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Wie Bauwerksbegrünung die Städte von morgen prägt

Immer heißere Sommer, versiegelte Flächen und zunehmender Platzmangel machen Bauwerksbegrünung zu einem zentralen Baustein der nachhaltigen Stadtentwicklung. In der aktuellen Folge des Podcasts "Architektur & Bau FORUM" sprechen Susanne Formanek von Grünstattgrau und Birgit Tegtbauer vom Wirtschaftsverlag über den Status quo, Herausforderungen und Potenziale dieser zukunftsweisenden Bauweise.

“Begrünung sollte ein Teil von Architektur werden und nicht ein nettes Add-on sein”, betont Susanne Formanek, Geschäftsführerin von Grünstattgrau. In Zeiten zunehmender Hitzewellen und Starkregenereignisse gelten begrünte Dächer und Fassaden als passive Maßnahmen mit multipler Wirkung: Sie sorgen durch Verdunstungskühlung und Verschattung für niedrigere Umgebungstemperaturen, reduzieren die Belastung der Kanalisation durch Wasserretention und fördern Biodiversität.
Ein Beispiel aus Berlin zeigt, wohin die Reise geht: Dort darf Regenwasser nicht mehr eingeleitet werden – Dachbegrünungen übernehmen die komplette Retention. Auch in Österreich ist die Entwicklung weit fortgeschritten. Das Land verfügt als einziges europäisches Mitglied über eine eigene Norm für Fassadenbegrünung, die neben Pflegekonzepten auch den Brandschutz detailliert regelt.

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Interdisziplinarität als Schlüssel

Erfolgreiche Begrünungsprojekte erfordern eine enge Zusammenarbeit zwischen Stadtplanung, Architektur, Landschaftsarchitektur, Ingenieurwesen und Ausführung. Ein Paradebeispiel: Das Projekt in der Wiener Kauergasse, bei dem gereinigtes Grauwasser zur Bewässerung von Fassadenbegrünungen genutzt wird – ein erfolgreiches Zusammenspiel von Haustechnik, Städtebau und Landschaftsarchitektur.
Grünstattgrau selbst versteht sich als Kompetenzzentrum, das Forschung, Innovation und Praxis verknüpft. Die Organisation begleitet über 500 Projekte und arbeitet mit mehr als 350 Partner*innen aus allen Bereichen der grünen Wertschöpfungskette zusammen.

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Innovation durch Praxisprojekte

Die größten Fortschritte entstehen oft weniger durch neue Technologien als durch clevere Prozessinnovationen. Das Projekt “NANU?!” etwa entwickelte ein parametrisches System zur multifunktionalen Nutzung kleiner Dachflächen. Es berücksichtigt Aufenthaltsqualität, Biodiversität, Regenwasserspeicherung und energetische Effekte. Unterstützt wurde es vom IBO – dem Österreichischen Institut für Baubiologie und -ökologie – sowie vom AIT, dem Austrian Institute of Technology, einem führenden Forschungsinstitut für angewandte Technologieentwicklung.
Ein weiteres Highlight ist der mobile Schauraum „MUGLI“, ein Container, der mit verschiedenen Begrünungstechnologien bestückt ist und Gemeinden sowie Bildungseinrichtungen zur Demonstration dient. Er ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung, die Grünstattgrau als wesentlichen Hebel betrachtet.

Standardisierung und Ausbildung

Dennoch bestehen bei Bauherrinnen und Bauherren weiterhin Vorbehalte hinsichtlich Kosten und Wartungsaufwand. Dem begegnet man mit gezielter Planung, frühzeitiger Integration in den Bauprozess und Aufklärung. In Wien ist Begrünung mittlerweile in der Bauordnung verankert und Landschaftsarchitekt*innen sind Teil vieler Juryverfahren.
Ein Meilenstein ist die Einführung des Lehrberufs “Klimagärtner”, der auf Initiative von Grünstattgrau und der Wirtschaftskammer entstand. Ebenso wichtig ist die Weiterbildung für Handwerkerinnen und Handwerker – etwa über modulare Schulungen zur Bauwerksbegrünung, die neue Berufsfelder erschließen und von Grünstattgrau angeboten werden.

Technik trifft Nachhaltigkeit

Technologisch setzen sich vor allem modulare Systeme, automatisierte Bewässerung und Kombinationen mit Photovoltaik durch. Substrate werden zunehmend ressourcenschonend aufbereitet, etwa mit Biokohle zur CO₂-Bindung. Auch die Kreislaufwirtschaft hält Einzug: Abdichtfolien ohne Biozide und biobasierte Materialien sind auf dem Vormarsch.
Ein zukunftsweisendes Projekt ist etwa “GLASgrün” in Söll (Tirol), bei dem begrünte Fassadenflächen architektonisch integriert werden und gleichzeitig als Kühlkörper wirken. Die Wirkung der grünen Beschattung wird dort wissenschaftlich evaluiert – Teil eines wachsenden Forschungsfelds, um Begrünungen messbar und damit zu machen.

Begrünung in der Sanierung

Mit Blick auf die hohe Zahl an Gebäuden aus der Vorkriegszeit rückt die Sanierung ins Zentrum der Begrünungsdebatte. Besonders Dachbegrünungen lassen sich im Zuge einer Dachsanierung effizient umsetzen, aber auch bodengebundene Fassadensysteme sind praktikable Lösungen. Die Stadt Wien fördert deren Einsatz gezielt, unter anderem durch Anforderungen an den Mindestbegrünungsanteil.
“60 Prozent der Gebäude in Wien stammen aus der Zeit vor 1970 – die Sanierung bietet hier enormes Potenzial”, so Formanek. Die Bauwerksbegrünung leistet dabei einen Beitrag zur thermischen Sanierung, zur Kühlung und zur Reduktion urbaner Hitzeinseln.

Stadt der Zukunft

Für Susanne Formanek liegt die Stadt der Zukunft in der intelligenten Weiterentwicklung des Bestehenden: “Wir haben eine gebaute Stadt – und die Stadt Wien ist ein gutes Beispiel dafür, wie man aus einer alten Struktur eine klimafitte Umgebung schaffen kann.” Ihre Vision umfasst die Kombination aus hochwertiger Sanierung, durchdachter Begrünung und technischer Innovation. Begrünte Gebäude, kühlende Kältenetze und naturnahe Freiflächen sollen dazu beitragen, dass Städte auch unter den Bedingungen des Klimawandels lebenswert bleiben. “Man muss nicht raus aufs Land fahren, um Grün zu erleben – das muss mitten in der Stadt möglich sein”, betont sie.

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Stefan Böck (Redaktionsleiter beim Wirtschaftsverlag), Birgit Tegtbauer (Chefredakteurin Handwerk und Bau) und Susanne Formanek bei der Aufnahme des Podcasts "Architektur & Bau FORUM". © Wirtschaftsverlag
Stefan Böck (Redaktionsleiter beim Wirtschaftsverlag), Birgit Tegtbauer (Chefredakteurin Handwerk und Bau) und Susanne Formanek bei der Aufnahme des Podcasts “Architektur & Bau FORUM”. © Wirtschaftsverlag

Zur Person: Susanne Formanek

Susanne Formanek ist Geschäftsführerin von Grünstattgrau, dem österreichischen Kompetenzzentrum für Bauwerksbegrünung. Sie ist zudem Präsidentin des Österreichischen Instituts für Baubiologie und -ökologie (IBO) und Vorständin von Renowave.at, einem Innovationslabor für Sanierung und nachhaltiges Bauen. Seit über 20 Jahren engagiert sie sich in Forschung, Entwicklung und Öffentlichkeitsarbeit rund um das Thema Green Building. Unter ihrer Leitung begleitete Grünstattgrau über 500 Projekte und etablierte zahlreiche Standards und Bildungsinitiativen in der Branche.


 

Redaktion Handwerk + Bau

Die Redaktion von Handwerk und Bau vereint erfahrene Journalist:innen und Expert:innen aus der Bau- und Handwerksbranche. Mit fundiertem Fachwissen und einem Gespür für aktuelle Trends informieren wir Sie über Neuheiten, innovative Technologien und bewährte Techniken. Unser Ziel ist es, Sie mit praxisnahen Tipps und tiefgehenden Analysen bei Ihren Projekten zu unterstützen.