Wettbewerb

Governance- und Compliance-Zertifikate

Vergaberecht
29.11.2022

Für die (erfolgreiche) Teilnahme an Vergabeverfahren werden immer wieder bestimmte Zertifikate benötigt.

Im Baubereich liegt der Schwerpunkt zwar auf technischen Zertifikaten, aber es sind zunehmend Zertifikate im Governance- und Compliance­Bereich verbreitet, wie z. B. nach der ÖNorm ISO 31000 (Risikomanagement – Leitlinien), ISO 37301 (Compliance-Managementsystem), ISO 37001 (Anti-Bribery-Managementsystem), ISO 37002 (Whistle­blowing-Managementsystem) oder ÖNorm S 2501 (Diversity-Managementsystem). Gerade auch die Kartellverfahren der letzten Jahre haben solchen ­Systemen einen gewissen Aufschwung gegeben.

Auftraggeber darf Zertifikate verlangen

Basis für die Verwendung in Ausschreibungen ist § 109 (im Sektorenbereich: § 277) Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018). Demnach darf der Auftraggeber Zertifikate verlangen (als Mindestanforderung an jeden Bieter oder als Zuschlagskriterium zur qualitativen Bewertung der Angebote), allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Zunächst muss das Zertifikat den Grundsätzen des Vergaberechts entsprechen. Es müssen also insbesondere die Bieter gleichbehandelt werden und der freie und lautere Wettbewerb gewährleistet sein, und das Zertifikat muss inhaltlich betrachtet mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und zu diesem verhältnismäßig sein.

Verlangt werden dürfen Zertifikate einer "Konformitätsbewertungsstelle"; das ist gemäß § 2 Z 21 BVergG 2018 eine Stelle, die (u. a.) Zertifizierungen durchführt und gemäß der EU-Verordnung 764/2008/EG akkreditiert ist.

Andere "geeignete Nachweise" gültig

Der Auftraggeber darf aber nicht auf ein Zertifikat einer Konformitätsbewertungsstelle bestehen; wenn ein Bieter ein Zertifikat einer "entsprechenden" anderen Konformitätsbewertungsstelle ("entsprechend" heißt, dass sie den gleichen Wirkungsbereich wie die in der Ausschreibung genannte Stelle hat) nachweist, hat der Auftraggeber dies zu akzeptieren.

Überdies muss der Auftraggeber auch andere "geeignete Nachweise" (also Nachweise, die kein Zertifikat einer Konformitätsbewertungsstelle darstellen) akzeptieren, wenn

  • der Bieter nachweist, dass er "aus von ihm nicht zu verantwortenden Gründen" das geforderte Zertifikat nicht fristgerecht erlangen konnte, und
  • die "Ersatz"-Nachweise inhaltlich betrachtet die Anforderungen der Ausschreibung ebenso erfüllen wie das geforderte Zertifikat.

Zertifikatsreichweite beachten

Bieterseitig ist bei solchen Zertifikaten in jedem Fall die Reichweite des Zertifikats zu beachten, ­damit es zum Nachweis im jeweiligen ­Vergabeverfahren ­geeignet ist. Zum Beispiel muss das Zertifikat grundsätzlich für jene Rechtsperson gelten, die die entsprechenden Leistungen im Auftragsfall auch erbringen soll; ein Zertifikat für einen verbundenen Unternehmer reicht üblicherweise nicht. Weiters ist darauf zu achten, dass Zertifikate unter Umständen nur auf einen bestimmten Geltungs- oder Risikobereich oder Standort im Unternehmen ausgestellt ist. Selbstverständlich sollte das Zertifikat auch noch gültig sein.

"Selbstreinigung" durch Zertifikat

Abgesehen von der Verwendung in Ausschreibungen können solche Zertifikate noch eine weitere vergaberechtliche Bedeutung haben: Sollte ein Unternehmer (z. B. wegen einer aktuellen kartellrechtlichen Verurteilung) eigentlich nicht zuverlässig sein, kann er gemäß § 83 (im Sektorenbereich: § 254) BVergG 2018 durch eine sogenannte "Selbstreinigung" seine Zuverlässigkeit wiederherstellen. Dafür verlangt das ­Gesetz u. a. "effektive Maßnahmen" zur Wiederherstellung der Zuverlässigkeit, und zwar "die Einführung eines qualitativ hochwertigen Berichts- und Kon­trollwesens", "die Einschaltung eines Organes der inneren Revision zur regelmäßigen Überprüfung der Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften" oder "die Einführung von internen Haftungs- und Schadenersatzregelungen". Mit all diesen Bereichen beschäftigen sich auch und gerade Governance- bzw. Compliancesysteme, sodass sie bei der "Selbstreinigung" unterstützen können.

Branchen
Bau