Tiefbau

Digitalisierung im Tiefbau

Digitalisierung
09.11.2021

 
Warum verläuft die Digitalisierung im Tiefbau schleppend, und was hat das für Konsequenzen?
Die Schlossgalerie in Tirol
Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von BIM: die Schlossgalerie in Tirol. In diesem sehr komplexen Brückenprojekt mit schwierigen geologischen und geotechnischen Randbedingungen wäre besonders die Vermessung in der komplexen Geländelage der Brücke ohne Drohnenvermessung deutlich schwieriger und fehleranfälliger gewesen.

Der Status quo bei Tiefbauprojekten ist schwer zu benennen. In manchen Bereichen hat sich schon einiges getan, andere führen ein eher stiefmütter­liches Dasein. Christoph Winkler, Teamleiter Execution Digitalisation Support bei Porr, kann davon ein Lied singen: "In vielen Teilbereichen, insbesondere bei der Logistikoptimierung, sind wir schon sehr weit fortgeschritten. In anderen Themenfeldern, zum Beispiel beim Einsatz von Building Information Modeling (BIM) im Tiefbau, sind wir mitten in der Entwicklung. Und an vielen anderen Stellen steht die Branche erst am Anfang." Ein Anfang, der sich bald in Richtung "Endspurt" aufmachen sollte, denn die Bauindustrie hat den Mehrwert digitaler Tools in Verkehrswegebauprojekten für sich erkannt, große Bauherren wie Deutsche Bahn, ÖBB, Deges und Asfinag setzen vermehrt auf Tools wie Building Information Modeling, Lean Construction und digitale Lebens­zyklusbetrachtungen.

Unabdingbar für den Fortschritt der Digitalisierung: ausreichende Datenverbindungen und offene Schnittstellen. Letztere sind der Schlüssel zur ganzheitlichen Digitalisierung.

Christoph Winkler, Porr

Datensilos aufbrechen

Um mit den neuesten Entwicklungen und den Anforderungen der großen Auftraggeber mithalten zu können, wird bei der Strabag alles, was mit Digitalisierung zu tun hat, gemeinschaftlich von den zentralen und den operativen Unternehmensbereichen mittels sogenannter Task-Groups und in Pilotprojekten entwickelt. Christoph Lienhart, Direktionsleiter Verkehrswegebau, Zentrale Technik in der Strabag, geht es dabei um mehr als nur BIM: "Uns geht es vielmehr darum, Datensilos aufzubrechen, die vorhandenen Daten zu nutzen, Prozesse zu standardisieren und konsequent zu digitalisieren. Nur so schaffen wir es, gewerkeübergreifend in einem integrierten Modell zusammenzuarbeiten und damit die Daten auch effizient zu nutzen." Auch bei der Porr fokussiert man sich schon länger auf die neuen Technologien, auch hier gibt es eine spezialisierte Abteilung – "Operational Management" –, die sich intensiv mit der Digitalisierungsunterstützung der Operative befasst, von der Erhebung eines Potenzials bis zur Ausrollung einer fertigen digitalen Lösung. 

Vor allem Lean Management soll Kosten einsparen. In Kombination mit BIM und GIS wird das ähnlich große Effizienzsteigerungen wie in der stationären Industrie mit sich bringen.

Christoph Lienhart, Strabag

Effizienzsteigerung durch digitale Systeme?

Ob die Effizienz auf der Baustelle durch die Digitalisierung gesteigert werden kann, beantwortet ­Christoph Lienhart von der Strabag mit einem klaren Ja: "Maßgeblich. Vor allem Lean Management als ganzheitlicher Denkansatz soll Verschwendung vermeiden und gleichzeitig Kosten und Bauzeit einsparen. In Kombination mit Tools wie BIM und GIS wird dieser Ansatz ähnlich große Effizienzsteigerungen wie in der stationären Industrie mit sich bringen. Besonders in der digitalen Vermessung mittels Drohnen und Laserscans werden bereits heute große Einsparungen realisiert." Allerdings muss in diesen Bereich auch investiert werden. Mitarbeiter*innen müssen entsprechend ausgebildet und auch flächendeckend mit geeigneter Hard- und Software ausgestattet werden, sämtliche Prozesse im Bauen müssen digitalisiert und Schnittstellen geschaffen bzw. vereinfacht werden. Lienhart: "Gerade im öffentlichen Tief- und Verkehrswegebau ist es unser aller Aufgabe, die bestehende Rollenverteilung zwischen Auftrag­gebern, Bauindustrie, Planern, Beratern, Behörden und Erstellern von Richtlinien auf diesen digitalen Wandel vorzubereiten."

Die Software: individuell und doch einheitlich

Philipp Maroschek, Geschäftsführer des Software­unternehmens Eguana, will der Baubranche die Umstellung auf neue innovative, digitale Systeme erleichtern. Durch neue Entwicklungen und einen interdisziplinären Ansatz will man Produktions- und Prozessdaten effizient managen und das Arbeitsumfeld der Kunden optimal und ganz individuell digitalisieren: "Bei der Digitalisierung bzw. dem Datenmanagement geht es aber meiner Meinung nach um mehr als nur darum, via Internet auf Gerätedaten zugreifen zu können und Abhilfe bei der Dokumentation zu schaffen", erklärt Maroschek, "es soll und muss durch den Einsatz moderner Technologien und Innovationen das Leben auf der Baustelle maßgeblich erleichtert werden. Ich glaube, in den Daten liegt noch jede Menge Potenzial. Es ist für mich selber immer wieder beeindruckend, wie viele Informationen, wie z. B. Druck- und Mengenverläufe, man beispielsweise aus simplen Injektionsdaten ziehen kann. Diese reichen von Aussagen über Produktion über Bauzeitprognosen hin zur automa­tisierten Abrechnung." Das Softwareunternehmen Fielddata.io GmbH unterstützt Spezialtiefbauunternehmen dabei, effektive Werkzeuge für die Steuerung und Dokumentation ihrer Projekte optimal nutzen zu können. CEO Jochen Maurer weiß aus seiner täglichen Praxis, dass die Digitalisierung noch nicht so richtig auf der Baustelle angekommen ist – obwohl digitale Tools und passende Hardware schon lange verfügbar sind. Hier gibt es einigen Nachholbedarf bei den Baufirmen. Maurer: "Laut einer Umfrage benötigen Projektverantwortliche rund 1,5 Wochentage pro Woche für die Dokumentation ihrer Projekte. Eine Unterstützung durch digitale Tools spart also definitiv Arbeitszeit von Projektverantwortlichen. Aber neben der Ersparnis von Arbeitszeit ist ein weiteres Argument für die Digitalisierung, dass digitale Daten einfacher weiterverwendet werden können, was bei Papierinformationen nicht der Fall ist. Es ist einfach sinnvoll, die wiederholte manuelle Neueingabe von Informationen und Daten zu vermeiden, indem die Daten einmal digital in einer Construction-Data-Management-Plattform erfasst werden."

Seit Beginn der Pandemie hat das Thema Baustellen- Digitalisierung deutlich an Fahrt aufgenommen. Trotzdem sind noch nicht alle bereit für den nächsten großen Schritt, viele haben Ängste.

Philipp Maroschek, Eguana

Woher kommen die Daten?

Um digitale Systeme installieren zu können, braucht es natürlich auch die entsprechenden Daten. Diese werden zum Teil von den Baumaschinen selbst aufgezeichnet bzw. von in oder an den Geräten installierten Datenerfassungseinheiten. An diesen Prozess­datenerfassungen hängen dann unterschiedliche Sensoren, um beispielsweise Drücke, Durchflussraten, Verpressmengen, Temperaturen, Tiefenfortschritte u. v. m. zu erfassen. Die Daten werden direkt vom Gerät, z. B. von einer Baumaschine oder einer Datenerfassungseinheit, oder indirekt via Upload-Tools (spezielle Emulatoren oder auch Software) an ein übergeordnetes Datenmanagementsystem übermittelt. Es können zudem auch manuell die Messdatensätze in unterschiedlichen Formaten per Drag and drop einfach in den Browser gezogen und importiert werden. Da sich nicht alle Daten über Maschinen oder Daten­erfassungsgeräten abgreifen lassen, können diese auch durch Smartphone-Apps, andere Systeme, sogar Excel-Files, Plandaten etc. oder manuelle Eingaben erfasst werden. Das heißt, es können Daten von unterschiedlichsten Datenquellen verarbeitet werden. Philipp Maroschek kennt die Pro­blematik bei dieser unterschiedlichen Datengewinnung: "Da man im Spezialtief- und Tunnelbau keine Baustelle so wirklich mit einer anderen vergleichen kann, variieren auch Anzahl und Qualität von Datenquellen entsprechend. Wir versuchen hier auch in beratender Form dabei zu unterstützen, die für das Projekt relevanten Daten zu erheben. Dabei werden am Markt verfügbare Systeme und Komponenten eingesetzt oder hinzugezogen. Für Spezialfälle, wo eine kontinuierliche Datenerhebung unumgänglich ist, entwickeln wir auch eigene Elektronik und Sensorik."

Datensicherheit immer wichtiger

Die Datensicherheit gewinnt durch die voranschreitende Digitalisierung natürlich zunehmend an Bedeutung. Generell sollte man sicherstellen, dass alle Daten verschlüsselt übertragen werden. Die meisten Browser verfügen bereits über einfache Sicherheitsüberprüfungen und weisen auf gefährliche Web­sites oder Webplattformen hin. Wichtig ist hierbei auch, darauf zu achten, wo und wie die Daten gespeichert werden. Ein sehr heikles Thema, weiß Maroschek: "Oftmals fühlt man sich bei großen Softwareunternehmen sicher und stellt im Nachhinein dann fest, die Umsetzung passt nicht, so werden beispielsweise die Daten gar nicht in Österreich oder Deutschland gespeichert, sondern in Grönland. Dort unterliegen sie eventuell auch keinen sonderlich restriktiven Datenschutzgesetzen oder -verordnungen und können von den Softwareunternehmen entsprechend verwendet werden."

Digitalisierung ist ein Überlebensfaktor

Zukünftig wird man an dem Thema digitale Baustelle jedenfalls nicht mehr vorbeikommen, ist ­Jochen Maurer von Fielddata überzeugt: "Hier braucht es die Weitsicht der Unternehmensleitung, ohne Digitalisierung werden Unternehmen in der Zukunft nicht überleben können. Das Ganze ist ein Change-­Prozess, der natürlich eine Veränderung für die Mitarbeiter mit sich bringt. Diese Veränderung muss natürlich begleitet werden." 

Bauprobleme müssen mit Baufachwissen gelöst werden. Bei der Einbindung von Partnern oder Spezialisten hilft die Digitalisierung aber massiv.

Jochen Maurer, CEO Fielddata.IO GmbH

Alexander Rausch, Geschäftsführer der Bauer Spezialtiefbau Ges.m.b.h., im Kurzinterview.

Alexander Rausch

Wie ist Ihr Status quo bei der Digitalisierung von Tiefbauprojekten?

Die Spezialtiefbauprojekte von Bauer reichen von der kleinen Böschungssicherung für private Auftraggeber bis zu großen Infra­strukturprojekten. Auf den kleinen Baustellen reicht oft schon die webbasierte Ablage von Dokumenten oder die Erfassung von Betriebsstunden, Verbräuchen und Servicebedarf über unsere ­Geräte-App, um den aktuellen ­Bedarf zu decken. Auf Großprojekten kommen z. B. 3D-Design, Vermessung und 3D-Scans ganzer Baugrubenwände oder GIS ­Datenbanken für die georeferenzierte ­Dokumentation des Ist-Zustands zum Einsatz. Breite Anwendung findet auch unser im Hause Bauer entwickeltes Produktions­daten-Management-System b-project, das mittlerweile auf Projekten mit einem Anteil von circa 30 Prozent am Gesamtjahresumsatz zum Einsatz kommt.

Glauben Sie, dass die Effizienz auf der Baustelle durch Digitalisierung gesteigert werden kann?

In der Vergangenheit wurden bestimmte Themengebiete aufgrund des hohen Aufbereitungsaufwandes nicht angegangen. Heute führt die Reduzierung des Aufwandes zu verkürzten Reaktionszeiten und trägt zum schnelleren Erkennen von z. B. Materialmehrverbrauch oder Prozessoptimierungspotenzial bei.

Entstehen eventuell neue Probleme durch die Digitalisierung?

Parallel zur Einführung der Software muss auch das Personal in diesen Prozess einbezogen werden. Neues stellt erst einmal einen Aufwand dar, bietet im täg­lichen Gebrauch erst nach und nach seine Vorteile. Diese Phase ist zu überstehen, ohne dass die Akzeptanzprobleme durch Zusatzbelastungen zu groß werden. 

Welche Änderungen müssen vorgenommen werden, damit alles reibungs­los funktioniert?

Ich kann mir heute noch keine ganz reibungsfreie Abwicklung vorstellen. Anwender müssen sich an die Disziplin der Eingabe und Datenpflege gewöhnen, auch die Schnittstellen zu Datenverarbeitungssystemen und Geräten sind vielfältig. Hier ist noch ein großer Bedarf an Normungs- und Abstimmungsaufwand nötig. Die Arbeit, die in den verschiedenen Gremien geleistet wird – wie z. B. mit dem BIM-Positionspapier –, ist ein wertvoller Beitrag. 

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