Verpflichtung

Geschäftsgeheimnisse und Begründungspflicht

Vergaberecht
20.04.2022

Die Beachtung von Geschäftsgeheimnissen ist eine vergaberechtliche Verpflichtung für Auftraggeber.

Auftraggeber sind allerdings auch mit einer gegenläufigen Pflicht konfrontiert: Sie müssen die Zuschlagsentscheidung – also die an alle Bieter zu versendende Entscheidung, wer den Zuschlag erhalten soll – entsprechend begründen. Das bedingt bei qualitativen Zuschlagskriterien fallweise auch, dass bestimmte Eigenschaften beziehungsweise Inhalte des erstgereihten Angebots angeführt werden.

Bereits bisher war auch nach österreichischer Judikatur die Rechtsauffassung so, dass der Auftraggeber diese gegenläufigen Ziele abzuwägen hat, also die Geschäftsgeheimnisse auch bei der Zuschlagsentscheidung nicht ignorieren darf. Weiters haben die österreichischen Vergabekontrollbehörden Anträge auf Akteneinsicht in Angebote von Konkurrenten grundsätzlich abgelehnt, soweit Geschäftsgeheimnisse betroffen sind.

Vertrauen vorausgesetzt

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun in der Entscheidung vom 7. 9. 2021, C-921/19, ausführlich dargelegt, wie mit diesem Problem umzugehen ist.

Bemerkenswert ist, dass der EuGH den Schutz von Geschäftsgeheimnissen als "Hauptziel" des Vergaberechts bezeichnet. Die Begründungspflicht des Auftraggebers bei (Zuschlags-)Entscheidungen bedeutet daher grundsätzlich nicht, dass die Bieter über vollständige Informationen aus dem Angebot des erstgereihten Bieters verfügen müssen. Ein Bieter muss darauf vertrauen können, auch vertrauliche Inhalte im Angebot bekanntgeben zu können, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Weitergabe Schaden zufügen kann.

Allerdings ist die bloße Behauptung eines Bieters, dass sein Angebotsinhalt vertraulich wäre, zu wenig. Er muss nachweisen, dass es sich um "technische und handelsbezogene" Geschäftsgeheimnisse handelt, deren Weitergabe den Wettbewerb verfälschen oder ihm Schaden zufügen könnte.

Abwägung empfohlen

Wenn der Auftraggeber Zweifel daran hat, muss er dem erstgereihten Bieter die Gelegenheit geben, dies zu erläutern und nachzuweisen, bevor er Angebotsinhalte weitergibt. Er kann ihn auch auffordern, ihm eine "nicht vertrauliche Fassung" der entsprechenden Angebotsteile zu übermitteln.

Der Auftraggeber muss dies dann prüfen und abwägen. Wenn er zur Ansicht gelangt, dass er vom erstgereihten Bieter als vertraulich qualifizierte Informationen doch in der Zuschlagsentscheidung weitergeben muss, hat er – und hier wird es vergaberechtlich besonders spannend – Folgendes zu tun: Er muss dem erstgereihten Bieter diese Entscheidung vorab mitteilen, um diesem die Gelegenheit zur gerichtlichen Anfechtung dieser Entscheidung zu geben. Dadurch kann der erstgereihte Bieter verhindern, dass ein nicht wiedergutzumachender ­Schaden entsteht.

Begründung gefragt

Dies ist allerdings im österreichischen Vergaberecht (BVergG 2018) nicht vorgesehen, denn nach Ende der Angebotsfrist gibt es (von Ausscheidens- und Widerrufsentscheidung abgesehen) nur eine gesondert anfechtbare Entscheidung, nämlich die Zuschlagsentscheidung. Wenn die Zuschlagsentscheidung mit vertraulichen Informationen aber einmal versandt ist, wäre es im Sinne dieser EuGH-Entscheidung zu spät, dann wäre der Schaden schon eingetreten. Das BVergG 2018 muss daher unter Umständen entsprechend geändert werden.

Der Auftraggeber muss in der Zuschlagsentscheidung auch begründen, warum bestimmte Informa­tionen vertraulich sind und nicht offengelegt werden. Er muss weiters zumindest versuchen, den "wesentlichen Inhalt" vertraulicher Inhalte soweit wie möglich "in neutraler Form" mitzuteilen, um die Zuschlagsentscheidung möglichst gut zu begründen. Wie man das anstellt, ist eine interessante Frage im Einzelfall.

Wenn der Auftraggeber bestimmte Inhalte als vertraulich nicht offengelegt hat und die Zuschlagsentscheidung angefochten wird, hat im Vergabekontrollverfahren das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob die Entscheidung des Auftraggebers korrekt war. Wenn es dies bejaht, darf es diesbezüglich keine Akten­einsicht für andere Bieter gewähren.

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