Interview und Podcast

Architektur des Aufbruchs

23.09.2025

Im Gespräch mit Günter Mohr, Mitgründer des Wiener Büros Mohr-Niklas-Architekten, geht es um Bahnhöfe als Orte der Öffentlichkeit, um Holzbau, Nachhaltigkeit – und um die Frage, wie Architektur unser Mobilitätsverhalten beeinflussen kann.

Günter Mohr ist Mitgründer des Wiener Architekturbüros Mohr-Niklas-Architekten, das großteils im Bereich Bildungs- und Infrastrukturbauten tätig ist. Zu den Projekten zählen unter anderem die Uni-Gebäude Ágnes Heller Haus und Haus der Physik in Innsbruck, außerdem einige ausgezeichnete Bahnhöfe in und um Wien.

Architektur & Bau FORUM: Bahnhöfe sind für unseren Podcast ein guter Beginn, denn die Bahn trägt einen wichtigen Teil zu einem nachhaltigeren Lebensstil bei. Der Bahnhof Neulengbach von Mohr-Niklas-Architekten wurde 2023 mit dem Best-Architects-Preis ausgezeichnet. Momentan ist der Bahnhof Himberg in Arbeit. Wie gehen Sie an Bahnhofsprojekte heran?

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Günter Mohr
Günter Mohr bei Architektur & Bau FORUM Interview ©ÖWV SB

Günter Mohr: Bahnhöfe waren für uns der Einstieg ins Bauen größerer Formate.  Bei den ÖBB war Barrierefreimachung ein wichtiges Thema, z. B. Lifteinbauten. Beim Regelwerk der ÖBB zur Standardisierung der Abläufe geht es um den Zugang zum rollenden Verkehr. Viele Haltestellen mussten umgestellt werden. Unsere erste Station war Matzleinsdorf, der erste größere Bahnhof war Korneuburg. Die Projekte hängen bauherrenseitig wie immer vom jeweiligen Gegenüber ab, von der ÖBB hatten wir bis auf die Regelwerke wenig Vorgaben.
Die ÖBB teilt Bahnhöfe in verschiedene Kategorien, nach Kapazität, mit verschiedenen Ausstattungsvarianten. In Korneuburg waren es 8.000 Reisende pro Tag. Es gibt dort eine 6 Meter hohe Halle, über die nun das ganze Dach auskragt. Fahrkartenverkäufer*innen sind durch Automaten ersetzt worden. Die Haltestellen, die Aufenthalts- und Wartebereiche haben, werden immer weniger und sind nicht mehr sehr groß.

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Gab es im Rahmen des Budgets Gestaltungsfreiheit?
Es gibt Nischen, in denen man sich Freiräume erarbeiten kann. Für mich als Vorarlberger war Holz und Beton dafür der passende Baustoff. Gerade bei Bahnhöfen sind die Themen Robustheit der Oberflächen und Altern relevant. Wir haben etwa Brettsperrholzplatten für die Radabstellflächen hineingebracht, die damals sehr kontroversiell gesehen wurden. Es gab Diskussionen darüber, dass Holz fault – was definitiv richtig ist, aber auch Beton oder Stahl halten nicht ewig. Es kommt auf die Wartung an. Wir brachten Holzdächer in die Bahnhöfe und über die Jahre wollte man immer mehr Holzdächer, weil man mit Holz den CO₂-Abdruck reduzieren kann. So wurde Holz, das am Anfang exotisch war, zu einem Standard.

Bahnhof Himberg
Bahnhof Himberg ©Vizarch/mohr niklas architekten

Darüber hinaus geht es uns um Aufenthaltsqualität. Das Zugfahren soll zelebriert werden. Der Beginn des Zugverkehrs in der industriellen Revolution war Hightech. Bahnhöfe galten als Kathedralen für die Mobilität. Inzwischen sind es einfach Haltestellen, und wichtig ist nur, dass es nicht hineinregnet. Die Mehrheit denkt: „Jeder vernünftige Mensch fährt Auto, und ein paar, die es sich nicht leisten können, fahren Zug.“ Ich bin gegenteiliger Ansicht: Man sollte den öffentlichen Verkehr feiern.

Das Zugfahren soll zelebriert werden. Bahnhöfe waren einmal die Kathedralen moderner Mobilität.

Günter Mohr

Es geht Ihnen immer auch um die Ästhetik, nicht nur um die Funktionalität?
Als Architekt habe ich diesen Anspruch ohnehin. Ich verstehe einen Bahnhof jedoch auch als einen der wenigen Stadträume, an denen heute noch Öffentlichkeit stattfindet. Und Räume für öffentlichen Verkehr sind auch nicht teurer, wenn man sie so gestaltet, dass sie etwas gleich schauen.
Durch den Schwerpunkt auf Autofahren wurden Bahnhöfe stark auf Funktionalität reduziert: Ticketautomat, Schutz vor dem Regen, Zug fährt ein und auf Wiedersehen. Gefeiert wird da nicht mehr viel.
Ich habe zwar kein Auto, aber ich fahre hin und wieder mit. Für mich ist die Autobahn eine optische Beleidigung. Wenn ich dann noch sehe, wie in einer Raststätte Preise für Benzin und Essen gestaltet werden, die voll die Abhängigkeit der Autofahrer ausnützen, dann frage ich mich schon, warum sich da niemand beschwert und alle mitmachen.

Was kann die Architektur zu einer Veränderung beitragen? Wie merke ich in einem von Ihnen gebauten Bahnhof, dass ich hier als Fahrgast ein bisschen aufgewertet werde?
Eine der schönen, bisher nicht erwähnten Stationen ist Eichgraben. Dort haben wir den Personendurchgang, die Stiegen und vieles, was da war, verwendet. Heute würde man „Re-use“ sagen.
Ein Teil dieses Durchganges wird nun als Raum bis zum Bahnsteig hochgezogen, man spürt die Proportionen und Materialien, viel Glas und Holz. Das ist räumlich spannend und angenehm, dazu erhalten wir auch Rückmeldungen. Architektur soll den Lebensraum lebenswert gestalten, Räume schaffen, in denen man sich gern aufhält. Es geht nicht nur um Funktion, sondern Atmosphäre und Wohlbefinden. Das verliert sich heute ein wenig. Wenn ich mit dem Zug in die Stadt fahre, bin ich lange in diesen Zwischen-Orten. Bahnhöfe waren früher so etwas wie die Agora, wo man sich traf. Im Gegensatz zum Autofahren, da trifft man keine anderen Leute.

Günter Mohr
Günter Mohr beim Architektur & Bau FORUM ©ÖWV/SB

Ihre Gestaltung möchte auch das Vorhandene integrieren. Wie in Strebersdorf, dort stehen direkt am Bahnsteig alte Bäume. Das ist besonders schön. Gibt es dazu noch weitere Aspekte? Welche Materialien oder Details in der Planung führen zur größeren Attraktivität der Stationen?
Bezüglich der Bäume führen die ÖBB ein strenges Regime. Doch das Wiener Baumschutzgesetz gilt auch dann, wenn sonst immer Eisenbahnrecht gilt. Bezüglich der Materialwahl war seitens der ÖBB möglichst viel Holzbau gewünscht.
Wir wollten unterschiedlich aussehende Haltestellen. Es macht keinen Spaß, wenn man alles immer wiederholt. Wir haben eine Unterkonstruktion aus Stahl verwendet, angelehnt an die Achsmaße der bestehenden Stahldächer. Dieses Maß geht von einem Eisenbahnwagon aus. Das sichtbare Holz ist vorne, wo der unmittelbare Kontakt mit dem Kunden stattfindet, die tragende Stahlkonstruktion dahinter wurde verkleidet.

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Es geht darum, den Bahnhof wieder zu einem öffentlichen Ort zu machen und diese Veränderung  in der Architektur anzuregen, außerdem diese Verknüpfung von verschiedenen Mobilitätsformen im Bahnhofsbereich sichtbar zu machen. Wie kann man ein Umdenken und eine Steigerung der Fahrgäste erreichen?

Bahnhof Strebersdorf
Bahnhof Strebersdorf ©David Schreyer/mohr niklas architekten

Interessant sind die Bahnhöfe weiter draußen, die einen guten Anschluss und Umsteigefunktionen haben. Es ist nicht mehr wie früher, dass die Leute sich dort ansiedeln, wo der Zug vorbeifährt, sondern dort, wo es ein billiges Grundstück gibt. Früher hat man eine Bahnlinie gelegt und sich dort angesiedelt.
Es gibt hier ein paar Widersprüche. Viele wohnen lieber am Land, fahren aber oft in die Stadt. Für den Weg vom Land benötigt man ein Auto. Die Schnittstellen sind Bahnhöfe, ausgestattet mit einem Parkhaus, das als Teil der ÖBB gratis sein muss, sonst wird es unattraktiv. Wir haben Bahnhöfe wie Strebersdorf, Korneuburg, die eigentlich einen Busbahnhof haben und als Mobilitätsdrehscheibe funktionieren, wo man von einem Verkehrsmittel aufs andere wechselt.
Der Bahnhof Tullnerfeld z.B. ist der Inbegriff des Schnittstellenbahnhofs mit großem Parkhaus und Grundstücken, die vor ein paar Jahren noch sehr günstig waren. Mit der Bahn ist man in 15 Minuten in Wien. Auch von Sankt Pölten pendelt man mit dem Zug in die Stadt, schneller als man es mit dem Auto je könnte. Die Bahn ist dem Auto überlegen.
Es wird oft über die Chancengleichheit von öffentlichem Verkehr und Auto diskutiert. Dass die Leute öffentlich fahren würden, wenn die Verbindungen besser wären. Doch öffentlicher Verkehr kann laut Definition nie so individuell wie ein Auto sein. Das Auto ist vor allem deswegen so erfolgreich geworden, weil man in seiner eigenen Welt ist, unabhängig. Man muss mit niemandem was zu tun haben und es ist bequem. Es ist die Manifestation des Individualismus. Das ist genau das Gegenteil von öffentlichem Verkehr. Die Frage wäre also, wie man das Auto unattraktiver macht. Wir reden über Klimawandel, nur trauen wir uns nicht, die heilige Kuh Auto anzugreifen. Auch Parteien machen mit dieser Abhängigkeit politisches Kleingeld, als wären Autofahrer eine zu schützende Spezies.

Bahnhof Eichgraben-Altlengbach
Bahnhof Eichgraben-Altlengbach ©Andreas Buchberger/mohr niklas architekten

Stichwort Pendlerpauschale etc., da wird der Individualverkehr mit dem Auto nicht unattraktiver gemacht, sondern gefördert. Und würden wirklich alle umsteigen, wenn in jedes Kuhdorf ein Bus fahren würde?Glaube ich nicht. Die Frage ist, wie sehr man das Auto unattraktiv macht. Man kann sich in Skandinavien etwas abschauen. Wer in Kopenhagen mit dem Auto war, weiß, dass es teuer wird, das Auto abzustellen. Es gibt kein Grundrecht auf ein Auto. Wenn man den öffentlichen Raum mit klaren marktwirtschaftlichen Kriterien berechnet, was ein Parkplatz kostet, wie viel dafür zu zahlen ist, und Kostenwahrheit schafft, hätte man einen Schlüssel, um das Problem anzugehen. Aber es ist sehr unpopulär, etwas wegzunehmen. Viel populärer ist es, etwas dazuzugeben. Über den Bahnhofsbau an sich wird man diese großen, planerischen Fragen nicht lösen können, aber man steckt als Architekt mit drin in diesem Dilemma. Das öffentliche Interesse wäre ein Thema, das man stärker betonen muss. Für wen ist das Ganze?

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Zur Person

Günter Mohr, Arch. DI, wurde 1972 in Dornbirn geboren. Von 1988 bis 1993 besuchte er die HTL für Möbel- und Innenausbau in Imst. Im Anschluss studierte er Architektur an der Technischen Universität Graz sowie an der Royal Danish Academy of Fine Arts in Kopenhagen, wo er seine Ausbildung 2000 abschloss. Zwischen 2001 und 2006 war er in verschiedenen Architekturbüros in Wien tätig. 2005 absolvierte er die Ziviltechnikerprüfung und ist seit 2006 als selbstständiger Architekt aktiv. Seit 2023 firmiert sein Büro unter dem Namen mohr niklas architekten ZT-GmbH.