Low Tech – High Effect!

Gebäudeplanung
17.08.2017

 
Klimagerecht Bauen Low-Tech-Gebäudekonzepte verfolgen einen optimierten Ansatz hinsichtlich der Potenziale der Umwelt und Klimafaktoren. Sonne, Wind, Luftströmungen, Tageslicht oder Vegetation werden im funktionalen Zusammenspiel zu bestimmenden Akteuren.

Um abseits hochentwickelter Gebäudetechnologie im Spannungsfeld zwischen Effizienz und Komfort heutigen Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es zielgerichteter planerischer Strategien. So werden im klimagerechten Bauen die Wechselwirkungen zwischen Klima, Gebäudeform, Ver- und Entsorgung zum entscheidenden Planungsprinzip. In der Publikation „Klima als Entwurfsfaktor“2 beschreiben die Autoren drei je nach klimatischen Bedingungen unterschiedlich anwendbare Verfahren: Das „Sparverfahren“ basiert auf Verlustminimierung durch Verdicken, Schrumpfen oder Eingraben. Verdicken meint dabei, speicherwirksames Volumen zu verdicken und Oberfläche zu reduzieren. Historische Bauweisen in alpinen Gebieten sind prototypisch für das Prinzip „Schrumpfen“. Dabei wurde in den Wintermonaten die Nutzfläche auf den beheizbaren Gebäudeteil reduziert.

Im Falle des Eingrabens wird der Baukörper weitgehend in das Terrain eingegraben oder mit Erde zugedeckt, um Verluste zu verringern. Dem „Sparverfahren“ diametral entgegengesetzt liegt das „Gewinnverfahren“. Hierin wird die Gebäudeform möglichst zur Sonne ausgerichtet, um maximale Erwärmung durch deren Einstrahlung zu lukrieren. Das dritte, „Ausweichverfahren“ benannte Prinzip wird charakterisiert mit „Einschließen, Durchlüften und Wandern“. Nutzräume werden innen eingeschlossen und mit einer äußeren Hülle als baulicher Sonnenschutz umgeben, mittels Windströmung durchlüftet oder je nach Tages- oder Jahreszeit wechselnd bewohnt. 
Eine umfassende Klimaanalyse steht als Schlüsselfaktor am Beginn einer klimagerechten Architektur. Mikro- bis makroklimatische Einflüsse als Potenzial für nachhaltige Gebäudekonzepte zu sehen bedeutet, den jeweiligen Standort genau zu kennen. Das heißt, „Klima“ wird als maßgebender Entwurfsfaktor definiert und damit zum Ausgangspunkt des planerischen Prozesses gemacht.

Wichtige Hinweise auf mögliche architektonische Begegnungen mit klimatischen Verhältnissen am Standort erhält man aus den für die Region typischen traditionellen Bauformen. Man spricht vielfach auch vom Wissen der „Baumeister der Vergangenheit“, das auf der Nutzung regionaler Umweltangebote und der Ressourcen vor Ort zur Heizung, Kühlung, Lüftung, Belichtung und Wasserversorgung beruht. 

Österreich liegt innerhalb Mitteleuropas in der gemäßigten Klimazone, im Übergangsbereich zwischen ozeanischen zu kontinentalen Klimaeinflüssen. Entsprechend dieser gemäßigt kontinentalen Klimaeinflüsse sind Gebäude traditionell gut wärmeisolierend ausgeführt. Dazu wurde herkömmlicherweise Holz als natürlicher Baustoff verwendet, gegebenenfalls mit gemauerten Steinen oder mit aus Lehm bestehenden Ziegelelementen ergänzt. In alpinen Regionen war Holz als Baumaterial vor Ort vorhanden, ohne lange Transportwege zu erfordern. Darüber hinaus war es als „wärmeisolierendes“ Baumaterial durch die Eigenschaft eines hohen Wärmedurchgangswiderstands und niedriger Wärmekapazität begünstigt. Die konsequente Weiterführung autochthoner Bauweisen leitet zu zwei grundlegenden Strategien:

  • eine klima- und standortoptimierte Gebäudeform und -oberfläche und/oder
  • die Schaffung unterschiedlich nutzbarer Klima- und Temperaturzonen im Gebäudeinneren, etwa durch Zonierung der Grundrisse.

Klima- und standortoptimierte ­Gebäudeformen 

Entscheidende Parameter des energetischen Verhaltens eines Gebäudes im Betrieb werden bereits mit dem Entwurf festgelegt. Dabei ist besonders die morphologische Gestalt eine bestimmende Größe. Im Planungsprozess werden grundlegende Entscheidungen hinsichtlich Gestalt und Typologie getroffen, welche wirksame Faktoren bezüglich Ressourcen und Energieoptimierung wie Gebäudeform, Orientierung, Grundrisstypologie und Öffnungsverhalten festlegen. Erfolgreiche Low-Tech-Strategien benötigen folglich bereits in der frühesten Entwurfsphase einen interdisziplinären und integralen Planungsansatz. Dementgegen sind im Planungsablauf die ­Arbeitsschritte der Gebäude-technik dem architektonischen Entwurf nachgereiht. Folglich kann die Gebäudetechnik nur reaktiv den Entwurf entsprechend optimieren, nicht aber im Sinne eines integralen Gesamtkonzepts mitgestalten.

Lösungsansätze realisierter Bauten spannen den Bogen von einer optimierten, mikroklimatisch- und standortangepassten Form bis hin zu Überlegungen, Funktionen und Nutzungen im Gebäude entsprechend den außen vorherrschenden Temperaturen unterschiedlich anzuordnen. Die standortangepasste Form variiert wiederum je nach Konzept oder Umgebungsparametern zwischen kompakten, hinsichtlich Öffnungsverhalten optimierten Baukörpern einerseits oder in das Terrain eingegrabenen Bauformen andererseits. Die Strategie der „exponierten kompakten Gebäudeform“ betrachtet den Baukörper als Energiespeicher, der mikroklimatisch verfügbare Umweltenergien – in der Regel solare Energie – aufnimmt, in der Baumasse zwischenspeichert und bei Bedarf wieder abgibt. Gebäudekonzepte, bei denen der gesamte Baukörper oder auch nur Teile in die Erde eingegraben sind, fokussieren auf eine Verlustminimierung, indem nur ein geringer Anteil der Gebäudeoberfläche mit der Außenluft in Verbindung steht. In tropischen Klimazonen hat umgekehrt die natürliche Durchlüftung mittels poröser Materialien oder vom Boden abgehobener Baukörper eine gängige Bautradition. Diese dritte Strategie des exponierten durchlässigen Baukörpers basiert auf der Maximierung der natürlichen Luftzirkulation, entweder aufgrund von Wind oder über thermischen Auftrieb.

Grundriss- und ­Temperaturzonierungen

Eine Möglichkeit, Räume ohne maßgeblichen Technikeinsatz für unterschiedliche Nutzungen und angepasst an saisonal unterschiedliche klimatische Bedingungen zu gebrauchen, ist die Zonierung entsprechend unterschiedlicher Klima- oder Temperaturniveaus. Hegger (2007a) beschreibt drei Möglichkeiten einer Grundrisszonierung:

  • Konzentrische Zonierung: Die konzentrische Zonierung ermöglicht hohe Gebäudetiefen und integriert die klimatisch zu schützenden, thermisch stabil zu haltenden Nutzungen in den Gebäudekern.
  • Lineare Zonierung: Eine lineare Zonierung basiert auf der Orientierung zur Sonne. Die Räume mit dem größten Licht- und Wärmebedarf sind nach Süden, Osten oder Westen ausgerichtet, die geringer oder nicht dauerhaft zu beheizenden nach Norden.
  • Geschoßweise Zonierung: Die geschoßweise Zonierung legt die Räume mit hohen Anforderungen typischerweise in den Kern eines Geschoßstapels.“3

Anleihen zur klimaangepassten Grundriss- und Temperaturzonierungen findet man wiederum im autochthonen Bauen. Naturnah lebende Bevölkerungsgruppen entwickelten Bautechniken, die sich notgedrungen auf örtlich vorhandene Ressourcen beschränkten und den lokalen, geologischen und klimatischen Gegebenheiten bestmöglich angepasst sind. Im sehr sparsamen Umgang mit Materialien, reduziert auf einfache handwerkliche Bautechniken und die notwendige Wirtschaftlichkeit, bieten sie einen Fundus für mögliche Low-Tech-Lösungen. So sind zum Beispiel traditionelle Gebäudekonzepte im alpinen Raum anschauliche Beispiele für Möglichkeiten saisonaler Grundrisszonierung. Im traditionellen Schwarzwaldhaus zum Beispiel ziehen sich die Bewohner im Winter in einige wenige bewohnte Räume, rund um die zentrale Wärmequelle, zurück. Über dem Wohnteil liegen zudem Lagerräume für das Heu, die im Winter eine enorme Dämmschicht darstellen, die gegen den Frühling hin allmählich schrumpft.

Energiepotenziale der Umwelt ­nutzen

Bauen mit den Potenzialen der Umwelt bedeutet, sich das Angebot der Natur zunutze zu machen. Unterschieden werden einerseits Klimaelemente – die wichtigsten sind Solarstrahlung, Wind, Temperatur und Luftfeuchte – sowie andererseits Klimafaktoren wie Breitengrad, lokale und überregionale Windverhältnisse oder die Höhenlage eines Standorts. 

Das Sonnenhaus des Sokrates (469–397 v. Chr.) – ein 2.500 Jahre altes Konzept des griechischen Philosophen – zeigte bereits, wie die Sonne auch ohne technischen Aufwand „passiv“ genutzt werden kann. Ein kompakter trichterförmig zur Sonne orientierter Baukörper, nach Süden exponierte großflächige Fenster und im Norden geschlossene, massive Wände und Steinböden zur Wärmespeicherung sowie Pufferzonen ergeben zusammen ein stimmiges Konzept heutiger Solararchitektur. Selbst den wechselnden Sonnenstand im Jahresverlauf hat Sokrates schon berücksichtigt. In den 1970er-Jahren plädiert der ungarische Architekt Pierre Robert Sabady für eine „energetische Optimierung“ von Gebäuden und veröffentlicht die „7 Grundpfeiler des Biosolarhauses“4.

Erläutert werden seine Prinzipien am Beispiel des von ihm 1977 geplanten Einfamilienhauses, dem Biosolarhaus Hälg bei Luzern. Wie bei Sokrates’ Sonnenhaus ist der Grundriss trapezförmig ausgebildet. Während die breitere Südseite großzügig verglast ist, bleibt die schmälere Nordseite mit den hier angeordneten Nebenräumen nahezu fensterlos. Treppenhaus, Keller oder Dachstock organisiert er im Grundriss als innenliegende Pufferzonen, während ein großzügiger, der Südfassade vorgesetzter Wintergarten eine äußere Pufferzone bzw. einen Treibhausraum darstellt. 
Die natürliche Luftbewegung resultiert aus Druckunterschieden infolge von Temperaturdifferenzen.

Eine natürliche Lüftung kann demzufolge entweder aufgrund von Wind oder thermischem Auftrieb erfolgen. Windkräfte oder natürliche Luftbewegungen am Gebäude zur Belüftung und Kühlung der Innenräume zu nutzen hat eine ähnlich weit zurückreichende Tradition wie jene der Solararchitektur. Im Persischen Golf und der Mittelmeerregion gehören Windtürme zu den Wahrzeichen klassischer Architektur. Durch die Möglichkeit, damit Räume zu kühlen, gelten sie als Vorläufer der Klimaanlagen. Die Funktionsweise basiert rein auf Thermik, konkret auf der Tatsache, dass warme Luft aufsteigt, während kalte Luft aufgrund der höheren Dichte zu Boden sinkt. Lüftungsöffnungen, die je nach Standort und Windverhältnissen unterschiedlich ausgerichtet sein können, „fangen“ die am Boden dahinstreifende oder vom Meer kommende „kühle Brise“ ein und leiten sie durch das Gebäude.

Bei Windstille sorgt der Kamineffekt für den nötigen Luftaustausch. Die Hitze, die während des Tages in den massiven Wandteilen gespeichert ist, wird in den Raum abgegeben und zieht nach oben hin ab. Dabei strömt durch Türen und Fenster gleichzeitig frische und kühle Luft nach. Unterstützt wird dieses Prinzip der natürlichen Kühlung häufig durch eine Kombination mit Wasserverdunstung. Dabei wird Luft aus dem Windturm durch einen feuchten Keller oder über wassergefüllte Becken geleitet. Das Wasser verdampft in der kühlen, aber trockenen Luft, und diese wird dadurch nochmal stärker gekühlt. Darauf aufbauende Konzepte zur natürlichen Klimatisierung werden weiterhin international erforscht und erprobt. 

Autorin:
Edeltraud Haselsteiner

Branchen
Architektur