Konjunkturdynamik

Ein Schock folgt dem nächsten

Konjunktur
24.05.2022

Die Coronapandemie und der Ukraine-Krieg belasten die Weltwirtschaft. Wir wollten von Wifo-Ökonom Michael Klien wissen, wie die Zukunft der Bauwirtschaft unter diesen dunklen Vorzeichen aussieht.
Michael Klien

Die österreichische Wirtschaft erholte sich 2021 spürbar von der Covid-19-Krise. Infolge des Ukraine-Kriegs fallen die Wachstumsaussichten für 2022 (+3,9 Prozent) jedoch um einen Prozentpunkt schwächer aus, als noch ­letzten Herbst erwartet wurde. In Österreich sorgten die starke Indus­triekonjunktur sowie Aufholeffekte im Dienstleistungsbereich für einen kräftigen Zuwachs. Im April schwächte sich das gesamtwirtschaft­liche Wachstum jedoch ab. Michael Klien, Ökonom beim Österreichischen Institut für Wirtschafts­forschung (Wifo), sinniert im Interview mit der Bauzeitung über Best- und Worst-Case-Szenarien, benennt Trends und erklärt, welche Bausegmente besonders gut aus der Krise kommen werden.

"Solche Zeiten haben wir noch nie erlebt", hört man derzeit von vielen Akteuren in der ­Baubranche. Wie bewerten Sie als Ökonom die aktuelle Konjunkturdynamik?

Michael Klien: Im ersten Quartal 2022 war die Konjunkturentwicklung in der Bauwirtschaft eher schwach, es gibt einen realen Rückgang zu verzeichnen. Gesamtwirtschaftlich betrachtet gab es allerdings noch weitere Expansion. Für uns war es überraschend, dass sich die Gesamtwirtschaft so robust gegenüber geopolitischen Entwicklungen zeigt. Bei der Bauwirtschaft schlagen sich jedenfalls die gestiegenen Energiekosten und Rohstoffpreise ­deutlich nieder. Die Nachfrage ist allerdings auch in der Bauwirtschaft solide, kein Wegbrechen, keine ­substanzielle Änderung des günstigen Konjunkturbildes. Es sind neue Risiken aufgetaucht, und die Unsicherheit ist sehr hoch, das Konsumentenvertrauen ist relativ niedrig, aber in der Produktion oder im Absatz sehen wird das noch nicht. Ich erwarte ein geringeres Wachstum für 2022. Von einer Rezession sind wir noch weit entfernt. 

Heißt das, trotz Rohstoffverknappung und Energie­kostenexplosion hat die heimische Bauwirtschaft derzeit noch nichts zu befürchten?

Klien: Es stimmt, die Baubranche ist am stärksten von der Krise betroffen, vorwiegend durch die Baukosten und den Materialmangel und die dadurch gestiegenen Baupreise. Die Anstiege sind historisch, 2021 stiegen die Kosten schon um zehn Prozent, das gab es das letzte Mal in den 70er-Jahren, in den letzten drei Monaten wurden noch einmal zehn Prozent Baukostensteigerung verzeichnet. Ein Schock trifft auf den nächsten. Wir sehen bisher noch keine Auswirkungen in den Produktionszahlen, weil die Auftragsbestände hoch sind. Eigentlich ist die Ist-Situation ja sehr gut, wir haben Rekordauftragsbestände, wir haben Rekordbeschäftigung, es waren noch so viele Menschen in der Bauwirtschaft beschäftigt wie aktuell. Nur die hohen Baukosten verhageln die "Bauparty". 

Welche Bausegmente werden Ihrer Erwartung nach vom "geringen" Wachstum am stärksten betroffen sein?

Klien: Alle Segmente sind noch gut aufgestellt, weil die Nachfrage überall hoch war. Zu Jahresbeginn, ­bevor die Ukraine-Krise begonnen hat, war die Bauproduktion auf einem extrem hohen Niveau. Das hat damit zu tun, dass die Erholung nach Corona immer noch läuft. Der Wohnbau steht aber nach den Rekordbautätigkeiten in den letzten vier Jahren an einem Wende­punkt. Die Baubewilligungen sind 2020 und 2021 schon deutlich zurückgegangen, und es wird einfach weniger Neubauprojekte in den nächsten Jahren geben. Durch die wirklich starke Angebotsausweitung der letzten Jahre würde ich den Wohnbau in den kommenden Jahren vor einer sanften Landung sehen, auf ein normaleres Niveau zurück. Der Tiefbau ist begünstigt – wie immer in Krisen –, da dahinter viel staatliche Nachfrage steckt, die meistens weniger stark mit Konjunkturzyklen mitgeht. Der Tiefbau ist sicher in den nächsten Jahren als stabiler Lieferant von Auslastung zu sehen.

Eigentlich ist  die Ist-Situation in der Baubranche sehr gut. Nur die hohen Baukosten verhageln die "Bauparty".

Michael Klien, Wifo

Die hohe Nachfrage hat die Baubranche bislang durch beide Krisen getragen. Wird der Auftragsbestand weiter so hoch bleiben? Welche Faktoren spielen hier die Hauptrollen?

Klien: Unsere monatlichen Unternehmensumfragen zeigen weiter extrem hohe Auftragsbestände. Das hat auch ein wenig damit zu tun, dass das ­Material fehlt und die Aufträge nur verzögert abgewickelt werden können. So kumuliert sich das mit der Zeit, ­ältere Aufträge können nicht abgearbeitet werden, und zusätzlich kommen neue hinzu. Wir sehen noch keinen Trendwechsel in diesem Bereich. Sollte die ­Situation anhalten, werden die Aufträge natürlich zurückgehen. Unser momentanes Prognosenszenario geht aber von einer Entspannung im Jahresverlauf aus, die Futures für Öl und Stahl deuten ebenfalls auf eine Entspannung bei den Preisen hin. Auch die Coronakrise hat an der Auftragslage nichts geändert, eher im Gegenteil. Corona hat zum Teil zusätzlich Nachfrage nach Wohnraum generiert. Das einzige Segment, das ein wenig schwächelt, ist vielleicht die Industrie und der Geschäftsbau, aber auch den Unternehmen geht es eigentlich gut, die Exporte laufen weiter. Trotz der Unsicherheit ist es nicht so, dass Unternehmen reihenweise Bauprojekte absagen oder stilllegen würden. Wir sehen aktuell noch keine Anhaltspunkte für einen substanziellen Rückgang der Nachfrage.

Wie sieht das in anderen Ländern aus, wie steht die heimische Bauwirtschaft im internationalen Vergleich da? Laut Euroconstruct-Prognose 2021 wird im Hochbau eine Ausweitung der Investitionen in Sanierungen erwartet. Stimmt diese Prognose noch?

Klien: Wir arbeiten im Moment an einem ­Update der Euroconstruct, die aktuellen Zahlen werden wir im Juni haben. Grundsätzlich wird durch die Ukraine-­Krise, die Preissteigerungen für alle Länder mit sich brachte, die Wachstumsrate zurückgestuft. Das wird in Österreich dasselbe sein, wir werden die Prognose für 2022 teilweise zurücknehmen müssen. Man muss schauen, wie viel reales Wachstum ­übrig bleibt. Durch die hohe Bautätigkeit erwarten wir zwar großes nominelles Wachstum, aber durch die wirklich eklatanten Preissteigerungen wird das ­reale Wachstum gering sein. Ein Anstieg bei den Sanierungen hängt auch damit zusammen, dass der Neubau eine geringere Rolle im Wohnbau spielen wird und deshalb bei den Baufirmen mehr Kapazitäten für ­Sanierungsprojekte frei werden. Deshalb werden vor allem Programme oder Projekte, die von der Regierung mit Förderungen unterstützt werden, verstärkt umgesetzt werden können. Zusätzlich werden Sanierungsprojekte auch durch die hohen Energiepreise forciert. Das bietet einen deutlichen Anreiz für Hausbesitzer umzusteigen und so die Sanierung voranzutreiben. Das ist sicher ein wesentlicher Faktor.

Welche externen internationalen Faktoren befeuern aktuell die aktuelle Krise?

Klien: Wenn wir die Baubranche in unseren Pro­gnosen beschreiben, nennen wir immer zwei Schocks: der eine ist Corona, damit hängen viele Ereignisse wie z .B. der Lockdown in China zusammen. Auch die Logistikverknappung ist ja zumindest teilweise ein durch die Pandemie ausgelöstes Pro­blem, weil dadurch Kapazitäten reduziert wurden und dann die Erholung so schnell war, dass es für viele Unternehmen überraschend kam, wie stark die Nachfrage ist. Jetzt ist der Krieg in der Ukraine neu dazugekommen. Alle diese Faktoren wirken auf die Baukosten.

Welche Faktoren beeinflussen die Baubranche am nachhaltigsten?

Klien: Vor allem die hohen Energiekosten und die Rohstoffpreise sind die relevantesten Faktoren. Wenn diese auf dem Niveau, wie es momentan ist, bis Jahres­ende bleiben, dann sieht die Situation sicher anders aus. Dann müssen wir mit einer Rezession rechnen. Aber das ist nicht, was wir prognostizieren. Sollte es eine umfassende Wirtschaftskrise geben, werden mit Sicherheit umfangreiche staatliche Stützungsmaßnahmen ergriffen. Es ist nicht anzunehmen, dass, sollte es zu einem stärkeren konjunkturellen Einbruch kommen, speziell in der Bauwirtschaft, der Staat nicht intervenieren würde.

Weil Sie gerade eine umfassende Wirtschaftskrise ansprechen: Wie weit sind wir noch von einem Niveau der Weltwirtschaftskrise 2008 entfernt?

Klien: Trotz der Energie- und Baukostenkrise sind wir weit entfernt von einer gesamtwirtschaft­lichen Krise, die den Bau auch mitreißen würde. Ein Vergleich mit 2008 ist, wenn überhaupt, dann deutlich verfrüht. Das würde nur möglich sein, wenn es keine Entspannung gäbe, die Lieferketten dauerhaft gestört wären und der Krieg in der Ukraine wirklich noch viel länger anhielte.

Können Sie für die nächsten Monate noch ein ­realistisches Best-Case- bzw. Wort-Case-Szenario für die Baubranche skizzieren?

Klien: Die Kosten stabilisieren sich, und es kommt zu einer sanften Landung im Wohnbau, der seinen Zenit überschritten hat, das wäre das Best-Case-­Szenario. Worst Case ist ein anhaltendes Kriegs­szenario mit hohen Rohstoff- und Energiepreisen, die zu einem Nachfrageeinbruch führen würden

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