Interview

Wir müssen miteinander reden

Nachhaltiges Bauen
07.06.2023

Für nachhaltiges Planen und Bauen sollten alle am Bau beteiligten Expert*innen den Weg gemeinsam gehen, ist Caroline Palfy überzeugt.
Caroline Palfy ist Ingenieurin, ­Baumeisterin und mehr als nur engagiert in Sachen nachhaltiges Bauen. Als Partnerin der Kerbler Holding war sie verantwortlich für die ­Planung des HoHo Wien. Seit 2021 ist Palfy Geschäfts­führerin bei ­Handler.
Caroline Palfy ist Ingenieurin, ­Baumeisterin und mehr als nur engagiert in Sachen nachhaltiges Bauen. Als Partnerin der Kerbler Holding war sie verantwortlich für die ­Planung des HoHo Wien. Seit 2021 ist Palfy Geschäfts­führerin bei ­Handler.

Wenn es um nachhaltiges Bauen geht, gibt es für Caroline Palfy nur einen Weg: Alle gängigen Paradigmen hinterfragen, sich stetig weiterzuentwickeln und den Weg gemeinsam gehen. Dabei wird digitale Planung unumgänglich sein, ist die Geschäfts­führerin von Handler überzeugt. Doch aktuell sieht sie die Bau- und Immobilien­branche in einer Art Schockstarre gefangen, aus der es sich so schnell wie möglich zu lösen gilt, denn "Angst ist kein Treiber und Motivator". Und die eine Lösung, auf die alle warten, wird es nicht geben.

Was ist für Sie, aus der Sicht eines planenden und ausführenden Unternehmens, eigentlich nachhaltiges Bauen?

Caroline Palfy: Für mich persönlich ist ein ­Gebäude nachhaltig, wenn man alle drei ESG-­Kriterien erreicht. In Bezug auf soziale Nachhaltigkeit heißt das für mich, intelligente, leistbare Wohnraumlösungen zu schaffen. Dabei müssen wir uns vielleicht auch wieder von Themen und Regulatorien loslösen, die in den letzten Jahren wichtig und richtig waren, aber heute überholt sind. Der zweite Punkt ist die Materialeffizienz und auch die Reduktion von Technik. Wir müssen uns bewusst machen: "Alles, was wir verbauen, müssen wir auch irgendwann einmal Rückbauen." Das heißt wir bei Handler setzen bereits jetzt bei unseren Forschungsprojekten stark auf die Kreislaufwirtschaft. In Zukunft sollten wir dadurch auch ökonomischer bauen und reduzieren unsere Abfälle.

Das sind jetzt aber alles Faktoren, die man als Bauunternehmen kaum beeinflussen kann, wenn man erst nach Abschluss der Planung hinzugezogen wird beziehungsweise die Planung parallel zum Bau erfolgt.

Palfy: Das ist leider richtig. Wenn man Nachhaltigkeit als bauausführendes Unternehmen betrachtet, kommt man in der ganzen Kette viel zu spät dran. Man hat überhaupt keine Möglichkeiten mehr einzugreifen. Das Leistungsverzeichnis ist fertig, die Pläne sind fertig, meist sind sogar die Ausführungspläne fertig. Vielleicht kann man bei ein, zwei Produkten in Absprache mit der Architekt*in etwas abändern, aber das war es dann. Wir haben den Vorteil, dass wir ja auch eine Planungsabteilung haben ­beziehungsweise als Total­unternehmen tätig sind und bei diesen Projekten von Beginn an die Liegenschaft ansehen, die versiegelten Flächen berechnen und so weiter. Da spielen ökologische Interessen immer eine Rolle. Trotzdem ist unsere Immobilienfirma ökonomisch gebunden, wodurch jedes Projekt eine Gratwanderung zwischen Ökologie und Ökonomie darstellt, auf der man derzeit noch einen guten Mittelweg finden und stetig am Ball bleiben muss. Ich glaube, dass die gesamte Immobilienbranche aktuell noch zu wenig erkennt, dass der ­Absatz von nachhaltigen Wohnungen in zwei, drei Jahren gegeben und unumgänglich sein wird.

Jetzt sind aber Bauherren meist preisorientiert, alles andere ist meist nicht einmal sekundär.

Palfy: Die Investor*innen wären teilweise schon so weit, die Frage der Kosten bleibt aber zentral. Zusätzlich braucht man auch eine Architekt*in, die "open minded" genug ist und deren Schwerpunkt nachhaltiges Bauen ist. Keine Bauherr*in kann sich damit aus­einandersetzen, welche Materialien und Lösungen es am Markt gibt. Deswegen braucht es Expert*innen, und die müssen sich vernetzen. Der Austausch zwischen Architekt*innen und Baufirma wird immer wichtiger werden, denn es darf einfach keine falschen Konkurrenzgedanken beim Thema Nachhaltigkeit geben. Das werden wir nur gemeinsam schaffen. Zusätzlich führt eine erhöhte Nachfrage nach nachhaltigen Produkten zu einer größeren Produktvielfalt, niedrigeren Preisen und damit zu einer breiteren Anwendungsbereitschaft.

Das heißt, im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass wir die Art und Weise, wie wir ein Gebäude planen sowie denken, komplett neu entwickeln müssen?

Palfy: Ich bin jetzt ganz hart: Ich sehe die Bau- und Immobilienbranche gerade nicht in einer Trans­formation, sondern vor einem kompletten Umbruch. Einstein soll einmal gesagt haben: "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten." Und genau da sind wir gerade. Wir bauen, wir planen immer auf die gleiche Art und Weise und erwarten, dass etwas besser wird. Dafür braucht es aber einen kompletten Umbruch.

Das ist ein wenig vergleichbar mit der Situation im Holzbau vor einigen Jahren.

"Ja, es wirkt als wären die Entwickler*innen in einer Art Schockstarre gefangen, was ihnen aber Aufgrund der letzten wirtschaftlichen Entwicklungen nicht zu verübeln ist. Angst ist aber kein Treiber und Motivator, sondern führt dazu, abzuwarten und nichts zu tun." - Caroline Palfy, Handler
"Ja, es wirkt als wären die Entwickler*innen in einer Art Schockstarre gefangen, was ihnen aber Aufgrund der letzten wirtschaftlichen Entwicklungen nicht zu verübeln ist. Angst ist aber kein Treiber und Motivator, sondern führt dazu, abzuwarten und nichts zu tun." - Caroline Palfy, Handler

Palfy: Ja. Vor zehn Jahren haben alle noch konventionell geplant und dann einer Baufirma gesagt, dass sie es in Holzbau ausführen müssen. Natürlich haben diese dann die Pläne irgendwie auf Holzbau umgelegt, die Kosten sind explodiert, und vieles war schwierig umsetzbar. Aber wenn man in Holz bauen will, musst man in Holz denken. Seit zwei Jahren merke ich, dass endlich in Holz geplant wird, wenn man in Holz bauen will. Das Gleiche gilt für Nachhaltigkeit. Wenn wir nachhaltig bauen wollen, müssen wir nachhaltig planen. Die Leute scheuen sich aber aktuell vor einer längeren, intensiveren Planungsphase.

Das heißt, eine vorgelagerte, digitale Planung ist für nachhaltiges Bauen unumgänglich?

Palfy: Zu 100 Prozent – BIM ist die einzige Lösung, dass wir gemeinschaftlich, vernetzt arbeiten ­können und Simulationen von Anbeginn und als Entscheidungsgrundlagen haben. Wir haben keine andere Möglichkeit. Wir werden es nicht schaffen, die ganzen möglichen alternativen Materialien und Produkte, die am Markt verfügbar sind, zu kennen, wenn nicht über eine Datenbank. Wir können einfach nicht alle Materialien kennen. Das immense in Datenbanken und BIM-Modellen vorhandene Wissen werden wir auch annehmen, damit wir die Grundlagen schaffen können, neu zu bauen.

Hätten wir denn nicht aktuell, wenn es um verschobene Hochbauprojekte geht, die nicht ausgeschrieben werden, genau so ein Zeitfenster, das man nutzen könnte, um die Planung umzu­stellen?

Palfy: Da ich eine Optimistin bin, gehe ich nicht davon aus, dass die großen Bauträger, die uns heuer gesagt haben, sie bauen nicht, zwölf Monate lang nur Kaffee trinken werden. Und ich kann da für die Baubranche sprechen: Wir Bauunternehmen sind bereit, uns frühzeitig mit dem Bauherr*innen, mit den Architekt*innen an den Tisch zu setzen. Wenn wir jetzt schon eine ruhigere Phase haben, sollte man die Zeit nutzen, BIM ­lernen, die Hausaufgaben machen und mit­einander reden.

Allem Anschein nach wartet die Branche aber gerade darauf, dass jemand sagt: Das ist der CO₂-neutrale Baustoff, das ist die nachhaltige Methode, und nun könnt ihr nachhaltig bauen. Ist das so?

Palfy: Ja, es wirkt als wären die Entwickler*innen in einer Art Schockstarre gefangen, was ihnen aber Aufgrund der letzten wirtschaftlichen Entwicklungen nicht zu verübeln ist. Angst ist aber kein Treiber und Motivator, sondern führt dazu, abzuwarten und nichts zu tun. Es ist ein wenig wie früher mit Kutsche, Pferd und Auto. Das Auto war kein schnelleres Pferd, keine ­bessere Kutsche, sondern etwas ganz Neues. Und so sollten wir auch in unserer Baubranche denken. Dafür reicht aber nicht ein schlauer Kopf, dafür braucht es viele und den Mut gewohnte Pfade zu verlassen.

Auch bei der Erstellung von Ökobilanzen gilt es aktuell, gemeinsam Lösungen zu finden. Ist eine BIM-basierte Ökobilanz für Sie ­alternativlos?

Palfy: Sicher, alles andere wird nicht funktionieren. Wer hat die Zeit, eine Ökobilanz händisch zu erstellen, wenn es kein BIM-Modell gibt? Man muss sich vor Augen halten, dass eine Ökobilanz kein Energieausweis ist, den man nebenbei erledigt. Hinzu kommt, dass wir mit Standards kämpfen. Es ist schön, dass wir alle in einem IFC-­Modell arbeiten, aber wie liefern die Hersteller ihre Daten? Wie kommt das alles in das Modell? Wie schaffen wir es, dass alles miteinander vergleichbar ist? Es wird eine enorme enorme digitale Herausforderung, aber auch diese werden wir meistern.

Branchen
Bau