Baurecht

Anspruch auf Ausschreibungsunterlagen

Ein Bauunternehmen wollte nachträglich Einsicht in die Ausschreibungsunterlagen eines öffentlichen Projekts – obwohl es gar nicht mitgeboten hatte. Der Fall landete beim Obersten Gerichtshof.

Die Klägerin begehrte von einem öffentlichen Auftraggeber die Herausgabe der Ausschreibungsunterlagen zu einem Vergabeverfahren, das zunächst rechtswidrig durchgeführt, anschließend aufgehoben und inzwischen beendet wurde. Sie hatte sich weder an diesem Vergabeverfahren noch an der nachfolgenden Neuausschreibung beteiligt. Ihren Anspruch stütze sie einerseits auf §§ 89 Abs 2 und 260 Abs 2 BVergG 2018, die festlegen, bis wann die Ausschreibungsunterlagen jedenfalls abrufbar bleiben müssen, und anderseits auf einen Schadenersatzanspruch aus vorvertraglicher Haftung (culpa in contrahendo), den sie mit einem Informationsdefizit „wegen verunmöglichter Einblicke in den Markt“ begründete.
Die Bereitstellung der Ausschreibungsunterlagen dient der Transparenz und soll potenziellen Interessenten ermöglichen, festzustellen, ob sie sich an einem Verfahren beteiligen möchten. Es gilt der Grundsatz, dass die Ausschreibungsunterlagen elektronisch, kostenlos, direkt, uneingeschränkt und vollständig zur Verfügung gestellt werden müssen. Dabei ist zu beachten: Die Ausschreibungsunterlagen müssen zumindest bis zum Ablauf der Teilnahmeantrags- bzw Angebotsfrist abrufbar sein. Eine Bereitstellung über diesen Zeitpunkt hinaus ist zwar zulässig, aber nicht verpflichtend. Die genannten Bestimmungen beziehen sich somit nur auf die Durchführung des Vergabeverfahrens und den Zeitraum bis zur Beendigung des jeweiligen Verfahrens.

Vorvertragliche Sorgfaltspflichten

Auch im Vergabeverfahren bestehen vorvertragliche Sorgfaltspflichten (culpa in contrahendo) zwischen (öffentlichen) Auftraggebern und Bietern. Jedoch setzt dies ganz allgemein zumindest die Aufnahme eines rechtsgeschäftlichen Kontakts des Geschädigten zum Auftraggeber in Hinblick auf einen möglichen Vertragsabschluss voraus. Die Klägerin hatte sich jedoch weder als Bewerberin noch als Bieterin beteiligt, und konnte ihren Anspruch daher auch nicht auf eine im Rahmen des Verfahrens bereits erworbene Rechtsposition stützen.
Darüber hinaus stellte der OGH erneut klar, dass das österreichische Recht keinen Anspruch auf Ersatz eines Nachteils vorsieht, der sich aus der bloßen Nichtwahrnehmung der Chance zur Teilnahme an einem Vergabeverfahren ergibt, da es sich hierbei um kein selbstständiges Rechtsgut mit Verkehrswert handelt. Diese Einschätzung gilt umso mehr, wenn lediglich ein allgemeines Informationsinteresse über das Marktgeschehen geltend gemacht wird, das für sich genommen keinen Vermögensnachteil begründet.
Der OGH kam im Anlassfall zum Ergebnis, dass grundsätzlich keine Verpflichtung besteht, Ausschreibungsunterlagen über den Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung hinaus zur Verfügung zu stellen. Der OGH schließt aber wohl einen Herausgabeanspruch nicht grundsätzlich aus; vielmehr kann es durchaus Konstellationen geben, in denen ein zivilrechtlicher Anspruch auf Herausgabe der Unterlagen aus vorvertraglichen Pflichten – auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens – abgeleitet werden kann.


Der Autor

Mag. Mathias Ilg, MSC ist Rechtsanwalt bei Müller Partner Rechtsanwälte GmbH, Rockhgasse 6,
A-1010 Wien
www.mplaw.at