Materialpreissteigerungen

Wann ist die Leistung unerschwinglich?

Bauvertrag
06.10.2021

Bietet die Berufung auf Unerschwinglichkeit eine Möglichkeit für den Auftragnehmer, die angebotenen Preise anzupassen oder sogar den Vertrag aufzulösen?

Die aktuellen Materialpreissteigerungen – vor allem bei Stahl und Dämmstoffen – betreffen wohl sämtliche aktuellen Bauvorhaben. Die ÖNorm B 2110 regelt das Risiko solch unerwartbarer Steigerungen explizit und ordnet es dem Auftraggeber (AG) zu. Aber auch bei Bauverträgen, auf die die ÖNorm B 2110 nicht anwendbar ist oder bei denen die Risikoverteilung der Norm ausgeschlossen wurde, kann sich der Auftragnehmer (AN) bei Vorliegen eines Ungleichgewichts von unerschwinglichen Festpreisen lösen.

Preisgestaltung

Ein Festpreis ist der Preis, der auch beim Eintreten von Änderungen der Preisgrundlagen (wie insbesondere Kollektivvertragslöhne, Materialpreise) für den vereinbarten Zeitraum unveränderlich gilt. Das Problem stellt sich daher vor allem bei Festpreisverträgen, bei denen die massiven Materialpreissteigerungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht absehbar waren.

Unerschwinglichkeit

Eine Leistung kann unerschwinglich sein und so von der Vertragsbindung befreien, wenn die Preissteigerungen unvorhersehbar waren und ein solches Ausmaß erreichen, das die Erfüllung des Vertrags faktisch unmöglich oder zumindest unzumutbar erscheinen lässt. Relevant dafür ist eine im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbare Unerschwinglichkeit.

Im Allgemeinen kommt es darauf an, ob eine Entwicklung gegeben ist, die ein sorgfältiger Unternehmer bei Vertragsabschluss in seine Überlegungen aufgenommen hätte, oder ob die Umstände so unwahrscheinlich sind, dass sie bei der Vertragsgestaltung keine Rolle spielen mussten.

Die Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Unmöglichkeit begann im Ersten Weltkrieg, als Rohstoffe und Waren immer knapper wurden und Schuldner die Lieferung der Waren verweigerten, weil die Preise seit dem Abschluss des Vertrags um ein Vielfaches gestiegen waren. Damals vertrat der Oberste Gerichtshof die Auffassung, dass es einer Unmöglichkeit gleichkäme, wenn die Preissteigerung ein solches Ausmaß erreicht hat, dass die Erfüllung des Vertrags eine ganz „ungerechtfertigte und unverhältnismäßige Bereicherung“ des einen Teils bei „unverhältnismäßiger Schädigung“ des anderen Teils bewirken würde, wodurch das Beharren auf die Erfüllung gegen die guten Sitten verstoßen würde.

Die aktuelle Rechtsprechung geht sogar weiter und lässt als ausreichend gelten, dass eine rechtlich als Unmöglichkeit zu wertende Unerschwinglichkeit in Zusammenhang mit Sachleistungen dann vorliegt, wenn der notwendige Aufwand zur Bewirkung der Leistung in keinem Verhältnis zum Wert der Leistung selbst steht, sodass sich diese Leistung schon objektiv als eine unvernünftige, wirtschaftlich sinnlose darstellen würde. Darüber hinaus könne die Unerschwinglichkeit auch in den Kosten für die eigene Leistung liegen, die außer jedem Verhältnis zur versprochenen (oder bereits erbrachten) Gegenleistung stehen.

Zusätzlich darf die Unerschwinglichkeit vom Schuldner weder verschuldet noch vorhersehbar gewesen sein. Bei Vorliegen einer Unerschwinglichkeit kann der Vertrag angepasst oder aufgelöst werden.

Fazit

Dass die vorliegenden Preissteigerungen unvorhersehbar waren, ist wohl weitgehend unbestritten. Die Erbringung der geschuldeten Leistungen bei Dämmstoffen und Stahl zu den aktuellen Preisen steht in keinem Verhältnis zum Wert des beauftragten Entgelts, sodass diese Leistung schon objektiv unvernünftig und wirtschaftlich sinnlos sein kann. Insofern bietet auch die Berufung auf die Unerschwinglichkeit eine Möglichkeit für den AN, die angebotenen Preise analog zu den gestiegenen Materialpreisen anzupassen oder sogar den Vertrag aufzulösen.

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