Ausreißer der Bauwerkshaftung

Baurecht
27.06.2023

 
Die Bauwerkshaftung umfasst zum Teil mehr, als man denkt. Ein Überblick, worauf Besitzer ­achten sollten.

Die Bauwerkshaftung ist eine Haftungsgrundlage mit großer Bedeutung in der Praxis. Nicht nur der Anwendungsbereich ist breit, sondern auch der Begriff "Bauwerk" wird weit ausgelegt.

Rechtliche Grundlagen

§ 1319 ABGB sieht eine besondere Haftung des ­Besitzers bzw. Halters eines Bauwerks für die mangelhafte Beschaffenheit des Werkes vor. Der Hintergrund dieser verschärften Haftung beruht auf dem Gedanken, dass Gebäude eine besondere Gefahrenquelle darstellen. Erfasste Gefahren sind alle ­typischen Gefahren eines Bauwerks, insbesondere jene, die sich aus der Statik oder Dynamik des Werkes ergeben. Aufgrund dieser gesetzlichen Regelung haftet der Besitzer eines Gebäudes für Verletzungen und sonstige Schäden durch Einsturz oder Ablösung von Teilen des Gebäudes oder des ausgeführten (Bau-)Werkes, wenn der Schaden Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist. Der ­Begriff "Werk" wird von der Judikatur sehr weit ausgelegt und umfasst auch künstliche Aufbauten wie ­Gerüste, Ladungsstege, Baugruben oder Dachgärten. Die Haftung wurde etwa auch bei Verletzungen durch Umkippen einer mobilen Hubarbeitsbühne, Schäden durch umstürzende Bäume oder bei Sturz in einen ­offenen Schacht bejaht.

Die Rechtsnatur der Bauwerkshaftung ist umstritten, nach herrschender Ansicht handelt es sich aber um eine Gefährdungshaftung. Diese bietet gegenüber der allgemeinen Deliktshaftung den Vorteil, dass die Haftung nicht das Verschulden des Bauwerkbesitzers bzw. Halters voraussetzt – er haftet verschuldens­unabhängig. Das hat zur Folge, dass die Bauwerks­haftung auch in den Fällen greift, in denen der Besitzer wegen eines Unfalls oder wegen Krankheit die erforderlichen Vorkehrungen nicht treffen konnte. 

Der Halter des Bauwerks kann sich von der Haftung nur befreien, indem er beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat oder die mangelhafte Beschaffenheit bzw. die Gefahr objektiv nicht erkenn- bzw. vorhersehbar war. In gewissem Umfang hat der Halter des Werkes auch Überprüfungsmaßnahmen wie z. B. regel­mäßige Sichtkontrollen vorzunehmen, um allfällige Mängel rechtzeitig erkennen zu können. Unter anderem wurde die Bauwerkshaftung für jagdliche Hochstände angenommen und die Kontrollanforderungen für den Jagdpächter zumindest etwas konkretisiert.

OGH 9 Ob 29/21m, 24. 6. 2021

Während der Jagd stürzte ein zur Jagdausübung ­benutzter Hochstand ein, und zwei Jäger wurden schwer verletzt. Die Klägerin, die Sozialversicherungsanstalt der Verletzten, forderte vom Jagdpächter und Jagdleiter Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung für zukünftige aufgrund des Unfalls zu erbringende Pflichtleistungen. Sie begründete die Haftung mit der Verletzung vertraglicher Verkehrs­sicherungspflichten gemäß § 1319 ABGB.

Der beklagte Jagdpächter wandte ein, dass der Hochstand fach- und sachgerecht errichtet worden sei. Die schadenskausale Stockfäule sei auch bei einer umfassenden Sichtkontrolle für einen Laien nicht erkennbar gewesen. Eine regelmäßige Kon­trolle durch einen Sachverständigen über die stattgefundene Sicht- und "Rüttelkontrolle" hinaus würde die einzuhaltenden Sorgfaltspflichten überspannen.

Der Oberste Gerichtshof betonte, dass die Rechtsprechung zur Begründung der Sorgfaltspflichtverletzung die Erkennbarkeit oder zumindest die Vorhersehbarkeit der drohenden Gefahr verlangt. Man darf vom Jagdpächter nicht verlangen, dass er zwanzig Hochstände im Revier jährlich von einem Sachverständigen genau kontrollieren lasse. Zumal für eine definitive Beurteilung des Zustands jeder Hochstand zerlegt und zerstört werden müsste. Der Jäger musste daher nicht haften.

Fazit

Die zitierte Entscheidung ist beispielhaft für den breiten Anwendungsbereich der Bauwerkshaftung. Um eine Haftung zu vermeiden, müssen im Vorfeld alle erforderlichen Maßnahmen gesetzt werden, um einer Gefahr entgegenzuwirken – unter anderem ­regelmäßige Kontrollen. Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadens­eintritt nach § 1319 ABGB ist immer nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Die gebotene Sorgfalt ist nur dann verletzt, wenn die Gefahr erkennbar oder zumindest voraussehbar war. 

Branchen
Bau