Glasproduktion

Effiziente Betriebsabläufe

Maschinen
20.06.2017

Von: Redaktion Glas
Kostensenkungen sind in der von Manufaktur geprägten Glasproduktion und -verarbeitung schwierig, heißt es oft. Innovative Ansätze zur Automatisierung und intelligenten Vernetzung von Produktionsmaschinen und Wertschöpfungsstufen sowie neue Handlinggeräte lassen weitere Einsparungen erwarten. 
Hohes Tempo: Die Isolierglaslinie „B’Speed“ von Bystronic glass ist eine schnelle Linie zur Isolierglasfertigung, die Drei- und Vierfach-Einheiten in kürzester Taktzeit produziert.
Hohes Tempo: Die Isolierglaslinie „B’Speed“ von Bystronic glass ist eine schnelle Linie zur Isolierglasfertigung, die Drei- und Vierfach-Einheiten in kürzester Taktzeit produziert.
Zeitersparnis: Der thermoplastische Abstandhalter TPS wird als Teil der Isolierglasproduktion direkt und maschinell aus einem Fass auf das Glas appliziert. Die Breite des Abstandhalters kann im laufenden Betrieb nach Bedarf ohne Zeitverlust verändert werden. Separate Fertigungsprozesse für das Sägen, Biegen, Steckverbinden, Trockenmittelbefüllen und Butylieren entfallen.
Wie handeln? Bei vielen Prozessen in Glasproduktion und -bearbeitung muss heute noch Hand angelegt werden. Automatisierung und Digitalisierung können die Arbeit erleichtern und beschleunigen.

Die Glasindustrie steht unter starkem Druck. Einerseits bietet die Globalisierung den Produzenten, Verarbeitern und Anbietern von Fertigungstechnik die Chance, global Fuß zu fassen und internationale Märkte zu bedienen. Andererseits drängen mit der Globalisierung preis-aggressive chinesische Unternehmen mit günstigen Produkten nach Europa, um die hiesigen Märkte zu erobern. In der Photovoltaik, einem wichtigen Abnehmer von Flachglas, haben die Chinesen im Verdrängungswettbewerb mittlerweile die Nase vorn – nur die wenigsten deutschen Produzenten von Solarmodulen haben den Preiskampf mit der asiatischen Konkurrenz überlebt. Die Technologieführerschaft der hiesigen Solarindustrie steht in Frage. 

Auch für die Glasbranche dürfte es schwierig werden. Vor allem für Unternehmen, die sich bisher kein Standbein im Ausland aufgebaut haben und auf den Heimatmarkt angewiesen sind. So wie viele Produzenten von Isolierglas, deren Geschäft meistens regional um ihre Fertigungsstandorte herum verankert ist. Sie müssen nicht nur technologisch und preislich China und Billigkonkurrenten aus Osteuropa Paroli bieten, sondern sind auch mit einer schrumpfenden Nachfrage auf dem heimischen Markt konfrontiert. Denn die Auswirkungen des Preiskampfs zeigen sich auch am Ende der Wertschöpfungskette, wo Fensterbauer immer häufiger ihr Geschäft aufgeben müssen, weil sie nicht mehr kostendeckend arbeiten können. 

Dennoch sind Experten überzeugt, dass die nationale Glasbranche ihre Technologieführerschaft langfristig behaupten wird. „Gegen Billigimporte kann sich die Glasindustrie dadurch rüsten, indem sie in ihrem Qualitätsbestreben nicht nachlässt“, sagt Johann Overath, Hauptgeschäftsführer des deutschen Bundesverbands Glasindustrie. Gerade bei hochspezialisierten Anwendungen sei hohe Qualität weiter gefragt. Aber auch Einfuhrzölle für Importe aus Staaten außerhalb der Europäischen Union könnten für einzelne Produkte ein geeignetes Mittel sein, um Billigimporten entgegenzuwirken, so Overath. Die große Frage ist: Wie lassen sich bei zunehmendem Kostendruck Technologieführerschaft und Qualität behaupten? 

Noch Luft für Innovationen 

Die gute Nachricht: Noch ist das Innovations- und Kostensenkungspotenzial in Glasproduktion und -handhabung nicht ausgeschöpft. Viele Schritte in der Fertigung und Verarbeitung, wie zum Beispiel die Sortierung der Scheiben nach der Isolierglasproduktion, werden heute noch von Hand getätig. Das bremst den Materialfluss und kostet Zeit. Durch angemessene Automatisierung einerseits sowie durch Integration und intelligente Verknüpfung der Prozesse andererseits ließe sich ein gleichmäßigerer Produktionsablauf mit höherer Geschwindigkeit erreichen – und so Kosten einsparen. 

Einen wichtigen Ansatz könnte in dieser Hinsicht Industrie 4.0 bieten, also die digitale Vernetzung der einzelnen Wertschöpfungsstufen, beginnend in der Produktion. Die Chance: Indem Maschinen und Werkstücke direkt über spezielle Schnittstellen miteinander kommunizierten, könnten Produkte individueller, schneller und günstiger hergestellt werden, sagt Linus Schleupner, Wirtschaftsprofessor an der Rheinischen Fachhochschule Köln (D). „Die Digitalisierung ermöglicht regelrechte Effizienzsprünge in der Produktion.” Und nicht nur dort: Dank intelligenter Vernetzung mit Kundenmeinung und Markt könnten Unternehmen das Einkäuferverhalten genau erfassen und so ihr Warenangebot optimieren. Das Ergebnis sei ein perfekt auf den Kundenbedarf zugeschnittenes Sortiment. Außerdem könnten durch die enge Vernetzung mit dem Kunden sowie mit den vor- und nachgelagerten Stufen Aufträge schneller abgewickelt werden. „Zeitoptimierung ist ein Riesenplus und bringt wichtige Wettbewerbsvorteile“, sagt Schleupner. 

Bisher habe Industrie 4.0 im Mittelstand zwar einige Verwirrung gebracht, weil unter anderem Unklarheit über die Kosten der Umsetzung bestehe. Doch die nötigen Investitionen für 4.0 seien überschaubar, so der Wirtschaftsexperte. „Es braucht keine neuen Maschinen, sondern in erster Linie Schnittstellen und Software zur Verknüpfung und Datenauswertung. Die wirkliche Herausforderung bestehe darin, dass sich die Unternehmen vorab Gedanken machen, was sie mit 4.0 erreichen wollen und wie sie ihre Prozesse dafür justieren müssen. Wie sollen die einzelnen Wertschöpfungsstufen und Produktionspartner miteinander verbunden werden?“, so Schleupner. 

Intelligenz statt neuer Maschinen 

Der französischen Maschinenbauer Tecauma und der deutsche Software-Anbieter A+W deuten in ihrer Kooperation bereits an, welche Vorteile Intelligenz am Ende der Wertschöpfungskette, beim Fensterbau, bringen kann. Bisher erfolgt die automatische Verglasung in der Regel aus einem sogenannten Glaspuffer, in den die Scheiben aus der Isolierglaslinie von Hand für die entsprechenden Aufträge einsortiert werden. Die beiden Unternehmen haben gemeinsam ein Konzept entwickelt, das ohne Glaspuffer auskommt und die Verglasung mittels Roboter direkt vom Transportgestell ermöglicht. Entscheidend hierfür ist die spezielle Software „A+W Rack Optimizer“. Mit ihrer Hilfe wird die Produktion des Isolierglasherstellers nach Vorgaben des Fensterbauers so gesteuert, dass die Scheiben am Ende der Linie genau in der Reihenfolge verpackt werden können, wie es der Elemente-Hersteller wünscht – die manuelle Einsortierung in den Zwischenpuffer kann damit entfallen. 

Auch der Verpackungsroboter am Auslauf der Linie empfängt über eine Schnittstelle die Daten des „A+W Rack Optimizers“ und platziert die Scheiben in umgekehrter Entnahmereihenfolge des Fensterbauers auf dem Transportgestell. Der Verglasungsroboter des Elemente-Herstellers ist ebenfalls mit der Iso-Linie und dem Verpackungsroboter des Iso-Herstellers verknüpft und tauscht die Produktionsdaten über die Schnittstelle permanent mit den anderen Maschinen aus. Ergeben sich unvorhersehbare Änderungen in der Produktionsreihenfolge, etwa durch Glasbruch oder kurzfristige Auftragsänderungen, stellen sich die Maschinen koordiniert auf die neuen Anforderungen ein – die automatische Produktion kann so ohne Unterbrechungen weiterlaufen, die Effizienz steigt. Das Beispiel zeigt: Die eigentlichen Treiber von Industrie 4.0 sind nicht neuartige Maschinen, sondern intelligente Schnittstellen zwischen Hersteller und Auftraggeber. 

Auch andere führende Unternehmen der Glasbranche, wie zum Beispiel Lisec, das Lösungen im Bereich Flachglasverarbeitung und -veredelung anbietet, wollen stärker auf Digitalisierung setzen. „Industrie 4.0 ermöglicht im Bereich der glasbe- und -verarbeitenden Industrie transparente und effiziente Produktionsprozesse“, sagt Hannes Pils, Business Unit Leiter Software Lisec. Die durchgängige Vernetzung von der Angebotserstellung bis zur Auslieferung unterstützt die Optimierung des Produktionsprozesses und erlaubt eine lückenlose Produktverfolgung sowie einen durchgängigen Qualitätsreport, der als Qualitätsnachweis für einen spezifischen Auftrag fungieren kann. 

Ein aus Lisec-Sicht weiterer positiver Effekt von 4.0: Lernende und selbstoptimierende Produktionsmaschinen und -anlagen könnten künftig Entscheidungen über zu verwendende Werkzeuge und Maschineneinstellungen selbstständig treffen und erhöhten damit die Effizienz. Schließlich ermögliche die ständige und durchgängige Anlagenüberwachung mittels eingebauter Sensorik und Assistenzsystemen eine vorausschauende und vorbeugende Wartung und Instandhaltung, die hilft, ungeplante Stillstände vorzubeugen und somit die Anlagenverfügbarkeit zu erhöhen. „Auch Serviceeinsätze und erforderliche Ersatzteile können automatisiert geplant und organisiert werden“, so Pils.

Die Experten bei Bystronic glass, Anbieter von Fertigungsequipment und kompletten Isolierglaslinien, sehen ähnliche Vorteile der Digitalisierung. „Wir sehen als Maschinenbauer bei Industrie 4.0 durchaus Chancen”, sagt Bystronic-Produktmanager Tobias Neff. Ansätze von 4.0 fänden sich schon in heutigen Glasproduktionen: Werkstücke seien mit individuellen Daten getriggert, die ihre Rückverfolgbarkeit von der Produktion bis zur Auslieferung ermöglichten und Abnehmern eine „erfolgreiche Herstellung“ bestätigten. Künftig könnten Bystronic-Linien mit zusätzlicher Software ausgestattet werden, damit Kunden beispielsweise für Scheiben die genaue Sortierabfolge vorgeben könnten. „Die Verknüpfung von Linie und Fensterbauer ist für uns ein Aspekt“, sagt Neff. 

Roboter helfen nicht immer 

Bystronic-Kooperationspartner Hegla, der Lösungen für die Flachglasproduktion offeriert, verfolge das Thema Automation ebenfalls bereits seit längerer Zeit mit höchster Priorität und habe mit dem Sortiersystem Sortjet und dem dynamischen Restplattenspeicher Remaster bereits die Basis zur 4.0-Strategie für die Weiterentwicklung in der Flachglasverarbeitung gelegt, sagt Geschäftsführer Manfred Vollbracht. Kundenorientierte Vernetzungs- und Kommunikationspotentiale zur Vervollständigung der 4.0-Strategie hätten einen bedeutenden Stellenwert in aktuellen Entwicklungsprojekten von Hegla. 

Vollbracht verweist allerdings darauf, dass Automatisierung und Digitalisierung in der Glasbearbeitung nicht immer das probate Mittel für mehr Effizienz ist. So seien beispielsweise bei Markteinführung das automatische Randentschichten und die systemgesteuerte Folienabschälvorrichtung zukunftsweisend gewesen. Habe zuvor der Produktionsprozess noch unterbrochen und die Arbeiten vom Bediener ausgeführt werden müssen, werden diese Funktionen seitdem als Teilprozess in den Zuschnitt integriert. „Zum Erfolg dieser Lösungen hat beigetragen, dass dazu keine teure aufwändige mehrachsige Robotik installiert werden muss, sondern die bestehende Steuerung, Antriebstechnik und Sensorik der Schneidanlage mitgenutzt werden kann“, sagt Vollbracht. Integration und die effiziente Nutzung bestehenden Equipments bringen an dieser Stelle also höheren Nutzen als zusätzliche Maschinen. 

Und wie sieht es mit Innovationen bei Geräten zum Glashandling aus? Besteht auch bei Vakuumhebern, Glaszangen und Co. noch Verbesserungspotenzial? Holger Schadwinkel von der Firma Wirth, Spezialist für Lösungen im Industriebau und Materialhandling erklärt, bei den Hebegeräten für innerbetriebliche Anwendungen seien Innovationen nahezu ausgereizt. „Durch Verwendung von Druckluft zur Vakuumgenerierung und eine schnellere Belüftung der Sauger erreichen wir bereits sehr schnelle Taktzeiten.“ Anders sehe es dagegen bei den Geräten für Baustellenanwendungen aus. Die Ansprüche in der Architektur stiegen: Immer größere, immer schwerere, immer mehr konvex, konkav oder sogar dreidimensional gekrümmte Scheiben würden verlangt. „Deshalb realisieren wir inzwischen Geräte, an die vor fünf bis sechs Jahren sowohl bezüglich der Tragfähigkeit als auch der in die Geräte integrierten Funktionen noch niemand gedacht hat“, sagt Schadwinkel. (bt)

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