Stahlerzeugung: Abzug aus Europa?

Stahlindustrie
16.03.2015

Von: Redaktion Metall
In 20 Jahren sind zwei Drittel der heutigen Stahlkapazitäten aus Europa weggezogen, das prophezeit Weltstahlverbandschef Wolfgang Eder.
Stahlproduktion: Abzug aus Europa?
„Viele Stahlkocher hängen zu sehr an ihren Hochöfen.“ Wolfgang Eder, voestalpine

Der voestalpine-Chef Wolfgang Eder, zurzeit auch Präsident des Weltstahlverbandes, zeichnet ein düsteres Bild für die Stahlhersteller in Europa: „Wir müssen uns in Europa in den nächsten 20 Jahren wohl von etwa zwei Dritteln der Kapazitäten verabschieden“, befürchtet Eder im Interview mit dem deutschen „Handelsblatt“. Bei Massenstählen („Commodities“) werde Europa auf Dauer nicht mehr konkurrenzfähig sein. Eder spart dabei nicht mit Kritik an der eigenen Branche, die mit hohen Kosten, Konkurrenz aus Fernost und hohen Überkapazitäten kämpft. Schon jetzt verdienten die europäischen Stahlkonzerne nicht einmal mehr die Kapitalkosten, so der voestalpine-Chef. In der Folge falle Europas Stahlindustrie im Technologiewettbewerb gegenüber Japan, Südkorea und auch China zurück, warnt Eder. „Deshalb müssen wir das Problem der Überkapazitäten lösen, um wieder auskömmliche Preise zu erzielen. Und wir müssen weg von der Produktion von Massenstählen, weil deren Erzeugung in anderen Regionen deutlich kostengünstiger ist.“

Modernisierung verschlafen

Eder teilt die Meinung, dass viele Stahlmanager die Neuausrichtung jahrelang verschlafen haben: „Die Branche ist konservativ und verändert sich zu langsam. Viele hängen noch an den Hochöfen und der klassischen Stahlerzeugung. Es wird immer noch zu sehr in Millionen Tonnen und zu wenig ans Ergebnis gedacht.“ Es zähle aber nicht Größe und Menge, nur die Profitabilität, und die sei nur durch Spezialisierung zu erreichen, unterstreicht der österreichische Stahlmanager. „In anspruchsvollen Produkten wie Flugzeugturbinen, Raketenteilen, High-Tech-Autos oder Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken“ liege der eigentliche Wert des Stahls, so Eder. „Wenn ich in Europa Hochtechnologie produzieren will, kann ich nicht einfache Stähle aus China oder Indien beziehen“, sagt der Stahlverbandspräsident auf die Frage, ob es überhaupt noch eine eigene Stahlindustrie in Europa brauche. „Die voestalpine würde es in der heutigen Form wohl gar nicht mehr geben, hätten wir nicht die wahrscheinlich anspruchsvollste Stahlbasis in Europa.“ Das setze permanent massive Investitionen voraus, in neue Technologien sowie in Forschung und Entwicklung.

Standorte um jeden Preis zu halten habe schon in den achtziger Jahren nicht funktioniert. Eine Verstaatlichung von Stahlwerken – wie dies derzeit u.a. in Italien diskutiert wird – sei „Steinzeit im wirtschaftlichen Verständnis“, so Eder. Die Länder würden sich die damit verbundenen Subventionen nicht leisten können. Für den Chef des ehemaligen Leitbetriebes der verstaatlichten Industrie in Österreich ist es außerdem schwer nachvollziehbar, warum über eine Schließung von Stahl-Standorten mit 2.000 oder 3.000 Mitarbeitern „jahrelang diskutiert“ werde, wenn gleichzeitig Autofabriken mit einem Vielfachen der Beschäftigten innerhalb von sechs Monaten geschlossen werden.

Werkstoff-Multi

Die Voest selber investiert mittlerweile massiv in den USA und China. Allerdings nicht in die Primärproduktion: „Wir werden sicher nirgendwo mehr in einen Hochofen investieren“, weist Eder im „Handelsblatt“-Interview Vorstellungen zurück, wonach die voestalpine vorhabe, in China in eine Stahlproduktion zu investieren. „Stahl steht bei uns nur noch für 30 Prozent unseres Portfolios. Wir bauen in China Autoteilewerke, Spezialprofilwerke und vielleicht auch ein Edelstahlwerk. Wir erzeugen dann dort Spezialprodukte vor allem für die Auto- und Flugzeugbranche.“ Schon jetzt verwende die Voest in der Produktanwendung nicht nur Stahl, sondern sehr viel Aluminium, Kunststoff oder Titan. Damit entwickle sich das Unternehmen immer mehr zu einem Multi-Werkstoff-Konzern.

Dennoch ist Stahl der einzige Werkstoff, den die voestalpine noch selber herstellt. Allerdings: „Wir werden ihn kapazitätsmäßig nicht mehr ausbauen, aber versuchen, unsere bisherige Stahlproduktion zu erhalten“, so Eder. 

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