Insolvenzstatistik

Mittendrin in der Pleitewelle

Insolvenz
08.08.2022

Bei den Firmeninsolvenzen gab es im ersten Halbjahr 2022 einen Rekordzuwachs von rund 121 Prozent. Die Trendumkehr ist in erster Linie auf die Beendigung der staatlichen Unterstützungen zurückzuführen. Bis Jahresende könnte das Vorkrisenniveau erreicht sein.

Derzeit hat die heimische Wirtschaft mit vielen Herausforderungen zu kämpfen: Corona, Ukraine-Krieg, Preissteigerungen, Lieferprobleme, Arbeitskräftemangel, Zinsanstieg, Inflation, explodierende Energiekosten. Die Liste ist lang. Doch es sind nicht ursächlich diese Faktoren, die zum massiven Anstieg an Unternehmensinsolvenzen und dem deutlichen Anstieg der geschätzten Passiva geführt haben. Bereits seit Herbst 2021 ist eine Trendumkehr erkennbar, die sich auch im ersten Halbjahr 2022 konsequent fortsetzt. Ausgelöst, da sind sich die führenden Wirtschaftsinstitute einig, in erster Linie durch die Beendigung der meisten staatlichen Corona-Unterstützungsmaßnahmen.

Aus Sicht des KSV1870 war es richtig, das flächendeckende Hilfsprogramm zu beenden und wieder auf volkswirtschaftliche saubere Prozesse zu setzen. "So wird verhindert, dass Unternehmen gefördert werden, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Gesamtsituation eigentlich keinen Anspruch darauf haben", erklärt Karl-Heinz Götze, Leiter von KSV1870 Insolvenz.

5.700 Unternehmen stark insolvenzgefährdet

Tatsächlich sind durch die außerordentlichen Corona-Stützungsmaßnahmen die Ausfallsraten der Jahre 2020 (mit 0,76 %) und 2021 (mit 0,81 %) auf einen historischen Tiefstand gesunken. Entsprechend sind die Firmeninsolvenzen, so die Berechnungen des Gläubigerschutzverbandes Creditreform, um rund 40 Prozent zurückgegangen. Die Jahre 2020 und 2021 stellen somit eine Riesenausnahme dar. Nun passen sich die Ausfallsraten seit einigen Monaten langsam aber sicher wieder dem Normalniveau, also dem Niveau vor Beginn der Corona-Pandemie, an. Universitätsprofessor Walter Schwaiger, Leiter des Forschungsbereichs "Finanzwirtschaft und Controlling" an der TU Wien, geht daher davon aus, dass in Österreich in diesem Jahr insgesamt 5.700 Unternehmen stark insolvenzgefährdet sind. "Das entspricht in etwa der Anzahl an verhinderten Insolvenzen während der beiden Pandemiejahre 2020 und 2021", erläutert Creditreform-Geschäftsführer Gerhard Weinhofer.

Massive Anstiege in allen Bundesländern

Faktisch ist Österreich nicht weit davon entfernt, die sogenannte "Corona-Blase" löst sich sukzessive auf. Für das erste Halbjahr dieses Jahres kam der Kreditschutzverband KSV1870 bei seiner Hochrechnung auf 2.308 Unternehmen, die von einer Insolvenz betroffen waren. Das waren um etwa 250 Unternehmen weniger als im ersten Halbjahr 2019, aber um rund 118 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2021. Ähnlich die Ergebnis von Creditreform. Die Analyse des Gläubigerschutzverbandes ergab 2.429 Firmeninsolvenz-Verfahren und damit einen Anstieg von 121 Prozent gegenüber 2021. Parallel zur Entwicklung der Firmenpleiten fallen auch die vorläufigen Passiva deutlich höher aus als im Vorjahr, jedoch nicht im selben Ausmaß wie die Zahl der Insolvenzen selbst.

Laut KSV1870 sind vorrangig die Bereiche Handel, Dienstleistungen und Bauwesen von Insolvenzen betroffen. In puncto Bundesländer gibt es ein einheitliches Bild für ganz Österreich: Alle neun Bundesländer verzeichnen ein deutliches Plus. Laut KSV1870-Hochrechnung verzeichnet Vorarlberg mit plus 194 Prozent den größten Anstieg, die geringste Steigerung gibt es in der Steiermark mit plus 79 Prozent. Ebenfalls unter hundert Prozent ist der Anstieg in Wien (+ 86,9 %), in der Fälle-Statistik führt die Bundeshauptstadt mit 798 Insolvenzen aber weiterhin die Liste an.

Ende 2022 erreichen Insolvenzen Vorkrisennivau

Für das zweite Halbjahr gehen die Experten davon aus, dass sich die jüngste Insolvenzentwicklung auf jeden Fall weiter fortsetzt. Noch sind die Auswirkungen eines möglichen Gaslieferstopps oder die Effekte der eingeleiteten Zinswende, die zu vermehrten Problemen bei der Kreditaufnahme und Refinanzierung führen kann, aber nicht absehbar. Eines scheint aber klar: Mit höchster Wahrscheinlichkeit wird am Jahresende, erstmals nach Ausbruch der Corona-Krise, das Vorkrisenniveau erreicht sein.