Visionen

Die Zukunft aus der Tonne holen

Nachhaltiges Bauen
10.05.2023

Auf dem Weg zur CO₂-Neutralität ortet Holcim neue Geschäftsfelder und will die vorhandenen Nischen durch geografische Expansion erschließen. Miljan Gutovic, CEO der Holcim Europe, spricht im Interview über Ziele, Pläne und das Abfallpotenzial.

Besser bauen mit weniger Ressourcen – ­Holcim hat sich große Ziele für die nächsten Jahre gesteckt und ist auch auf einem guten Weg, wie Miljan Gutovic meint. Der CEO der Holcim Europe nahm sich im Rahmen der BAU München Zeit für ein Interview und sprach mit uns über den Weg Holcims zur CO2-Neutralität, mögliche Nischen, in die man zukünftig investieren will, und den unglaublichen Wert von Bau- und Abbruch­abfällen für das Unternehmen.

Holcim hat sich auf die Fahnen geschrieben, bis 2050 CO₂-neutral sein zu wollen. Ist das ein erreichbares Ziel?

Miljan Gutovic CEO der Holcim Europe
Miljan Gutovic: Der gebürtige Australier ist seit 2018 Mitglied des Holcim Group Executive Comittees und verantwortet die Regionen Europa, Naher Osten und Afrika. Gutovic wird als heißer Kandidat für die Nachfolge des Holcim-CEOs Jan Jenisch gehandelt, der mit 4. Mai 2023 zusätzlich den Vorsitz des Holcim-Verwaltungsrates übernommen hat und damit in den kommenden zwölf Monaten sein Amt als Vorstand niederlegen wird.

Miljan Gutovic: Ich kann jetzt leicht sagen, dass wir das natürlich schaffen werden. Wir haben uns Zwischenziele für 2025 und 2030 gesetzt, die uns ­einen Vorgeschmack darauf liefern werden, wie wir uns als Unternehmen und Industrie entwickeln. Im Moment reden alle nur von Carbon-Capture, es laufen aber hunderte kleinere Projekte, die uns auf das Level bringen werden, von dem ausgehend wir gemeinsam mit Carbon-Capture die Null schaffen werden.

Für dieses Ziel wird an den verschiedensten Standorten geforscht und an Schrauben gedreht. Wie ist der aktuelle Stand dieser Projekte?

Gutovic: Jeder einzelne unserer Standorte hat die Vorgabe, Potenziale auszuloten und zu nutzen. Mit diesen kleinen bis mittleren Adjustierungen werden wir zusammengenommen bis zu 50 Prozent CO₂ einsparen. Der Rest muss durch Carbon-Capture ­passieren. Aktuell glaube ich, dass ab 2030 ein enormes Momentum die Entwicklung tragen wird. Gleichzeitig helfen natürlich auch die Förderungen der EU unseren Forschungsprojekten. Auch den ­finanziellen Aspekt darf man nicht vergessen: 2023 wird die Zementindustrie der EU 100 Milliarden Euro an CO₂-Kompensation zahlen. Das ist eine signifikante Summe, die aber auch wieder in die Forschung zurück­fließen wird. Die EU kann schlecht sagen, dass sie die Zementproduktion in Europa stoppen will. Schließlich ist das einer der Sektoren, in dem wir noch unabhängig sind.

2023 wird die Zementindustrie der EU 100 Milliarden Euro an CO2-Kompensation zahlen. Das ist eine signifikante Summe, die aber auch wieder in
die Forschung zurück­fließen wird.

Miljan Gutovic, Holcim

Wird es hart werden, die Baufirmen von ­Net-Zero-­Produkten zu überzeugen? Schließlich geht es vorrangig um den Preis – oder wird sich dies durch Vorgaben von selbst regeln?

Gutovic: Ein gutes Beispiel dafür ist Ecopact, unser grüner Beton. Dieser war eigentlich als Nischenprodukt geplant, aber wir haben beschlossen, ihn als Benchmark für die Zukunft zu betrachten und im großen Stil auszurollen. Zwar ist dadurch der Preis bei weitem niedriger, als wenn wir ihn als ­Premiumprodukt vermarkten würden, aber durch geringere Herstellungskosten gegenüber dem konventionellen Produkt sowie einem leicht höheren Preis ist es für uns auf alle Fälle erfolgversprechend. Und die Nachfrage gibt uns recht. Allein in London hat Ecopact letztes Jahr 50 Prozent unseres verkauften Betons ausgemacht. Ingenieure und Architekten fragen dezidiert Ecopact für Projekte an. Firmen sehen unsere Produkte als Puzzlestein an, um ihre CO₂-Ziele zu erreichen.

Auch wenn wir bei Holcim auf organisches Wachstum setzten, sehen wir gerade im Bereich Fusionen und Akquise großes Potenzial.

Miljan Gutovic, Holcim

Wo sehen Sie aktuell Wachstumspotenzial für Holcim?

Gutovic: Wir bauen alle aktuell nicht nachhaltig, uns werden die natürlichen Ressourcen ausgehen. Wir glauben, dass Bau- und Abbruchabfälle eine große Chance unserer Zeit sind. Und auch wenn wir bei Holcim auf organisches Wachstum setzten, sehen wir gerade im Bereich Fusionen und Akquise großes Potenzial. Allein im ersten Quartal haben wir in Europa acht Akquisitionen abgeschlossen, und ich glaube, dass wir 15 bis 20 Akquisitionen pro Jahr gut tätigen können. Es gibt noch einige Nischen, in die wir auch geografisch noch expandieren könnten.

Von welchen europäischen Nischen sprechen wir da?

Gutovic: Einerseits gefällt mir Osteuropa in ­Bezug auf Zuschlagsstoffe, andererseits sehe ich ­Potenzial sowohl in Deutschland, Frankreich als auch Groß­britannien im Bereich Bau- und Abbruchabfall. Und es gibt noch einige mehr.

Mit Ecocycle präsentierte Holcim eine "Plattform" für die Nutzung von Recyclingmaterialien. Wie sehen dafür die Pläne aus, und auf welchen Märkten liegt hierbei besonders der Fokus?

Gutovic: Wir wollen bis 2025 zehn Millionen ­Tonnen Recyclingmaterial alleine in Europa verarbeiten. Sei es als Alternative zu Rohstoffen im Zement, als Zuschlagsstoffe oder als Füllstoff. Deswegen investieren wir gerade verstärkt in Recycling-­Center, alleine in Europa werden wir noch heuer 20 weitere eröffnen. Gleichzeitig planen wir Flags­hip-­Recycling-Hubs in UK, Frankreich, Deutschland und in der Schweiz, da wir dort großes Markt­potenzial sehen.

Braucht es dafür auch den Zusammenschluss mehrere Industrien, um einen durchgehenden Materialfluss zu erzeugen?

Gutovic: Definitiv, Bau- und Abbruchabfälle sind erst der Anfang. Wir würden es uns auf alle Fälle wünschen, die Idee größer anzulegen und auch Abfälle anderer Industrien zu nutzen, um möglicher­weise daraus sogar neue ­Baustofflösungen zu ­ent­wickeln.

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