Weltneuheit

Berührungsloses Entgraten

Metallbearbeitung
23.02.2022

Von: Redaktion Metall
Eine Ultraschall-Bearbeitungsanlage macht den Entgratungsprozess erstmals berührungslos und reproduzierbar möglich.
Vorher-Nachher-Schleifgrate
Das Verfahren arbeitet materialschonend.

Der deutschen "ultraTEC" Anlagentechnik Münz GmbH ist es nun erstmals gelungen, serienreife Bearbeitungsanlagen zu entwickeln, die Grate und abstehende Fasern völlig kontaktlos mit Ultraschall entfernen. Dabei wird das Bauteil in einem Prozesswasserbecken mithilfe eines flexiblen Roboterarms entlang einer Sonotrode geführt, die Schwingungen und Wellen erzeugt, wodurch sich die Grate ablösen. So werden selbst innenliegende Grate oder Ausformungen an den Rändern bei Kreuzbohrungen mit einem Durchmesser von lediglich 0,1 Millimetern materialschonend abgetragen. Dadurch sind die Maschinen ideal für Präzisionsbauteile mit anspruchsvollen Geometrien oder sensiblen Oberflächen geeignet. 
Dank verschiedener Ausführungen sind die Anlagen auf die effiziente und wirtschaftliche Bearbeitung unterschiedlicher Bauteilmengen und -maße ausgelegt. Mit maximal 6 kVA ist der Strombedarf für den Betrieb vergleichsweise gering.
"Insbesondere bei Präzisionsbauteilen oder sehr kleinen Komponenten sowie bei speziellen Legierungen kann man nicht jedes Entgratverfahren gleichermaßen verwenden", berichtet Dieter Münz, Geschäftsführer der ultraTEC Anlagentechnik Münz GmbH. So führt das thermische Entgraten durch das Abbrennen der Grate beispielsweise zu Verfärbungen und Änderungen der Oxidschicht. Der beim Gleitschleifen eingesetzte Schleifkörper wiederum erreicht nicht alle Stellen bei anspruchsvollen Geometrien aufgrund der eigenen Form. Auch elektrochemische Verfahren sind für viele kleine Bauteile ausgeschlossen, da diese einen nicht definierbaren Materialabtrag am Bauteil bewirken. Das Hochdruckwasserstrahlen wiederum beansprucht einen hohen Energie- und Vorrüstaufwand.

Schonender Abtrag

Mit den Ultraschallentgratanlagen von ul­traTEC würden Faktoren wie Geometrie oder Material hingegen kaum mehr Einschränkung darstellen, weil das Verfahren berührungslos und somit materialschonend arbeite, erklärt Münz. Durch indirekte Ultraschall-Bestrahlung und das Erzeugen von Rayleighwellen (Oberflächen-Erdbebenwellen) lassen sich auch innenliegende Kanten und kleinste Durchgänge entgraten. "Der Prozess hat keine Auswirkungen auf die Festigkeit des Bauteils, die Oberflächenstruktur bleibt unverändert und bei glatten Oberflächen gibt es keinen Materialabtrag", so Münz. Neben den gängigen Metallen sind auch verschiedene Titan- und Nickelbasislegierungen bis hin zu Messing und faserverstärkten Kunststoffen für die Bearbeitung geeignet. Je nach Konfiguration lassen sich Losgrößen von 100 bis eine Million validierbar und reproduzierbar, hochpräzise sowie punktuell entgraten.

20.000 Hertz

Entgraten von Implantatsschrauben
Das Bauteil (im Bild eine Knochenimplantatsschraube) wird mit einem 6-Achs-Industrie­roboter in das Prozesswasserbecken getaucht und entlang der Sonotrode geführt.

Das Herzstück der Anlage ist ein Prozesswasserbecken aus hochwertigem Edelstahl mit Füllstands- und Temperaturüberwachung sowie einer oder mehrerer Ultraschallsono­troden. "Das Bauteil wird mit einem 6-Achs- Industrieroboter in das Prozesswasserbecken getaucht und entlang der Sonotrode geführt, die wir mit 20 kHz anregen", erläutert Münz das zugrunde liegende Prinzip. "Mit 20.000 Mikroschwingungen pro Sekunde werden Longitudinalwellen und Kavitation im Wasser erzeugt, die wiederum einen Kavitationsjet hervorrufen. Wird das Bauteil nun entlang dieses Jets geführt, brechen die Grate nach einer kurzen Zeit ab." Der Jet erreicht dabei Strömungsstärken, die denjenigen vom Hochdruckwasserstrahlentgraten in nichts nachstehen, benötigt bei einer Maximalstromaufnahme von 6 kW und einem jährlichen Verbrauch zwischen 4.000 und 6.000 kWh allerdings weit weniger Energie. Im Vergleich dazu liegt der Verbrauch von klassischen Verfahren um rund das 20-Fache höher, was das Verfahren wirtschaftlicher macht. Unterstützt wird die Wirtschaftlichkeit der 24/7-tauglichen Entgratanlagen durch die integrierte Wasseraufbereitung, welche das Prozesswasser über die angeschlossenen Partikelfilter und Wärmetauscher im Kreislauf im optimalen Zustand hält.

Für scharfe Kanten

Die hohe Präzision beim Abtragen der Grate entsteht aus der geschickten Verbindung von Ultraschall und flexibler Bewegungsführung. Denn der hochwertige 6-Achs-Roboter kann wahlweise je nach Maschinentyp das Bauteil entlang der Sonotrode oder Letztere an der zu entgratenden Kante entlang führen. "Die Bedienperson muss lediglich die entsprechende STEP-Datei laden und die gewünschte Bewegungsfolge auswählen. Den Rest erledigt die Anlage", so Münz. Die Kombination aus berührungslosem Prozess und großer Flexibilität in der Bewegung machen das Verfahren zu einer idealen Lösung für Präzisionsbauteile mit scharfen Kanten und verschieden großen Fasen auf engstem Raum. An einem digitalen Zwilling kann der Fertigungsprozess vorsimuliert und überwacht werden, sodass sich auch neue Bauteile gut bearbeiten lassen.

Digitale Einbindung

Die Anlagen sind im Industrie-4.0-Standard ausgeführt, "damit eine zukunftsfähige Einbindung in die kundeneigenen Produktionsabläufe sichergestellt ist", erläutert Dieter Münz. Eine hochwertige Siemens­umgebung inklusive Fernwartungsmodul gewährleiste nicht nur eine Offline-Programmierung, sondern ermögliche auch eine tiefgreifende und schnelle Störungsbehebung ohne teuren Serviceeinsatz. 

Fernwartung

Darüber hinaus lasse sich jederzeit per Fernzugriff auf die Maschinen aufschalten, um Anpassungen in der Programmierung vorzunehmen, erklärt Münz. Zudem können über ein CAM einzelne Programme bearbeitet und wieder aufgespielt werden, um beispielsweise den Bewegungsablauf für neue Geometrien zu definieren. Dank der offenen Programmierumgebung lassen sich auch zusätzliche Qualitätskontrollkomponenten wie Lasermesssensoren oder spezielle Beschickungsvorrichtungen problemlos ergänzen. "Hier sind keine Grenzen gesetzt. Bei gewissen Bauteilen wie zum Beispiel geschliffenen Ventilschiebern wird auch keine zusätzliche Endreinigungsanlage benötigt, weil diese Teile nach unserem Entgratprozess so sauber sind, dass dieser Schritt eingespart und so die gesamte Prozesskette verschlankt werden kann", ergänzt Münz abschließend. [gr]

[Quelle: METALL 1-2/2022]

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