BM Leonore Gewessler

"Wir schauen, dass wir Impulse setzen"

Konjunktur
01.09.2023

Die Bauwirtschaft bewegt sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Was sagt die Infrastrukturministerin Leonore Gewessler zu den Forderungen der Branche?
Leonore Gewessler im Interview mit Die Wirtschaft

Interview: Stefan Böck und Alexandra Rotter, Fotos: Bubu Dujmic. Die ungekürzte Fassung finden Sie hier.

In der Bauwirtschaft schrillen die Alarm­glocken. Kann der Staat die Bagger anwerfen? Gibt es Infrastrukturprojekte, die beauftragt oder vorgezogen werden können, um der Bauwirtschaft zu helfen?
Leonore Gewessler: Wir haben in meinem Ressort, was Investitionen in die Infrastruktur betrifft, von Anfang an ausgereizt, was geht. Warum? Weil wir diese Investitionen in eine nachhaltige Infrastruktur zum Beispiel im Eisenbahn- oder im Strombereich für die Transformation Richtung Klimaneu­tralität brauchen. Wir haben für den Bahnausbau ein Rekordbudget von 19 Milliarden Euro für Bahninfrastrukturprojekte in den nächsten sechs Jahren. Die Asfinag investiert jährlich mehr als eine Milliarde in Projekte und Sanierungen. Wir investieren im Strombereich massiv ins Netzwerk und haben vor wenigen Wochen einen österreichischen Netzinfrastrukturplan vorgelegt, der die mittelfristige Entwicklung in der Energieinfrastruktur, also Strom, Gas, Wasserstoff, vorzeichnet. Aus alldem leiten sich ganz konkrete Bauprojekte ab. Wir haben einen riesigen Bedarf beim Thema thermische Sanierung und generell bei der Sanierung des Gebäudebestandes. Auch dafür haben wir die Förderungen erhöht und gemeinsam mit der Bauwirtschaft eine Informationskampagne gestartet, um das anzukurbeln. Das schafft lokale und regionale Wertschöpfung und Arbeitsplätze. Das ist also auch für die Baubranche eine große Chance.

Vermutlich würde die Bauwirtschaft gerne noch ein paar neue Vorhaben genannt wissen, aber die ganz großen Projekte sind offenbar schon am Entstehen.
Gewessler: Die sind auf Schiene, vom Brenner- über den Koralm- zum Semmering-Basistunnel. Wir investieren nicht nur in den Streckenneubau, sondern auch in die Sanierung und Elektrifizierung. Und wir sanieren im hochrangigen Straßennetz. Wir schauen wirklich, dass wir Impulse setzen, wenn auch etwas anders als in der Vergangenheit. Denn diese Investitionen sollen uns gleichzeitig bei der Transformation helfen, die wir für den Klimaschutz brauchen.

Die Wirtschaftskammer hat Anfang Juli Forderungen präsentiert, darunter die Anpassung der Baukosten-Obergrenzen bei der Wohnbauförderung, leichtere Kreditvergabe im privaten Wohnbau, Senkung der Grunderwerbssteuer, Eigenheimzulage und Handwerkerbonus. Wie stehen Sie zu diesen Vorschlägen? 
Gewessler: Ich glaube, man muss bei allen Maßnahmen, die wir als Gesellschaft oder als Bundesregierung setzen, sehr darauf achten, ökologisch, sozial und wirtschaftlich vernünftig zu handeln. Der Handwerkerbonus ist ein gutes Beispiel. Während diese Maßnahme in der Vergangenheit quer über alle Sektoren gesetzt wurde, setzen wir jetzt Maßnahmen, die zwar auch alle das Handwerk unterstützen, aber eben in den Bereichen, die wir brauchen, um unsere Klimaziele zu schaffen: die Photovoltaikförderung, der Reparaturbonus, die Sanierungsoffensive, der Raus-aus-Öl-und-Gas-Bonus brauchen alle Handwerkerinnen und Handwerker zur Umsetzung. Als zweites Beispiel will ich die Eigenheimzulage herausgreifen: Wir haben in Österreich eine gut funktionierende Wohnbauförderung, die Ländersache ist und den Wohnbau unterstützt. Da sehe ich nicht zwingend den Bedarf, eine neue Zulage zu machen, die nur jene anspricht, die sich ein Eigenheim leisten können oder wollen. Das ist ungerecht gegenüber jenen, die kein Eigenheim bauen wollen oder in Miete wohnen. Da ist eher die Frage, wie man es schafft, die Wohnbauförderung wieder stärker in Richtung Wohnbau zu lenken. Wir verhandeln ja gerade den Finanzausgleich. Finanzminister Magnus Brunner ist gefordert, die Zweckwidmung der Wohnbauförderung umzusetzen, damit die Länder auch wieder stärkere Schwerpunkte setzen und die Wohnbauförderung dort einsetzen können, wo sie gebraucht wird.

Leonore Gewessler im Interview mit Die Wirtschaft
Leonore Gewessler

Werden die Förderungen bei der Gebäudesanierung weitergeführt?
Gewessler: Ja, wir entwickeln unsere Förderungen stetig weiter und haben etwa den Sanierungsbonus auf maximal 14.000 Euro erhöht. Und es läuft gerade eine große Kampagne, die die Menschen auf die Möglichkeit der Unterstützung einer Sanierung hinweist. Wir haben uns angeschaut, was die Menschen davon abhält, eine Sanierung oder einen Heizkesseltausch anzugehen. Und ganz oft ist es die fehlende Information über die Unterstützungsmöglichkeiten.

Energieintensive Branchen kämpfen immer noch mit den gestiegenen Energiekosten – und manche sogar ums Überleben. Gibt es in Ihrem Ressort einen Plan, Unternehmen rasch und unkompliziert finanziell zu unterstützen?
Gewessler: Wir arbeiten hier auf drei Ebenen: unmittelbare Krisenunterstützung, strukturelle Veränderungen im Strommarkt und Unterstützung in der Transformation, damit wir die Unternehmen in Österreich gut begleiten. Erstens haben wir als Bundesregierung in dieser Krisensituation, in der wir uns befinden, weil Wladimir Putin Energielieferungen nach Europa als Waffe in einem Angriffskrieg in der Ukraine verwendet und Europa mit den Lieferungen erpresst, z. B. mit dem Energiekostenzuschuss und der Energiekostenpauschale rasch und unkompliziert geholfen. Wir haben auch die Erdgasabgabe und die Elektrizitätsabgabe gesenkt. Zweitens gehen wir das Thema strukturell an: Eines meiner Hauptthemen auf europäischer Ebene ist die Reform des europäischen Strommarkts. Wir brauchen mehr Erneuerbare im System, denn der Ausbau der Erneuerbaren ist langfristig der Weg aus der Kostenfalle der fossilen Energien.

Was ist der dritte Punkt? 
Gewessler: Die dritte Ebene sind Investitionen in die Zukunft. Wir haben einen Transformationsfonds mit knapp drei Milliarden Euro bis 2030 aus dem Klimaschutzministerium für die Industrie aufgelegt und damit langfristige Planbarkeit und Klarheit geschaffen. Dieser Fonds unterstützt besonders die produzierende und energieintensive Industrie dabei, die Investitionen zu tätigen, die es für die Transformation braucht. Wir haben in Österreich vor allem mittelständische Unternehmen, von denen schon jetzt viele in gewissen Bereichen Weltmarktführer sind. Sie stehen in einem sehr starken Wettbewerb und haben einen extrem hohen Investitionsdruck.

Wie kann man dafür sorgen, dass diese Unternehmen nicht den Anschluss verlieren?
Gewessler: Wir haben die betriebliche Umweltförderung im Inland, wo wir betriebliche Investitionen in die Transformation unterstützen. Das reicht von Abwärmenutzung über die Prozess- bis zur Heizungsumstellung. Diese Gelder sind für Großunternehmen und natürlich auch für kleine Betriebe und für Gemeinden da. Ich will auch, dass das Geld ausgegeben wird und bei den Unternehmen ankommt.

Wie kann man speziell im urbanen Bereich von der Gastherme wegkommen? 
Gewessler:  Die Wien Energie hat hier sehr ambitionierte Pläne mit einem Dekarbonisierungsfahrplan bis 2040. Wien ist ein wichtiger Player, weil es da noch so viele Gasheizungen gibt. In Wien sind Alternativen u. a. eine Kombination aus Fernwärme und Erdwärme. Wien hat ja das Glück, auf einem geothermischen Potenzial zu sitzen und ein Fernwärmenetz zu haben. Der nächste Schritt wird sein, Fernwärmegebiete und -ausbaugebiete zu definieren, damit die Menschen wissen, was in ihrem Wohnbereich die Lösung ist.

Die Superministerin

Leonore Gewessler leitet seit 2020 das „Superministerium“ für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Die aus der Steiermark stammende Politikerin der Grünen war u.a. Gründungsdirektorin der europäischen politischen Stiftung Green European Foundation und Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000 und setzte sich unter anderem gegen den Einsatz von Glyphosat, das Atomkraftwerk Mochovce und die Handelsabkommen CETA und TTIP ein.

Lesen Sie hier die ungekürzte Fassung: Im großen Interview mit "Die Wirtschaft" spricht sie über das Klimaschutzgesetz, das Lieferkettengesetz, Förderungen für die Wärme- und Energiewende, Fotovoltaik, die Verkehrswende und über die Klimaproteste.