Vergaberecht

Nebenrechte von Gewerbetreibenden

Vergaberecht
14.04.2023

Die zunehmende Liberalisierung der gewerblichen Nebenrechte hat auch vergaberechtliche Auswirkungen.

Die Gewerbeordnung (GewO 1994 in der geltenden Fassung) enthält in § 32 Abs. 1a ein weitgehendes Recht, auch Leistungen aus "fremden" Gewerben anzubieten und auszuführen. Nach dieser Bestimmung sind grundsätzlich Leistungen aus "fremden" Gewerben bis zu 30 Prozent (aus reglementierten Gewerben bis zu 15 Prozent) des Gesamtjahresumsatzes zulässig. Das kann in vergaberechtlicher Hinsicht vor dem Ausscheiden des Angebots retten, wie auch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien (14. 10. 2021, VGW-123/074/13685/2021) zeigt.

Der Sachverhalt

Ein Bieter, der über das Baumeistergewerbe verfügte, legte ein Angebot für Leistungen, die auch solche der Elektrotechnik (ein gemäß GewO 1994 reglementiertes Gewerbe) umfassten. Er verfügte selbst nicht über das Gewerbe der Elektrotechnik. Die Elektrotechnikleistungen machten, gemessen an seinem Angebot, 4,12 Prozent der Gesamtleistungen aus. Er nannte zwar einen Subunternehmer mit entsprechendem ­Gewerbe für die Elektrotechnikleistungen, aber nur zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit (Referenzen), nicht auch zum Nachweis der Befugnis (das war in der Ausschreibung formal getrennt).
Der Auftraggeber forderte ihn zur Aufklärung auf, der Bieter ignorierte dies. Der Auftraggeber schied das Angebot daraufhin aus, der Bieter bekämpfte diese Ausscheidensentscheidung beim Verwaltungs­gericht und argumentierte mit dem obigen Nebenrecht gemäß GewO 1994.

Die Entscheidung

Das Verwaltungsgericht gab dem Bieter recht und erklärte die Ausscheidensentscheidung für nichtig. Zwar hielt das Verwaltungsgericht auch fest, dass eine Antwort auf das Aufklärungsersuchen des Auftrag­gebers "aus Gründen eines gedeihlichen und gepflegten Umgangs geboten gewesen wäre" (also das Ignorieren dieses Ersuchens nicht gerade höflich war), aber das war rechtlich nicht relevant. Der Bieter hatte aufgrund der gewerblichen Nebenrechte die erforderlichen Befugnisse, da Elektrotechnikleistungen im Umfang von 4,12 Prozent davon abgedeckt sind. Den Einwand des Auftraggebers, dass diese aber besonders wesentlich für den Auftrag wären, verwarf das Verwaltungsgericht, weil es bei § 32 Abs. 1a GewO 1994 nicht auf die Qualität, sondern nur auf die Quantität ankommt. Mit der ergänzenden Bedingung des § 32 Abs. 1a GewO 1994, dass das Nebenrecht bei reglementierten "fremden" Gewerben nur bis 15 Prozent des Gesamtjahresumsatzes gilt, setzte sich das Verwaltungsgericht nicht auseinander (eine in der Praxis u. U. schwierige Frage, vor allem bei laufendem Geschäftsjahr, wenn also noch gar nicht feststehen kann, ob diese Grenze überschritten werden wird oder nicht).
Dass der Bieter formal betrachtet den Subunternehmer nur für die technische Leistungsfähigkeit genannt hatte, nicht auch für die Befugnis (eine Formalität, die eigentlich keinen Ausschlag geben sollte, weil ein Subunternehmer für die technische Leistungsfähigkeit – der also vergaberechtlich betrachtet auch für die Ausführung dieser Leistungen vor­gesehen sein muss – damit zwangsweise auch eine etwaig fehlende Befugnis abdeckt), war daher auch nicht relevant, da der Bieter ohnehin selbst die Befugnis hatte. Im Ergebnis war das Aufklärungsersuchen des Auftraggebers zwar laut dem Verwaltungsgericht "nachvollziehbar", aber nicht erforderlich.

Der Praxistipp

Nach dieser Entscheidung ist es also für einen Bieter zulässig, ein Aufklärungsschreiben eines Auftrag­gebers einfach zu ignorieren, wenn dieses rechtlich betrachtet überflüssig ist. Empfehlenswert ist das aber nicht, wenn man erstens einen höflichen Umgang pflegen will und zweitens den "Umweg" einer nachfolgenden Ausscheidensentscheidung samt gericht­licher Anfechtung möglichst vermeiden will.

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