauhilfsgewerbe aber eine sehr große finanzielle Belastung darstellt, ist die Ökologisierung der Nova. Das Problem ist, dass es für uns einfach keine "grüne" Alternative gibt. Ich kenne keinen Elektrokasten­wagen, der die notwendigen Reichweiten schafft. Wir sind mal wieder die Melkkuh der Nation. Bei einem großen Kastenwagen beträgt die Nova bis zu 12.000 Euro – Geld, das man in die Ausbildung oder in andere Umweltschutzmaßnahmen wie zum Beispiel eine Photo­voltaikanlage stecken könnte. Die Kosten müssen wir nun an die Konsumenten weiterverrechnen. Das Ergebnis ist: Alles wird teurer, und der Umwelt bringt es nichts. 

Wenn wir schon dabei sind: Gibt es noch andere Themenbereiche, bei denen Sie vonseiten der Politik Verbesserungspotenzial sehen?

Greiner: Ein generelles Problem ist, dass gefühlt bei jeder Gesetzesänderung davon ausgegangen wird, man habe einen großen Industriebetrieb mit eigenen Personal­abteilungen, Nachhaltigkeitsabteilungen, einer eigenen IT und einer eigenen Rechtsabteilung. Das Bauhilfsgewerbe besteht aber zu 99,9 Prozent aus KMUs, dort hängt alles am Chef. In den vergangenen Jahren sind die Vorschriften und Aufzeichnungspflichten regelrecht explodiert. Dadurch ist für uns auch die Rechtssicherheit verlorengegangen, zum einen, weil man vieles in der Praxis nicht so umsetzen kann, wie man sollte, und zum anderen, weil man gar nicht alle Vorschriften kennen kann. Ich würde mir wirklich wünschen, man überließe uns – Unternehmern wie auch Mitarbeitern – etwas mehr Freiheit und würde auf die Eigenverantwortung vertrauen. Aktuell spürt man nichts vom berühmten Bürokratieabbau, im Gegenteil: Alles wird zu Tode reguliert. 

Wir sind ein Handwerk und kein Digi-Werk. Und wir sollten sehr genau darauf achten, dass wir uns vor lauter Digitalisierungswut nicht noch mehr Bürokratie erschaffen.

Martin Greiner, Bundesinnungsmeister Bauhilfsgewerbe

Seit Jahren wird vom Wandel der Baubranche durch Digitalisierung gesprochen – allerdings dominieren Planer und Bauindustrie das Thema. Wo ­sehen Sie in dem Prozess das Bauhilfs­gewerbe?

Greiner: Dazu muss ich zwei Dinge sagen: Ich bin kein Gegner der Digitalisierung, aber wir sind noch immer ein Handwerk und kein Digi-Werk. Und wenn ich BIM nur höre, steigt mein Puls schon an, denn das machen meistens Leute, die von der Baupraxis keine Ahnung haben. Ich war auch schon an BIM-Projekten beteiligt, und am PC funktioniert es in der ­Theorie auch großartig. Aber dann merkt man sehr schnell, dass diejenigen hinter dem Computer doch nur die Theorie beherrschen und zu wenig Bezug zur tatsächlichen Praxis haben. Diese Tatsache erschwert dem Handwerker vor Ort oft die richtige Umsetzung. Für mich ist die Digitalisierung nur ein kleines Mosaikstück vom gesamten Konzert. Unsere Unternehmen sind innovativ, und dort, wo es unsere Arbeit erleichtert, digitalisieren wir sowieso. Aber wir sollten sehr genau darauf achten, dass wir uns vor lauter Digitalisierungswut nicht noch zusätzliche Bürokratie erschaffen. 

Aber gibt es nicht vonseiten der Auftraggeber ­einen gewissen Druck in diese Richtung?

Greiner: Das ist aktuell noch sehr unterschiedlich. Ich bin ein starker Befürworter, etwas langsam, aber dafür vernünftig wachsen zu lassen. Unsere Unternehmen wachsen in die Themen rein – manche ­schneller, manche langsamer. Aber derzeit steckt so vieles noch in den Kinderschuhen, da bleibt kein Unternehmen auf der Strecke, wenn es das in seinem eigenen Tempo macht. 

In der Öffentlichkeit ist das Thema Schwarz­arbeit am Bau ein wenig in den Hintergrund geraten. Dabei hat diese 2020 deutlich zugelegt. Wo sehen Sie hier Handlungsbedarf?

Greiner: Die Schattenwirtschaft am Bau ist ein großes Problem, mit dem die gesamte Baubranche und damit auch das Bauhilfsgewerbe zu kämpfen hat. Es kommen noch immer die berühmten "weißen" Busse am Wochenende auf die Baustelle, und nach wie vor werden Aufträge im großen Stil weiter- und weiter- und weitergegeben, bis keiner mehr weiß, wer die ­Arbeit überhaupt macht. Meiner Meinung nach müsste die Finanz­polizei deutlich aufgestockt werden, damit viel stärker kontrolliert werden kann – auch bzw. vor allem am Wochenende. Unter der aktuellen Situation leidet die gesamte Baubranche. Der Preis darf nicht alles sein – hier muss ein Umdenken stattfinden. Es wäre wünschenswert, wenn regionale Vergaben wieder stärker in den Vordergrund rücken würden. Davon würde nicht nur die heimische Wirtschaft, sondern auch die Umwelt profitieren. 

Martin Greiner

Der gelernte Werkzeugmacher ist Geschäftsführer von Gfrerer Isolierwerk und seit 2018 Landes­innungsmeister des Bauhilfsgewerbes in Oberösterreich. Im November 2021 übernahm er zusätzlich die Funktion des Bundes­innungsmeisters Bauhilfsgewerbe.