Gratis, aber isoliert und kontrolliert?

Kritik am Normungswesen gehörte in der Baubranche in den vergangenen Jahren zum Alltag. Der Entwurf eines Normengesetzes katapultiert die Diskussion nun in eine neue Dimension.
Kritik am Normenwesen ist in der Baubranche alltäglich, der neue Gesetzesentwurf lässt die Wogen allerdings ungewöhnlich hoch gehen.
Kritik am Normenwesen ist in der Baubranche alltäglich, der neue Gesetzesentwurf lässt die Wogen allerdings ungewöhnlich hoch gehen.

Zufrieden waren mit dem österreichischen Normenwesen in den vergangenen Jahren die wenigsten. Die Anzahl der zu berücksichtigenden Normen war zu hoch, Inhalte zu kompliziert, Zugänge zu selbigen zu teuer bzw. nicht kostenfrei und die Normenkomitees zu industrielastig besetzt – seit Austrian Standards (ASI) zur Finanzierung des Normungsprozesses auch noch Teilnahmebeiträge von den an der Normung Beteiligten einhob, gingen viele Interessenvertreter in der Baubranche auf die Barrikaden. Zusätzlich Öl ins Feuer goss Ende 2014 eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, in der zur Publizierung von verbindlichen Normen festgestellt wurde, dass vom Gesetzgeber verbindlich erklärte Normen grundsätzlich frei zugänglich sein müssen. Wann genau eine Norm verbindlich ist bzw. wie im Falle der Verbindlichkeit die Urheberrechte abgegolten werden, ging aus der Entscheidung jedoch nicht hervor. Einzelne Innungen wie z. B. die Bundesinnung Bau hatten bereits im Vorfeld mit Austrian Standards ein Normenpaket geschnürt, um den freien Zugang für alle Mitglieder zu gewährleisten.

Ein neues Normengesetz sollte nun grundlegende Verbesserungen schaffen. Der Entwurf, der Ende Juni in die Begutachtung geschickt wurde, hatte jedoch den gegenteiligen Effekt. Es hagelte scharfe Kritik vonseiten der Industrie, Austrian Standards und auch die internationale Organisation für Normung (ISO) meldeten sich in einer Stellungnahme zu Wort und kündigten Konsequenzen an, sollte das Normengesetz in dieser Form verabschiedet werden.

Was zählt als nationale Norm?

Der größte Stein des Anstoßes ist, dass bei Verbindlicherklärung von nationalen Normen diese in ihrem gesamten Wortlaut veröffentlicht werden müssen. Laut einer Stellungnahme von Aus­trian Standards würden darunter aber auch europäische und internationale Normen fallen, die in das österreichischen Normenwerk übernommen wurden. DIN-Vorstandsvorsitzender Thorsten Bahke reagierte postwendend, da die DIN die deutschen Fassungen der internationalen Normen den Austrian Standards zur Übernahme als ÖNorm EN zur Verfügung stellt. „Sofern aufgrund des österreichischen Normengesetzes ÖNormen, einschließlich der deutschsprachigen ÖNormen EN, durch Gesetz oder Verordnung verbindlich erklärt und dadurch urheberrechtsfrei werden, wird dies massive Auswirkungen auf den Verlauf von deutschsprachigen Normen auch in Deutschland haben. [...] Aus diesem Grund sehen wir uns gezwungen, die Lieferung der deutschen Sprachfassungen von EN an ASI ab dem 1. 1. 2016 einzustellen, sollte der Entwurf tatsächlich als Gesetz in Kraft treten.“ Ähnlich reagierte auch die ISO und drohte mit dem Ausschluss des ASI aus dem internationalen Zusammenschluss und dem Verbot, ISO-Standards und Co zu anzuwenden.

Während Vertreter der Industrie die Mitarbeit an internationalen Gremien und damit auch den wirtschaftlichen Erfolg im Ausland massiv gefährdet sehen, frohlockt die heimische Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulten (bAIK). Diese hatte kurz zuvor einen eigenen Vorschlag für ein neues Normengesetz veröffentlicht und sehen sich nun durch den Entwurf des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) bestätigt. „Es ist erfreulich, dass die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform des Normenwesens erkannt wurde. Die Regierung setzt einen großen Schritt in die richtige Richtung. Viele unserer jahrelangen und in einem Gesetzesvorschlag festgehaltenen Lösungsvorschläge (z. B. Aufhebung des Teilnahmebeitrags von 450 Euro, Anm. d. R.) wurden in den Ministerialentwurf aufgenommen“, so bAIK-Präsident Christian Aulinger. Die Sorge über einen Ausschluss aus dem Internationalen Normungsprozess hält er für übertrieben. Die Bestimmung zum freien Zugang zu Normen betreffe ausschließlich nationale Normen, so seine Einschätzung.

Rückschrittlicher als Kasachstan

Auch die geplante Einführung einer vom BMWFW bestellten Schlichtungsstelle erregt den Unmut. „Mir fehlen die Worte“, so kommentierte KTM-Vorstandsmitglied Harald Plöckinger den Entwurf. Er habe große Hoffnungen in die Normungsstrategie der österreichischen Bundesregierung gesetzt. Nun habe sich aber gezeigt: Während in der Normungsstrategie von Kasachstan Begriffe wie „Globalisierung“ und „Wirtschaftswachstum“ zu finden sind, liest man im österreichischen Entwurf gleich zu Beginn von dem Ziel der „Einführung einer normungspolitischen Lenkung“. Auch das ASI verweist darauf, dass internationale Normungsorganisationen wie auch das Austrian Standards Institute Vereine Schweizer bzw. belgischen Rechts und daher nichtstaatlich organisiert sind. Die Einführung einer staat­­lichen Schlichtungsstelle sei – zumal bereits 2014 eine Schlichtungsstelle eingerichtet wurde – ein Schritt in Richtung Verstaatlichung.

Bitte zurück an den Start

Generell strotze der Entwurf vor Fehlern und sei offensichtlich in höchster Eile zusammengenagelt worden, fand ASI-Vizepräsident Manfred Matzka in der Vollversammlung dazu klare Worte. Zudem wurden im Entwurf gleich „sieben verfassungsrechtliche Todsünden“ begangen. „Dieser Text ist keine Basis für eine vernünftige Auseinandersetzung zum Thema Normung“, so Matzka. Die Direktorin von Austrian Standards, Elisabeth Stampfl-Blaha, zeigte sich trotz des Entwurfs, „bei dem offensichtlich einiges passiert ist, was nicht im Sinne des Herrn Vizekanzlers und der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs sein kann“, optimistisch: „Ich bin zuversichtlich, dass das auch gelebt werden wird, was Herr Vizekanzler Mitterlehner bei der Präsentation des Wirtschaftsberichts gesagt hat: ,Wir müssen den Staat auf seine notwendigen Aufgaben zurückführen und auch einen entsprechenden Kulturwandel weg vom Etatismus einleiten.‘“ Ein neuer Anlauf sei dringend nötig: „Zurück an den Start. Wir stehen dafür bereit“, so der Appell der Direktorin von Austrian Standards.

Bis 3. August können noch Stellungnahmen zum Entwurf des Normengesetzes abgegeben werden. Dann endet die nationale Begutachtungsfrist. Als „binnenmarktrelevanter Rechtsakt“ wurde der Entwurf zum Normengesetz auch gegenüber der Europäischen Kommission notifiziert. Die europäische Stellungnahmefrist dafür endet am 24. September 2015. 

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