EuGH-Urteil

Ein Unterschied zwischen Vergabe- und Kartellrecht

Vergaberecht
21.02.2023

Diese Rechtsgebiete haben zumindest zwei Gemeinsamkeiten: Sie sind nicht gerade unkompliziert, und sie sind bei den Betroffenen nicht wahnsinnig beliebt.

Sie wollen auch beide dafür sorgen, dass der Wettbewerb gestärkt wird bzw. Einschränkungen dieses Wettbewerbs verhindert werden. Im Detail gibt es aber Unterschiede. Einer davon ist durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 15.9.2022, C-416/21) deutlich geworden.

Der Ausgangsfall

Der Fall ereignete sich in Deutschland, die EU-rechtlichen Vorgaben gelten aber auch in Österreich. Zwei Bieter – unterschiedliche Rechtspersonen (Gesellschaften) – legten jeweils ein Angebot in einem Vergabeverfahren. Sie waren verbundene Unternehmer, sowohl auf Gesellschafter- als auch auf Geschäftsführerebene. Die Angebote beider Bieter waren von derselben Person unterzeichnet.
Der Auftraggeber schied die Angebote aus, weil er der Ansicht war, dass der (in den EU-Vergaberichtlinien geregelte) Ausschlussgrund der "hinreichend plausiblen Anhaltspunkte" für eine wettbewerbsverzerrende Vereinbarung vorgelegen wäre.

Die Bieter bekämpften diese Entscheidung bei der Vergabekontrollbehörde, die die Ausscheidens­entscheidung aufhob, und zwar mit folgender Begründung: Dieser Ausschlussgrund beträfe kartellrechtswidrige Vereinbarungen (EU-rechtlich auf Basis von Art. 101 AEUV). Das Kartellrecht enthält aber ein "Konzernprivileg", nach dem Absprachen durch verbundene Unternehmer nicht verboten sind, diese dürfen sich also gegenseitig im Wettbewerb beschränken. Der zweiten Instanz im Vergabekon­trollverfahren war dieses Ergebnis suspekt, sie legte diese Frage dem EuGH zur Auslegung vor.

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH stellte klar, dass der vergaberechtliche Ausschlussgrund der "hinreichend plausiblen Anhaltspunkte" für eine wettbewerbsverzerrende Vereinbarung weiter geht als das Kartellverbot. Der Ausschlussgrund soll verhindern, dass "Angebote trotz getrennter Abgabe weder eigenständig noch unabhängig sind". Jede wie auch immer geartete konkrete Beeinflussung der Angebotsinhalte führt zum Ausschluss der Angebote.
Daher schützt das kartellrechtliche "Konzern­privileg" nicht vor einem Ausschluss der Angebote im Vergabeverfahren; wenn es auch nicht von vornher­ein verboten ist, dass verbundene Unternehmer getrennte Angebote abgeben (sofern die Angebote eigenständig und unabhängig sind).

Ergänzend wies der EuGH darauf hin, dass im ­Einzelfall zu prüfen sei, ob der Ausschlussgrund hinsichtlich des Begriffs der "Vereinbarung" überhaupt vorliege, wenn die Entscheidungsfindung über dieselbe natürliche Person (Unterschrift durch eine Person, die Geschäftsführer beider Unternehmen ist) läuft; denn es könnte sein, dass es dann überhaupt keine verschiedenen Willensäußerungen gäbe, und dann läge gar keine "Vereinbarung" vor.

Schwer vorstellbar

Das ist ein origineller Gedanke, der aber meines Erachtens nicht ganz ernst gemeint sein kann. Selbstverständlich ist das, meine ich, eine "Vereinbarung" (darum gibt es auch gesellschaftsrecht­liche Vorschriften für "Insichgeschäfte", um zu verhindern, dass eine Person, die für zwei Gesellschaften vertretungsbefugt ist, ohne Berücksichtigung der jeweiligen gesellschaftlichen Interessen Geschäfte abschließt). Sonst könnte ja der Ausschlussgrund problemlos dadurch umgangen werden, dass Mehrfachangebote verbundener Unternehmer von derselben Person unterzeichnet werden.

Diese Überlegungen führen meines Erachtens auch dazu, dass der Ausschluss von Angeboten verbundener Unternehmer, die von derselben Person unterschrieben sind, praktisch alternativlos ist. Wie soll denn diese Person nachweisen können, dass die Angebote völlig unabhängig voneinander waren? Das wäre nur dann denkbar, wenn diese Person blind – also ohne jedes Wissen über die Angebots­inhalte – ihre Unterschriften daruntersetzt, also jegliche Verantwortung für die Tätigkeit im Interesse der betroffenen Gesellschaften ignoriert, was aber höchst unglaubwürdig ist.

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