EU-Lieferkettengesetz

Gegenstrategie zur systematischen Ausbeutung

Lieferkette
07.12.2022

Die EU will mit dem Lieferkettengesetz Konzerne in Sachen Arbeitsbedingungen, Umweltschäden und Emissionen stärker in die Pflicht nehmen. Die Abstimmung des EU-Parlaments darüber soll im Mai 2023 erfolgen. Schon am 1. Jänner 2023 tritt hingegen das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Deutschland in Kraft.
Die EU will mit dem Lieferkettengesetz in Zukunft Konzerne zu mehr Verantwortung für Menschenrechte und Klimaschutz verpflichten. 
Die EU will mit dem Lieferkettengesetz in Zukunft Konzerne zu mehr Verantwortung für Menschenrechte und Klimaschutz verpflichten. 

Im Schatten der Energiekrise hat in den letzten Wochen und Monaten in Europa ein weiteres großes Thema Gestalt angenommen: das Lieferkettengesetz. Dabei geht es um die Regeln für einen sorgfältigen Umgang mit den sozialen und ökologischen Auswirkungen in der gesamten Lieferkette.

Die Idee dazu stammt aus dem Jahr 2011. Ausgangspunkt war die Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die damals vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedet wurden. Die Resolution enthält die drei Leitprinzipien "Schutz, Achtung, Abhilfe" (Protect, Respect, Remedy), die in insgesamt 31 Prinzipien erläutert werden.

Nur partieller Rückgang der Ausbeutung

Desolate Fabriken, unmenschliche Arbeitsbedingungen, verantwortungslose Kinderarbeit, verschmutzte Flüsse, vergiftete Böden, gesundheitsgefährdende Müllhalden – das sind nur einige Punkte auf der Liste für die systematische Ausbeutung von Mensch und Natur. Trotz UN-Leitprinzipien kein Relikt aus der Vergangenheit, sondern bittere Realität der Gegenwart. Vor allem internationale Unternehmen haben in den vergangenen Jahrzehnten, was den Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards betrifft, nicht immer eine gute Figur gemacht.

Die Verantwortung für ein menschenwürdiges Leben aller Menschen und eine intakte Umwelt wird weltweit am Altar der Renditen und des schnellen Geldes geopfert. Gegengesteuert wird mit ausgetüftelten Whitewashing-Kampagnen. Der Appell an die Eigenverantwortung der Unternehmen hat zwar da und dort Früchte getragen, zu einer gesamtheitlichen Abkehr der globalen Ausbeutung hat es jedoch nicht geführt.

Verpflichtung statt Eigenverantwortung

Weg von der Eigenverantwortung hin zur Verpflichtung für eine gerechte und nachhaltige Wirtschaft, das ist der Weg den die EU deshalb gehen möchte.  Am 23. Februar 2022 hat die EU-Kommission daher einen Entwurf zum EU-Lieferkettengesetz präsentiert. Gleich darauf wurden Vorwürfe laut, dass dieser Entwurf aufgrund von massivem Lobbying mehrere Wirtschaftsverbände zahlreiche Schlupflöcher beinhalten würde, wodurch 99 Prozent der Unternehmen im EU-Raum vom EU-Lieferkettengesetz nicht betroffen sein würden.

Am 1. Dezember 2022 nahm die EU den nächsten Anlauf. Im Rat für Wettbewerbsfähigkeit haben die EU-Minister*innen mehrheitlich für den Richtlinientext des EU-Lieferkettengesetzes gestimmt. Das sei deshalb geglückt, weil ein Vorschlag auf den Tisch kam, bei dem jeder EU-Staat selber entscheiden kann, ob er die Finanzindustrie in das Lieferkettengesetz aufnimmt oder nicht. Nun hat der EU-Rat grünes Licht, den abgeänderten Vorschlag der EU-Kommission mit dem EU-Parlament zu verhandeln. Zu einer Abstimmung im EU-Parlament soll es frühestens im Mai 2023 kommen.

Noch fehlt die gewünschte Balance

Österreich war beim Treffen Anfang Dezember durch Wirtschaftsminister Martin Kocher vertreten. Kocher, der in mehreren Interviews die grundsätzliche Unterstützung der Intension des Lieferkettengesetzes betonte, enthielt sich bei der Abstimmung. Entscheidend für ihn sei, ließ er durchblicken, dass das Lieferkettengesetz nicht nur effektiv, sondern auch praktikabel und verhältnismäßig sei, was gerade für die österreichische Wirtschaft, die kleinstrukturiert ist, von Bedeutung ist. Außerdem würde ein "Fleckerlteppich" durch die Aufnahme des Finanzsektors von einzelnen Staaten dem EU-Binnenmarkt nicht gut tun. "Wichtig ist, dass wir eine Regelung finden, die nicht nur gut gemeint ist, sondern auch wirklich gut funktioniert. Es macht keinen Sinn, wenn sich Unternehmen aus dem Ausland zurückziehen, nur um Haftungen zu vermeiden. Das würde den Ländern, die davon betroffen sind, schaden. Es ist daher wichtig, hier eine gute Balance zu finden", betonte Kocher im Oe24-Interview.

Auch aus Sicht der Wirtschaftskammer sind beim "Corporate Sustainability Due Diligence", wie das EU-Lieferkettengesetz offiziell heißt, noch viele Fragen bezüglich Handhabbarkeit und Praktikabilität offen. Für WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf ist die vorliegende Form daher nach wie vor unausgegoren, auch wenn der nun beschlossene Text verglichen mit dem ursprünglichen Entwurf einige Verbesserungen enthält. "Die gesamte Wertschöpfungskette zu kontrollieren, stellt eine zusätzliche Bürokratie im unternehmerischen Alltag dar. Insbesondere für KMU bedeutet das eine massive Belastung", gibt er zu bedenken. In Hinblick auf die Verhandlungen im Frühjahr ist Kopf im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit besonders wichtig, dass die neuen Regeln möglichst einheitlich angewendet werden.

Folgewirkungen nicht zu Ende gedacht

Ob europäische KMU langfristig gesehen tatsächlich vom Lieferkettengesetz stark betroffen sind, lässt sich derzeit jedoch nicht absehen. In naher Zukunft ist auf jeden Fall nicht damit zu rechnen. Denn für den Anfang soll das neue EU-Gesetz nur für sehr große Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftige und einem weltweiten Umsatz von mindestens 300 Millionen Euro netto gelten. Und das drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie, wobei das tatsächliche Datum derzeit noch in den Sternen steht.

Stärker betroffen ist da schon die Industrie. Hier sieht man den Richtlinientext des EU-Rates, trotz der Befürwortung eines verantwortungsvollen und nachhaltigen Verhaltens von Unternehmen, ebenso kritisch. IV-Präsident Georg Knill macht keinen Hehl daraus, dass er den Gesetzesvorschlag gut gemeint, aber schlecht gemacht findet. Der Text war für ihn noch nicht reif für eine Abstimmung, weil wesentliche Fragen noch nicht geklärt und die Folgewirkungen der Richtlinie nicht zu Ende gedacht wurden. "Wir nehmen unsere Sorgfaltspflicht und Verantwortung entlang der Lieferketten als Industrie selbstverständlich wahr. Jedoch müssen auch die Rahmenbedingungen so ausgestaltet sein, dass sie praktikabel und im unternehmerischen Alltag für alle Unternehmen entlang der Lieferkette umsetzbar sind", so Knill. Seiner Meinung nach geht die Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette, wie im aktuellen Entwurf vorgesehen, weit über den direkten Einflussbereich von Unternehmen hinaus. Außerdem sei der Richtlinienvorschlag realitätsfern, unpraktikabel und stelle für viele Unternehmen eine unerfüllbare Anforderung dar. "Das im vorliegenden Textvorschlag der Begriff Wertschöpfungskette durch "chain of activities" ersetzt wurde, hilft uns auch nicht weiter. Das grenzt an Etikettenschwindel."

LkSG: Vorgeschmack auf das EU-Lieferkettengesetz

Während die EU noch mit Verzögerungen kämpft, befindet sich Deutschland im Kampf gegen die Ausbeutung auf der Überholspur: Am 1. Jänner 2023 tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, sozusagen das deutsche Lieferkettengesetz, in Kraft. Das Bundesgesetz, das am 25. Juni 2021 vom Bundesrat verabschiedet wurde, gilt für in Deutschland ansässige Unternehmen mit mindestens 3000 Arbeitnehmer*innen, die ihre Hauptverwaltung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben sowie für Unternehmen, die über eine Zweigniederlassung in Deutschland verfügen und wo mindestens 3000 Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind. Mit 1. Jänner 2024 gibt es eine Änderung: Dann gilt das LkSG, so die Abkürzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, für Unternehmen mit mindestens 1000 Arbeitnehmer*innen.

Doch auch Unternehmen mit weniger Beschäftigten können betroffen sein. Maßnahmen zur Umsetzung des LkSG durch die unmittelbar betroffenen Unternehmen können einen Einfluss auf alle Zulieferer haben, egal welche Unternehmensgröße diese haben. Und die Aufgabenliste, die vor allem auf Anpassungen und Aktualisierungen in den Bereichen Compliance, Einkauf und Vertragsgestaltung zielt, ist lang. Insgesamt neun Pflichtpunkte finden sich im neuen deutschen Bundesgesetz. Ein Maßnahmenkatalog mit komplexem Inhalt der ernst genommen werden muss - ungeachtet, dass das Gesetz von den betroffenen Unternehmen ein "angemessenes Bemühen" einfordert, damit es im eigenen Geschäftsbereich und in der Lieferkette zu keinen Verletzungen von Menschenrechten kommt. Die Bußgelder bei Verstößen gegen die Sorgfaltsplichten und Berichtspflichten können, abhängig von der Art und Schwere des Verstoßes, für Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro bis zu zwei Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes, also bis zu acht Millionen Euro, ausmachen. Die gute Nachricht: Zivilrechtliche  Haftungserweiterungen sieht das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nicht vor.

Auf jeden Fall lässt das LkSG erahnen, in welche Richtung das EU-Lieferkettengesetz gehen wird. Mit dem Unterschied, dass EU-weit für Unternehmen und deren Tochtergesellschaften neben den Menschenrechten auch die Sorgfaltspflicht für Klima- und Umweltschutz im Fokus steht und bei Verstößen sowohl Bußgelder als auch zivilrechtliche Haftungen angedacht sind.

Die neun zentralen Pflichten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes

  • Einrichten eines Risikomanagements
  • Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit
  • Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen
  • Abgabe einer Grundsatzerklärung
  • Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber unmittelbarer Zulieferern
  • Ergreifen von Abhilfemaßnahmen
  • Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens
  • Umsetzung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern
  • Dokumentation und Berichterstattung