Interview

Sanierung als wesentlicher Faktor

Michel Balak im Interview über das Potenzial von Sanierung in der Stadtentwicklung, die Notwendigkeit von Erfahrungsaustausch und die Stadt als Rohstofflager.

Prinzipiell können Städte wie Wien auf eine sehr gute alte Bausubstanz zurückgreifen. Dennoch wird Sanierung oft noch stiefväterlich behandelt. Ein Fehler, meint der Geschäftsführer des OFI Michael Balak, denn gerade dort schlummert viel ungenutztes Potenzial. Im Interview erklärt er, wo dieses liegt, wie der Austausch in der Branche hilft, sich stetig weiterzuentwickeln, und wie man gemeinsam mit anderen Mitgliedern der ACR alten Baustoffen wieder neues Leben einhauchen will.

Warum ist es auch aktuell wichtig, den Bestand zu erhalten?

Michael Balak
"Egal ob Schulen, Magistratsabteilungen oder Amtsgebäude – durch Aufstockung kann notwendiger, hochwertiger innerstädtischer Wohnraum geschaffen werden. Die ersten Projekte dieser Mischnutzung sind schon in Planung." - Michael Balak, Geschäftsführer OFI

Michael Balak: Ein Faktor ist rein ökonomisch. Es gibt unzählige Tourismusstudien, die fragen, warum Menschen Städte besuchen, und die Antwort ist sehr oft das Ambiente. Im Falle von Wien ist es noch die alte, originale Bausubstanz im Vergleich zu anderen Städten, wo vieles nach dem Zweiten Weltkrieg angepasst wieder aufgebaut wurde. Das sieht und spürt man. Ein anderer Grund sind natürlich die Vorzüge der alten Substanz: dicke Mauern, bauphysikalisch absolut zeitgemäße Bauten, hohe Räume und auch das Gefühl in den Wohnungen. Natürlich sind Gründerzeithäuser flächentechnisch nicht optimiert, aber sie bieten dennoch ein enormes Potenzial.

Von welchen Potenzialen reden wir hier?

Balak: Hier geht es vor allem um notwendige Nachverdichtung. Aktuell wurden erst 25 bis 30 Prozent der möglichen Dachausbauten umgesetzt. Hinzu kommt der Trend, den Souterrainbereich dieser Objekte auch als Wohnraum zu revitalisieren und nutzen. Andere Zukunftsprojekte betreffen die Aufstockung öffentlicher Bestandsobjekte. Egal ob Schulen, Magistratsabteilungen oder Amtsgebäude – durch Aufstockung kann notwendiger, hochwertiger innerstädtischer Wohnraum geschaffen werden. Die ersten Projekte dieser Mischnutzung sind schon in Planung.

Geht es um massive Bestandsgebäude, was sind die am häufigsten auftretenden Schadbilder?

Balak: Das Hauptthema ist Feuchtigkeit, die – egal ob von oben oder unten – in die Bausubstanz eintritt. 50 Prozent aller Mängel aus den Bauschadensberichten sind alleine auf Feuchtigkeit zurückzuführen. Wir haben für die Forschungsinitiative „Zukunftssicheres Bauen“ des Fachverbands der Stein- und keramischen Industrie eine österreichweite Untersuchung alter massiver Bausubstanz – vom Mittelalter bis in die 1980er-Jahre – durchgeführt. Das Conclusio: Dort, wo es Probleme gab, drang Wasser in die Bausubstanz ein. Die anderen sind in perfektem Zustand.

Trotzdem ist jede Sanierung individuell zu betrachten und hat ihre eigenen Tücken. Wie wichtig ist hier eine fundierte Aus- sowie stetige Weiterbildung?

Balak: Gerade Altsubstanzen und Sanierung werden in den Ausbildungen – egal ob auf Universitäten, HTLs oder Fachhochschulen – nur am Rand gestreift. Zwar gibt es verschiedene Spezialisierungslehrgänge, für die Masse ist es aber leider nicht in dem Umfang im Lehrplan verankert, wie es sich gehören würde. Deswegen fehlt den Leuten, die zukünftig die Planung und ÖBA oder die Ausführung machen, oft das Know-how im Umgang mit der alten Bausubstanz. Es gibt einige, die wissen, dass sie nicht genug wissen, und dementsprechend unabhängige Experten wie das OFI hinzuziehen. Dann gibt es andere, die sich lieber die Kosten sparen, auf die Beratung von Produktherstellern vertrauen und dann erst recht viel Geld verbrennen, da die Beratung oft am Thema vorbeiläuft und Maßnahmen durchgeführt werden, die objektspezifisch gar nicht notwendig wären. Man hat auch das Gefühl, dass ein abgeschlossenes Studium für das restliche Berufsleben reichen muss. Aber egal ob Bauphysik, Bauchemie oder Produkte: Es gibt laufend neue Entwicklungen. Jedoch sind Weiterbildungen oftmals schlecht besucht, und das spiegelt sich dann in der Praxis wider.

Dafür bieten Veranstaltungen wie die Sanierungstage des OFI eine Plattform, um sich auszutauschen und voneinander zu lernen.

Balak: Das stimmt, und es freut uns sehr, dass wir bereits seit 30 Jahren unsere Sanierungstage abhalten können. Gerade der persönliche Austausch ist bei speziellen Herausforderungen sowie Entwicklungen noch immer am produktivsten. Wir sind zwar vielleicht vom Stellenwert her noch nicht die Aachner Bausachverständigen-Tage, inhaltlich halten wir aber mit.

Investitionen in den Bestand werden gerade als sehr nachhaltig präsentiert – wie weit sollte man also bei Sanierungen gehen?

Balak: Prinzipiell sollte man alles, was möglich ist, mitdenken. Feuchtigkeitsbekämpfung, Aufstockung, PV-Anlagen, das Haus als Speicher und so weiter. Auch die Heizsysteme sollten gleich angepasst werden und mit entsprechenden Lüftungsanlagen versehen werden. Ich glaube auch, dass mit den gestiegenen Energiekosten ein Umdenken stattfinden wird, was die Wärmegewinnung betrifft. Da wird aktuell wenig daran gedacht. In Stuttgart arbeitet man beispielsweise an Dachziegeln für Steildächer, die mit Photovoltaik ausgestattet sind. Und da gibt es noch unzählige andere Möglichkeiten.

Sollte man dabei nicht besser gleich in ganzen Wohnblocks oder Bezirksteilen denken, um das Potenzial voll auszuschöpfen?

Balak: Prinzipiell würde es sehr viel Sinn machen. Es gibt im zehnten Wiener Gemeindebezirk ein Pilotprojekt zu dem Thema. Aber ja, je mehr man es als Stadtentwicklung ansieht und weniger als Sanierung eines einzelnen Objekts, desto effizienter kann es werden.

Dabei geht es auch viel um die Wiederverwertung vorhandener Baumaterialien.

Balak: Auch daran arbeiten wir gerade mit den ACR-Instituten HFA und IBO in dem Forschungsprojekt „Bau-Cycle“. Ziel ist die Schließung wesentlicher Lücken in der Kreislaufführung von Bauprodukten insbesondere für die ­Materialgruppen Altholz, Altfenster und Dämmstoffe. Dieses Cradle-2-­Cradle-Prinzip wird im Zusammenspiel mit der Betrachtung der Stadt als Rohstofflager in Zukunft eine große Rolle spielen. Die Bestandserfassung und die Erfassung der Recyclingfähigkeit von Bestandsrohstoffen ist ein Thema, das uns noch lange beschäftigen wird.

Veranstaltungstipp

Wiener Sanierungstage 2022

Zum 30-Jahr-Jubiläum rücken die Wiener Sanierungs­tage des OFI am 5. und 6. Mai das Thema „Nachhaltige Instand­setzung der Bausubstanz: Technologien, Praxisbeispiele, Qualitätssicherung“ in den Fokus.

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