Brennpunkt

Tiny Houses: Kleiner Raum, große Qualität

Wohntrends
15.06.2023

Wohnraum ist knapp und teuer, zudem haben viele Menschen den Wunsch nach Reduktion und Autarkie in der Energieversorgung – da passt das Konzept von Tiny Houses bzw. modularem, flexiblen Wohnen als ein Lösungsansatz perfekt hinein.
Wohnwagon
Wohnraum ist knapp und teuer, zudem haben viele Menschen den Wunsch nach Reduktion und Autarkie in der Energieversorgung – da passt das Konzept von Tiny Houses bzw. modularem, flexiblen Wohnen perfekt hinein.

Wohnraum und Energie werden stetig knapper und teurer und ein Stopp der nach wie vor voranschreitenden Bodenversiegelung ist ein Gebot der Stunde. All das spricht dafür, beim Wohnen in Sachen Platz und Energieverbrauch zurückzustecken. Zudem haben viele Menschen den Wunsch nach Reduktion, nach Konzentration auf das Wesentliche, nach mehr Flexibilität und nach einem (energie)autarken Leben. Unterschiedliche Konzepte wie Tiny Houses oder Mini-Häuser, Baukastensysteme oder modulares Bauen sind Trends, die genau diesen Nerv treffen – und auch für Tischler*innen spannende Perspektiven eröffnen.

Von der Idee zum Unternehmen

Theresa Mai, GF Wohnwagon
"Wir gehen mit einem sehr hohen ökologischen und nachhaltigem Anspruch an die Thematik Tiny House heran", sagt Wohnwagon-Geschäftsführerin Theresa Mai.

Eines der Unternehmen, das in Österreich schon seit zehn Jahren in diesem Sektor forscht und entwickelt ist Wohnwagon mit Firmensitz im niederösterreichischen Gutenstein. Die Projekte der "Baufirma der anderen Art" eint der hohe ökologische Anspruch, der sich u.a. in der Ausführung aus massivem Holz niederschlägt. "Wir haben damals mit dem Wunsch gegründet, zu inspirieren und zukunftsfähige Möglichkeiten für ein nachhaltiges, selbstbestimmtes Bauen in der Natur aufzuzeigen. Der Wohnwagon ist dafür sozusagen unser Flaggschiff", sagt Theresa Mai, Co-Gründerin und Geschäftsführerin.

Ressourcenschonend Bauen

Nach intensiven Aufbaujahren ist aus der ersten Idee ein florierendes Unternehmen mit 50 Mitarbeiter*innen geworden. Heuer baut man pro Jahr rund 50 Vollholz-Häuser mit und ohne Fahrgestell mit einer Wohnfläche von 15 bis hundert Quadratmetern – und das individuell nach Kundenwunsch, aber in Modulen, um die Fertigung effizient zu gestalten. Aktiv ist man vor allem in Österreich, Deutschland und der Schweiz. In diesen Ländern verfügt das Unternehmen über die Bauvorlagenberechtigung, die zur Klärung aller baurechtlichen Fragen berechtigt.

Kein Kopfschütteln mehr

Was vor zehn Jahren noch Kopfschütteln auslöste, ist heute ein boomendes Vorzeigeprojekt und begeistert immer mehr Menschen: "Die Entwicklungen der letzten Zeit sind für unser Projekt sehr förderlich. Denn man erhält trotz reduzierter Quadratmeter einen ähnlichen – für viele sogar höheren – Wohnkomfort", so Mai weiter. Besonders geschätzt wird die Flexibilität, denn Übersiedeln, Vergrößern, Verkaufen – all das ist relativ einfach zu bewerkstelligen. Auch die minimalen Fixkosten für Energie – jeder Wohnwagon versorgt sich mittels PV-Anlage und Holzofen selbst mit Strom und Wärme – machen das Konzept attraktiv. Ein Wohnwagon ist ab 100.000 Euro zu haben, die Preise steigen je nach Größe und Ausstattung.

Vorreiterrolle

Wohnwagon mit PV-Anlage
Durch die PV-Anlage am Dach sind Tiny Häuser weitgehende energie-autark.

Danach gefragt, inwieweit Wohnwagon in Sachen ökologischem Bauen und Energieautarkie einen Vorreiterrolle in Österreich einnimmt, gibt sich die Geschäftsführerin bescheiden: "Uns erschien es logisch, so zu bauen und unser Ansatz ergab sich aus den Missständen unserer Zeit. Dazu zählten ungesunde Materialien, die nicht mehr zeitgemäße Größe, die Abhängigkeit von Energieversorgern sowie die Unfreiheit, in die man durch Kredite für den Hausbau schlittert."

Von guten Materialien umgeben

Wohnwagon Fanni innen
Hochwertige Massivholzmöbel als Ausgleich zum geringen Platz.

Quasi einen Ausgleich zu dem reduzierten Platz bieten die Tiny Houses durch hochwertige Materialien. "Holz hat etwas Lebendiges und die Patina, die es bekommt, ist schön und wertvoll. Daher setzten wir unsere Projekte alle mit Naturbaustoffen bzw. in Vollholz um – das erhöht die Wohnqualität um ein Vielfaches", so Theresa Mai. "Fast alle unsere Projekte haben eine – oft recht umfangreiche – Möblierung, die komplett in Massivholz gefertigt wird. Dabei setzten wir auf kompetente externe Partner, die auch über die nötige Maschinenausstattung verfügen und sich entsprechend Zeit für die Umsetzung der oft komplexen Wünsche nehmen. Alle anderen Bauschritte und Gewerke passieren bei uns im Haus. Dazu zählen die Zimmererarbeiten, ebenso werden die Böden, Fassaden, Dämmung, Fenster, Türen, Installationen etc. eingebaut", so Mai.

Auf einer Linie

Innenansicht Wohnwagon
"Im Mini-Haus sind die Anforderungen an die Qualität und clevere Stauraumlösungen noch einmal konzentrierter", sind sich die Tischlermeiser Sebastian Wagner und Markus Taschler (v.l.) einig.

Einer dieser Partner ist seit 2020 die Tischlerei Wagner & Taschler, die diesen Anspruch versteht und mit Massivholz den Wünschen entsprechend umgehen kann. Zudem stimmen für beide Seiten die Handschlagqualität, Kreativität, Transparenz und Verlässlichkeit, die eine langfristige Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich machen. 1996 von den beiden Tischlermeistern Sebastian Wagner und Markus Taschler gegründet, sind im Betrieb mit Sitz in Wien Ottakring sechs Personen am Werk, bei größeren Aufträgen hilft man sich mit Kooperationspartnern. Durch den Maschinenpark in der Werkstatt, unter anderem ein 5-Achs-CNC-Bearbeitungszentrum, "schafft" man die Möblierung von ein bis zwei Wohnwagons im Monat. Dazu zählen Küche und Bad und alle Möbel inklusive Stauraumlösungen. Das Grund-Design – das sehr kund*innenorientiert adaptiert werden kann – ist zwar von Wohnwagon vorgegeben – aber es war von Anfang an Teil des Konzepts der Zusammenarbeit, dass "wir eine Linie in Sachen Materialität und Optik hineinbringen", so Markus Taschler. Er und Sebastian Wagner sind für das Wohnwagon-Team wichtige Sparring-Partner in der Planung und Umsetzung.

Standardisierte Prozesse

"Neben der qualitätsvollen Umsetzung war und ist die Standardisierung unserer Prozesse sehr anspruchsvoll", so Taschler weiter. So habe man für die Umsetzung am 5-Achs-CNC-Bearbeitungszentrum bereits einen umfangreichen Wohnwagon-Katalog in Auto-CAD gespeichert, dieser sei auch laufend am Wachsen. "Projekttechnisch haben wir noch einiges vor, ebenso sind wir immer am Tüfteln, was optimale Stauraumlösungen betrifft."

Gute Stauraumlösungen

"Im Minihaus sind die Anforderungen an Stauraumlösungen noch einmal konzentrierter und heikler. Ich muss auf wenigen Quadratmetern die passenden Grundbedürfnisse erfüllen. Und dafür sind kluge, multifunktionale und flexible Lösungen essentiell, abgesehen von der angenehmen Atmosphäre und der konsequent ökologischen Ausführung", so Markus Taschler zu einer weiteren spannenden Herausforderung für die tischlerische Seite. Konkrete Lösungen sind zum Beispiel Schieberegale, die gleichzeitig als Tür und als Stauraum fungieren und durchdachte Auszugssysteme unter dem Bett. In Sachen Material werden innen vornehmlich Fichte und Eiche verarbeitet, die Oberflächen werden mit ökologischen Ölen behandelt.

Zimmer, Küche, Kabinett

Stefan Schrenk
"Die Menschen identifizieren sich zunehmend mit nachhaltigem Bauen und legen großen Wert auf Flexibilität", so Stefan Schrenk, Zikk-Haus/Tischlerei Schrenk.

Einen etwas anderen aber doch in vielen Belangen ähnlichen Zugang zu einem "neuen Wohnen" hat Stefan Schrenk, Geschäftsführer der auf Treppenbau und Türen spezialisierten Tischlerei Schrenk und Lean Works, zuständig für das Zikk-Haus. Die Abkürzung steht für "Zimmer-Küche-Kabinett"  und nimmt damit Bezug auf die Rückbesinnung auf die wesentlichen Wohnbedürfnisse – erweitert um die Ansprüche eines ökologisch bewussten und nachhaltigen Lebensstils (siehe auch Tischler Journal 4/2022). Insgesamt umfasst die Firmengruppe mit Sitz in Vitis im Waldviertel vier Unternehmen mit 85 Mitarbeiter*innen, für den Bau der Zikk-Häuser ist Lean Works mit 14 Mitarbeiter*innen zuständig. Ursprünglich für die Prozess-Optimierung gegründet, passt der Ansatz perfekt zur Planung und Umsetzung der in Holzbauweise realisierten Häuser, die es in unterschiedlichen Varianten gibt. Die Bauzeit selbst beträgt vom Spatenstich bis zum Einzug nur acht Tage – ein Argument, das schon allein für sich zieht.

Bedrohung oder Chance?

Dass man sich bei Schrenk entschloss, die Idee des flexiblen Bauens näher zu verfolgen, war eine Folge der Auseinandersetzung mit dem Kerngeschäft Treppenbau. "Unsere Zielgruppe dafür ist das klassische Einfamilienhaus im Neubau und in der Sanierung mit einer Fläche von 120 bis 200 Quadratmeter. Wir haben uns die Frage gestellt, ob dieses Geschäft für immer bestehen bleiben kann und uns in diesem Zusammenhang intensiv mit Wohntrends auseinandergesetzt", berichtet Stefan Schrenk. Die Erkenntnisse, zusammengefasst: "Kleinerer und flexiblerer Wohnraum sind zentrale Zukunftsbedürfnisse – und dafür werden zum Großteil keine Treppen gebraucht." Anstatt sich bloß zu fürchten, nahm man diese Bedrohung als Marktchance an und setzte sich – wie man heute sieht – genau zum richtigen Zeitpunkt mit Alternativen auseinander. 2018 baute man das erste Musterhaus, seit dem hat man viele Erfahrungen gesammelt und die neuen Erkenntnisse laufend in die bisher zwölf errichteten Häuser eingebracht.

Matador im Großformat

Von der Größe ist das Zikk-Haus ein "Mittelding" zwischen einem Tiny House und einem klassischen Einfamilienhaus. "Unsere Häuser haben eine Fläche zwischen fünfundvierzig und hundert Quadratmetern. Diese Dimensionen sind die vernünftigsten für unser Konzept und werden so auch am meisten nachgefragt", erklärt Schrenk. Es geht hier also nicht um mobiles Wohnen in dem Sinn, dass man das Haus auf Rädern hinter sich her zieht. Allerdings ist es durchaus so konzipiert, dass es vergrößert und verkleinert, zerstörungsfrei abgebaut und anderswo wieder aufgebaut werden kann. "Unser System ist sehr kleinteilig. Das heißt, wir produzieren standardisierte Bauteile, die man einzeln bewegen, ergänzen und austauschen kann. Vergleichbar mit einem Matador, eben im Großformat", beschreibt Stefan Schrenk das Prinzip und erklärt den Unterschied zu einem Modul- bzw. Fertigteilhaus: Diese werden als gesamte Wohneinheit aufgestellt und sind nicht dafür gedacht, verändert oder gar übersiedelt zu werden.

Optimierte Abläufe

Die Lerneffekte beziehen sich zum einen auf die (technische) Ausstattung, vor allem für die Qualität förderlich ist allerdings die Optimierung bzw. Standardisierung der Abläufe und die Erhöhung des Vorfertigungsgrades. "Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und haben jetzt ein gutes Produkt, gute Prozesse und ein gutes Team. So fühlen wir uns bereit, unsere Versprechen einzuhalten und aktiver am Markt aufzutreten", sagt Stefan Schrenk. Ab dem nächsten Jahr ist geplant, ein Haus pro Monat zu produzieren: "Das ist eine Größenordnung, für die wir unsere hohe Qualität gewährleisten können und die für ein gesundes und stetiges Wachstum steht", so Schrenk, der damit eine Entwicklung parallel zum Trend sieht. Bei der Vermarktung setzt man auf Mundpropaganda und Story Telling mit starkem Fokus auf den sozialen Medien. Aktuell stehen die Zikk-Häuser in Niederösterreich, gerade wurde das Erste seiner Art in Wien fertiggestellt. Grundsätzlich bietet man die Leistungen aber in ganz Österreich an. Darunter fällt auch die komplette Bauabwicklung.

Klare Motive

Im Grund kristallisieren sich bei den Kund*innenmotiven ein paar starke Themen heraus: "Die Leute identifizieren sich zunehmend damit, nachhaltig zu bauen und sie legen Wert auf Flexibilität", so Stefan Schrenk. Zudem werde geschätzt, dass man nicht nur den Bausatz liefert, sondern sich ähnlich einem Generalunternehmer um alles kümmert. Stark interessiert ist auf der einen Seite ein jüngeres Publikum, das die Familienplanung noch nicht abgeschlossen hat und eventuell später an eine Vergrößerung denkt. Der Hauptteil der aktuellen Kundschaft ist allerdings schon wieder dabei, sich wohntechnisch zu verkleinern: Die Kinder sind erwachsen, das bestehende Haus zu groß. Da ist ein Zikk-Haus, das sich den aktuellen Bedürfnissen anpasst, die richtige Wahl. Ein weiterer Vorteil sind die transparenten Kosten: Das Basishaus mit einer Wohnfläche von 77 Quadratmetern wird am häufigsten nachgefragt und kostet bezugsfertig mit Küche und Bad 350.000 Euro. Inkludiert sind auch die Fundamentierung und alle Anschlüsse. Die Ausstattung mit einer PV-Anlage wird angeboten, kostet allerdings extra. Die Häuser sind überwiegend aus Fichtenholz gebaut. Die Basisversion wird mit Küche und Bad angeboten. Rund zwei Drittel der Kund*innen beauftragen eine zusätzliche Möblierung, wofür man ein speziell abgestimmtes Angebot entwickelt hat. Die Produktion hat man aufgrund der Maschinenausstattung an die Tischlerei Handl in Dobersberg ausgelagert. Hier zeigen sich also einige Parallelen zu den Tiny Houses von Wohnwagon und den Ansprüchen der Tischlerei Wagner & Taschler. Und wie Wohnwagon nimmt auch Schrenk eine gewisse Vorreiterrolle in Österreich ein: "Wir sind einzigartig durch unser Baukastensystem, das aus Einzelteilen besteht, die man individuell zusammensetzen kann. Und auch wenn es nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, hebt sich auch unser Herstellungs- und Bauprozesse von anderen ab. Wir produzieren zum Großteil im Waldviertel, haben einen sehr hohen Vorfertigungsgrad und übernehmen die komplette Verantwortung."

Gutes Handwerk wird gesehen

Und wie können jetzt Tischler*innen von diesem Trend profitieren? Allgemein gilt: Gutes Handwerk wird vermehrt gesehen und im Zuge einer Beschäftigung mit Tiny Houses & Co setzen sich viele intensiver mit Bauen und Wohnen auseinander. Das schafft auch ein neue Preisbereitschaft für individuelle, nachhaltige und langlebige Tischler-Möbel. Und die Kernkompetenzen der Tischler*innen, individuell auf Kund*innenwünsche einzugehen, findet in der Ausstattung kleiner Wohnräume quasi ihre "Königsdisziplin": "Im klassischen Hausbau denkt man zuerst an den Raum, dann an die Möbel. Bei kleinen Häusern ist die Möblierung, ist der Stauraum teil des Konzepts", erklärt Stefan Schrenk, der hier auch den Anknüpfungspunkt sieht: "Tischler*innen haben von jeher die Kompetenz, auf individuelle Wünsche einzugehen. Die Herausforderung liegt darin, die sich verändernden Bedürfnisse zu erkennen und diese auf weniger Platz umzusetzen."

Blick in die Zukunft

"Die Szene ist am Erwachsen-Werden und es wird sich bald herauskristallisieren, welche Formen von Tiny Houses sich nachhaltig etablieren", blickt Theresa Mai von Wohnwagon in die Zukunft. So bieten flexible Häuser die Möglichkeit, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, der sonst nicht genutzt werden könnte. Ein Beispiel sind Baugrundstücke, die zur Wertanlage angeschafft wurden und nicht genutzt werden – in Niederösterreich sind das zum Beispiel 30 Prozent des Baulandes. Diese für die Wohnraumentwicklung nicht genützten Flächen müssen nicht verkauft werden, sondern können an Inhaber flexibler Häuser auf Zeit verpachtet werden – eine Win-Win-Situation für beide Seiten – und auch für die Umwelt. Auch der soziale Aspekt ist spannend. So lassen sich auf einem Grundstück kleine Nachbarschaften kreieren: Man wohnt miteinander, behält sich aber seinen Rückzugsort. Also ein Zuhause, das für den jeweiligen Lebensabschnitt perfekt passt. Und noch ein interessanter Punkt, in eine andere Richtung gedacht: Neue Wege in der Wohnraumgestaltung erhöhen auch die Attraktivität für neue Mitarbeiter*innen. "Wir merken, dass wir mit unseren neuen Projekten junge Leute sehr gut ansprechen, sich im handwerklichen Umfeld beruflich zu engagieren", berichtet Stefan Schrenk.

Branchen
Tischlerei