Studie

Digitaler Reifegrad in der Baubranche? Ausbaubar!

Digitalisierung
20.07.2022

Eine Studie der Zukunftsagentur Bau zeigt, wie digital das heimische Baugewerbe bereits ist, wo es noch Steigerungspotenzial gibt und warum es ohne Strategie nicht funktioniert.

Digitalisierung sorgt für Produktionszuwächse. Digitalisierung verhilft zu weniger Fehlern. Digitalisierung ist Innovation – so die großen Versprechen. Und wer will schließlich nicht schneller, effektiver, besser und innovativer sein. Auch die Baubranche zeigte sich in den vergangenen Jahr zunehmend bereit zur Digitalisierung. Aktuell kommen in den Baubetrieben bereits zahlreiche EDV-Programme, Softwarelösungen, sowie digitale Werkzeuge für verschiedenste Bereiche zur Anwendung. Gerne werden große sowie kleinere Anwendungen gekauft. Dennoch hinkt die Baubranche in Sachen Digitalisierung noch immer hinter anderen Industrien hinterher – so zumindest die Wahrnehmung. Wie fit heimische Bauunternehmen diesbezüglich aber nun wirklich sind, hat die Zukunftsagentur Bau (ZAB) in Rahmen einer ­aktuellen Reifegrad-Studie unter die Lupe genommen. 
Das Ziel war, konkrete Handlungs- und Optimierungsempfehlungen zur Steigerung des Reifegrades zu finden, damit möglichst viele Unternehmen österreichweit von der voranschreitenden Digitalisierung profitieren können. 

Digitaler Status quo?

Insgesamt 420 Personen aus 37 Unternehmen verschiedenster Bau-Leistungsbereiche beteiligten sich an der Onlinebefragung sowie den anschließenden Workshops. Robert Plomberger, dessen Kompetenzzentrum Future Digital im Auftrag der ZAB die Studie durchgeführt hat, betont: "Mit der hohen Rücklaufquote von 80 Prozent sind wir mehr als bestärkt, dass das Thema Digitalisierung in den heimischen Unternehmen eine große Relevanz hat. Sie wollen ­wissen, wo sie stehen und wie sie sich verbessern können." ­Befragt wurden Geschäftsführer*innen bzw. ­Führungskräfte, IT-Verantwortliche und Mitarbeiter*innen.

Die Kernfragen der Studie lauteten:

  • Welche Softwareprogramme und welche digitalen Tools werden in den Betrieben verwendet?
  • Wie viele unterschiedliche Softwarelösungen werden in den unterschiedlichen Prozessen verwendet? 
  • Wo liegt die Zufriedenheit der Mitarbeiter bei den digitalen Prozessen, und was muss optimiert werden? 
  • Welche Hauptprobleme müssen gelöst werden, um den digitalen Reifegrad der Baubetriebe zu erhöhen? 

Übergeordnet ging man der Frage nach, ob im Status quo ausreichend IT-Infrastruktur und digitale Tools konzentriert im Einsatz sind, um das tägliche Baugeschäft bestmöglich zu unterstützen, oder ob es sich eher um nichtvernetzte Insellösungen handelt, so die Ausgangshypothese der Studie. 

Allgemein ist sich die Mehrheit der Befragten einig, dass durch Digitalisierung die Produktivität in der ausführenden Bauwirtschaft steigt.
Allgemein ist sich die Mehrheit der Befragten einig, dass durch Digitalisierung die Produktivität in der ausführenden Bauwirtschaft steigt

Grundsätzlich bereit zur Digitalisierung

Allgemein ist sich die Mehrheit der Befragten einig, dass durch die Digitalisierung die Produktivität in der ausführenden Bauwirtschaft steigt und dass hier das Thema Building Information Modeling neben anderen Top-Themen wie Nachhaltigkeit, Personal und Lean Management eine sogar teilweise hohe Bedeutung haben. 28 Prozent der Befragten gaben in einem groben "Trend­radar" an, dass sie bereits Digitalisierungsschritte umgesetzt haben, 35 Prozent sehen Chancen und nur zehn Prozent Risiken in der Digitalisierung. Vor allem beim Thema BIM ließen sich aber noch viele Unsicherheiten in Bezug auf die Herangehensweise erkennen. Als wesentliche Faktoren in der Digitalisierung gelten die IT-Infrastruktur und deren Nutzung, auch diese Bereiche wurde genauer erhoben. So stehen die ­Themen Datensicherung, Datenmanagement, Schnittstellen und Workflow von Daten und Dokumenten in den Unternehmen – abhängig von der Unternehmensgröße – zunehmend im Mittelpunkt, auch weil diese sich in Zukunft kostenmäßig stärker ­niederschlagen werden. 
Bei geplanten Investitionen stechen vor allem der Ankauf von Software zur Baustellendokumentation, aber auch allgemein zum Erwerb von Hard- und Software hervor, mit dem vorrangigen Ziel, die Prozesse in der Verwaltung zu beschleunigen.

Digitalisierung: In diese Bereiche planen Unternehmen in den kommenden Jahren zu investieren.
Digitalisierung: In diese Bereiche planen Unternehmen in den kommenden Jahren zu investieren

Zu viele Software-Programme können auch einen Nachteil darstellen

Ebenfalls abgefragt wurde die Art und Anzahl der derzeit genutzten Softwareprogramme. Bis zu 39 verschiedene Programme waren bei den einzelnen Firmen regelmäßig im Einsatz. Viele Programme zu nutzen bedeutet aber nicht zwingend, dass diese Betriebe besser und effizienter arbeiten als andere. Im Gegenteil: Zu viele Programme können auch einen Nachteil darstellen, vor allem wenn es zu mehrfachen Datenerfassungen o. Ä. kommt. Viel wichtiger für die Produktivität ist der Faktor, wie gut und häufig die Programme zum Einsatz kommen.

Software-Schulungen für Mitarbeiter*innen unverzichtbar

Um Digitalisierung im Unternehmen voranzutreiben, müssen aber auch die Mit­arbeiter*innen an Bord geholt werden. Hier zeigte sich in der Befragung jedoch noch Handlungsbedarf. Bei zahlreichen Mit­arbeitenden herrscht Unzufriedenheit mit den Software-Einschulungen bzw. damit, wie diese bisher in der Firma gehandhabt wurden. Auf Nachfrage zeigte sich, dass Schulungen – wenn überhaupt – häufig nur einmal bei der Anschaffung der Software abgehalten werden. Ein Umstand, der erstens eine effiziente Anwendung der Programme verhindert und sich zweitens leicht ändern ließe. 
Wenig zufrieden äußerte sich ein Teil der Befragten auch zum allgemeinen Digitalisierungsfortschritt im Unternehmen. Im Detail betrachtet zeigt sich, dass bei 14 Firmen – also einem guten Drittel der Unternehmen – die Unzufriedenheit mit dem allgemeinen Digitalisierungsfortschritt im Unternehmen bei über 19 Prozent liegt. Bei sechs der 37 Betriebe liegt diese sogar über 40 Prozent. Daraus können sich für die betroffenen Unternehmen zukünftig erschwerende Faktoren in der digitalen Veränderung bzw. bei der Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen ergeben.

Digitale Investitionen: klare Strategie fehlt

Grundsätzlich lassen sich die Unternehmen Digitalisierungsmaßnahmen auch etwas kosten. Allerdings beeinflusst die Unternehmensgröße die Kosten bei Soft- und Hardware. Kleinere Betriebe geben auch prozentuell weniger Geld dafür aus – im Schnitt liegen die jährlichen Investitionen bei weniger als 10.000 Euro. Von den geplanten Investitionen erwarten sich die Baufirmen Vorteile im Hinblick auf eine Produktivitätssteigerung, schnellere Prozesse in der Verwaltung sowie auf eine modernisierte Softwarelandschaft. Allerdings lassen die Auswertungen darauf schließen, dass sich diese Vorteile großteils nicht voll ausschöpfen lassen, da die Investitionen meist ohne Strategie- oder Budgetplan umgesetzt werden. Die Firmen müssen sich zukünftig im Vorfeld fragen, wie viel von dem, was ausgegeben werden soll, einen hohen Multiplikator in der Anwendung hat und mehr Produktivität bringt. Das Problem daran: In den wenigsten Betrieben lässt sich aktuell die Produktivität erfassen und messen.

Baubranche: noch ein langer Weg zum Digital Leader

Vor der ersten Erhebung bat man alle Unternehmen um eine grobe Einstufung hinsichtlich ihres digitalen Reifegrades. Hielten sich dabei 13 % für Visionäre, 37 % für Vorreiter, 31 % für Follower und 19 % für Beginner, so fiel die Einschätzung nach der Studienteilnahme weniger enthusiastisch aus. Die Reifegradbeschreibung erfolgt nach Plomberger in den Kategorien: 

  • Digital Beginner,
  • Digital Follower,
  • Digital Transformer und
  • Digital Leader,

wobei qualitativ die Faktoren Prozesse, Daten, Systeme und Kompetenzen zum Tragen kommen.

    Der Digitale Reifegrad der österr. Bauwirtschaft
    Der Digitale Reifegrad der österreichischen Bauwirtschaft

    Auf Basis der Studienergebnisse erfolgte die Einstufung der Baubranche in Österreich in den Bereich des Digital Beginners sowie bis ins erste Drittel des ­Digital Followers. "Auf dem Weg zum digitalen Leitbetrieb gibt es noch Entwicklungspotenzial", so ­Studienautor Robert Plomberger. 
    Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass in den KMUs der heimischen Baubranche

    • Prozesse eher individuell laufen,
    • Datenverbindungen zwischen den einzelnen Lösungen teilweise vorhanden sind,
    • der Nutzungsgrad der Systemlandschaft mitarbeiterbezogen sehr unterschiedlich ist, 
    • Schulungen nur funktional und vereinzelt durchgeführt werden und
    • ein digitaler Fahrplan nur teilweise vorhanden ist.

    Zweiter Durchgang geplant

    "Als Hebel in diese Richtung werden laut den Workshops vor allem eine gute Digitalisierungsstrategie, ein Verdichten der eingesetzten IT-Programme, eine Optimierung der Prozesse unter maximaler Einbeziehung der Anwender – nämlich der Mitarbeiter – gesehen", fasst Georg Hanstein, Bereichsleiter Digitalisierung und Innovation der Zukunftsagentur Bau, die Empfehlungen für die Erhöhung des Digitalen Reifegrades in Österreich zusammen. Der Bau-Thinktank der ZAB soll dieses Thema zukünftig aufgreifen und mit den teilnehmenden Betrieben bearbeiten. So bringt die Studie auch zum Ausdruck, dass die Bereitschaft zur Digitalisierung klar gegeben ist, diese aber nicht einfach nur als „Zukauf neuer Softwareprodukte“ gesehen werden darf und eben auch vom persönlichen Reifegrad der Fach- und Führungskräfte abhängig ist.

    Einen Ausblick gibt Harald Kopececk, Geschäftsführer der Zukunftsagentur Bau: „Mit dieser einzigartigen Studie haben wir eine aussagekräftige Grundlage geschaffen, um der österreichischen Bauwirtschaft das Potential und die Handlungsoptionen in Richtung Digitalisierung aufzuzeigen. Unser Auftrag ist klar, wir wollen den digitalen Reifegrad in Österreich deutlich steigern, jeder Anwender ist ein Multiplikator. Deswegen sind wir hier Anlaufstelle für alle Baubetriebe.“  Ein zweiter Durchgang der Studie ist für Herbst 2022 geplant.

    Alles zur Studie "Digitaler Reifegrad in der Baubranche"

    Einen detaillierten Überblick der Ergebnisse, der Auswertung samt der Empfehlungen für die österreichischen Baubetriebe liefert der Endbericht der Zukunftsagentur Bau, der auf www.zukunft-bau.at abrufbar ist.  

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