Vergaberecht

Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung

Vergaberecht
04.04.2023

Ein Verfahren ohne Bekanntmachung ist laut BVerG 2018 nur in Ausnahmefällen möglich. ­Welche Voraussetzungen dafür gegeben sein müssen, lesen Sie hier.

Das Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018) erlaubt nur in Ausnahmefällen Verfahren ohne Bekanntmachung. Das erklärt sich daraus, dass bei solchen Verfahren ein sehr eingeschränkter Wettbewerb stattfindet: Der Auftrag­geber lädt nur einige Unternehmer direkt zur Angebotsabgabe ein, der Rest des Marktes erfährt erst nach Bekanntgabe des Zuschlags davon, dass überhaupt ein Vergabeverfahren stattgefunden hat. Insbesondere das Verhandlungsverfahren ohne Bekannt­machung ist für öffentliche Auftraggeber bei Bauaufträgen grundsätzlich selten zulässig, nämlich nur bei einem geschätzten Auftragswert unter 100.000 Euro netto (das nichtoffene Verfahren ohne Bekanntmachung immerhin unter eine Millionen Euro netto).

Relevanter Ausnahmetatbestand

Es gibt aber einen in der Praxis immer wieder relevanten Ausnahmetatbestand in § 35 Abs. 1 Z 1 BVergG 2018: Das Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung ist insbesondere dann zulässig, wenn zuvor in einem offenen oder nichtoffenen Verfahren mit Bekannt­machung "kein oder kein im Sinne des Abs. 2 geeignetes Angebot abgegeben […] worden ist und die ursprünglichen Bedingungen für den Bauauftrag nicht wesentlich geändert werden". Gemäß Abs. 2 gilt ein Angebot als "ungeeignet, wenn es ohne wesent­liche Änderungen offensichtlich nicht den in der Ausschreibung genannten Bedürfnissen und Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers entspricht". Häufig scheitert ein offenes oder nichtoffenes Verfahren in der Praxis daran, dass alle Angebote über dem Budget des Auftraggebers liegen. Wenn der Auftraggeber nicht nachträglich zusätz­liche Mittel auftreibt, bleibt ihm keine andere Wahl als der Widerruf des Vergabeverfahrens. Das ist auch zulässig, denn das Vergaberecht will den Auftrag­geber nicht zu einem Auftrag zwingen, den er nicht finanzieren kann.

Bisheriger Standpunkt des VwGH

Nun würden viele Auftraggeber nach so einem Wider­ruf gern die komplette Neuausschreibung der Beschaffung vermeiden und den obigen Ausnahmetatbestand für ein Verhandlungsverfahren ohne ­Bekanntmachung heranziehen. Dies geht oft ­schneller und bietet durch die Möglichkeit von Verhandlungen über Leistungsinhalt und Preise bessere Chancen, das Projekt erfolgreich umzusetzen. Bisher hat die österreichische Judikatur dem aber eine Absage erteilt. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) etwa hat in der Entscheidung vom 14. 12. 2021, Ra 2018/04/0158 klargestellt, dass ein "nicht geeignetes" Angebot enger zu verstehen sei als etwa ein "unannehmbares" Angebot (dieser Begriff wird an anderer Stelle des BVergG verwendet). Wenn die Angebote "nur" zu teuer seien, seien sie deswegen noch nicht "ungeeignet", die Ausnahme für das Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung liege nicht vor.

Klarstellung im EuGH-Urteil

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat aber (16. 6. 2022, C-376/21) anhand der EU-Vergaberichtlinien klargestellt, dass diese Begriffe in diesem Fall gleich zu verstehen sind: "Ein Angebot ist nämlich dann als ungeeignet anzusehen, wenn es "unannehmbar" […] ist, […] insbesondere Angebote von Bietern, deren Preis das vor Einleitung des Vergabeverfahrens festgelegte und schriftlich dokumentierte Budget des öffentlichen Auftraggebers übersteigt, [werden] als unannehmbar angesehen".

Da die Auslegung des EuGH bindend ist, gilt das auch für das österreichische Vergaberecht. Der Zugang zum Verhandlungsverfahren ohne Bekannt­machung ist für öffentliche Auftraggeber daher erleichtert möglich; vorausgesetzt, sie haben vor Einleitung des zuvor gescheiterten offenen oder nichtoffenen Verfahrens schriftlich ein entsprechendes Budget dokumentiert und alle Angebote liegen darüber.

Übrigens ist es nach dieser EuGH-Entscheidung auch zulässig, dieses "angehängte" Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung mit nur einem Unternehmer durchzuführen, wenn im vorherigen ­offenen oder nichtoffenen Verfahren nur von diesem ein Angebot abgegeben wurde; denn schließlich hatten ja die anderen Unternehmer zuvor bereits die (ungenützte) Chance, auch ein Angebot abzugeben.

Branchen
Bau