Neue Konzepte

"Es braucht mehr Suffizienz im Wohnbau"

Wohnbau-Experte Wolfgang Amann über die Entwicklung des Wohnbaus in der Krise und warum es neue Konzepte und mehr Bescheidenheit benötigt.

Steht der Wohnbau vor einer Vollbremsung? Hohe Baukosten, Lieferengpässe und steigende Zinsen trüben die Stimmung bei Bauherr*innen und Bauunternehmen. Wolfgang Amann, Geschäftsführer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen, erklärt, warum es neue Konzepte für den Wohnbau braucht.

Die Prognosen für den Wohnbau sind für 2023 nicht gerade optimistisch. Wie schätzen Sie die derzeitige Situation ein?

Wolfgang Amann, Geschäftsführer des ­Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen.
"Aus meiner Sicht deutet sehr viel darauf hin, dass der Höhepunkt der Preisdynamik überschritten ist." - Wolfgang Amann, IIBW

Wolfgang Amann: Wir befinden uns aktuell in einer Multikrisensituation, wie wir sie in den letzten 70 Jahren noch nicht gesehen haben. Corona, die Ukra­ine-Krise und die von beiden Ereignissen ausgelöste Problematik der internationalen Lieferketten haben zu Materialkostensteigerungen von 40 Prozent in den vergangenen zwei Jahren geführt. Auch wenn ich davon ausgehe, dass im Laufe der kommenden Monate wieder so etwas wie Normalität eintreten wird, muss man sicher mit einem nachhaltigen Rückgang des Wohnungsneubaus rechnen.

Lange Zeit galt die Baubranche aber sowieso als überhitzt. War ein Abflachen des Baubooms – speziell auch im Wohnbau – nicht längst überfällig?

Amann: Das stimmt schon. Bei den Baugenehmigungen hatten wir 2017 und 2019 historische Höchststände mit jeweils rund 85.000 bewilligten Wohneinheiten, was deutlich über dem Bedarf lag. Parallel zu Covid ist seit 2020 ein Rückgang zu verzeichnen, der sich auch weiter fortsetzen wird. Diese Entwicklung hat aber durchaus auch positive Aspekte. Denn solange der Neubau brummte, waren Baufirmen nur ­wenig motiviert, in der Sanierung ausreichend Gas zu geben.

Viele fürchten aber nicht nur einen Rückgang, sondern einen deutlichen Einbruch der Nachfrage. Sehen Sie diese Befürchtung als berechtigt an?

Amann: Derzeit sind die Auftragsbücher der Bauwirtschaft noch relativ voll, aber die Zahlen gehen schon klar nach unten. Viele Baufirmen geben ihre Preise nur noch für einen sehr kurzen Zeitraum ab – das bringt viele Bauherren dazu, Projekte auf Eis zu legen und abzuwarten, bis wieder Normalität bei den Material­preisen eintritt.

Die Frage ist aber, wann kehrt die Normalität zurück. Die Markteilnehmer*innen geben da schließlich sehr unterschiedliche Prognosen ab.

Amann: Der Haupttreiber der Kostendynamik derzeit sind die Energiekosten. Beim Öl gehe ich davon aus, dass die Beruhigung schon relativ bald eintreten wird, da auch die ölproduzierenden Länder selber Interesse daran haben, wieder in ruhigeres Fahrwasser zu kommen. Was Gas anbelangt, werden wir die Abhängigkeit vom russischen Gas nicht so schnell beenden können. Ich bin natürlich kein Hellseher, halte es aber für das wahrscheinlichste Szenario, dass sich die Situation zwischen Russland und Ukraine in Richtung eines Kalten Krieges ent­wickeln wird. Das würde wahrscheinlich schon ausreichen, um die Gasversorgung auf einigermaßen stabile Beine zu stellen und die Lieferketten neu auszurichten. Aus meiner Sicht deutet also sehr viel darauf hin, dass der Höhe­punkt der Materialpreisdynamik überschritten ist. Wobei hier auch nur die Rede von einem geringfügigen Rückgang ist – auf das Niveau von 2019 kommen wir sicher nicht mehr. Ich höre auch von gemeinnützigen Bauträgern, dass sie mit Projekten jetzt einfach zuwarten, bis wieder Rahmenbedingungen gegeben sind. Dadurch üben die großen Akteure auch wirksam Druck aus, wieder in Richtung Normalität zu kommen.

Große gemeinnützige Bauträger können die ­Situation demnach aussitzen. Aber wie wird sich die Lage für private Bauherr*innen und Wohnungs­eigentümer*innen entwickeln?

Amann: Im Bereich des Wohnungseigentums hatten wir schon seit 15 Jahren überproportionale Preissteigerung von durchschnittlich etwa sechs Prozent pro Jahr. Das ist alle zehn Jahre eine Verdoppelung der Quadratmeterpreise. Wohin das geht, ist schwer zu sagen. Derzeit sind die Aktienmärkte nach wie vor sehr volatil, und es drückt noch immer sehr viel Kapital in den Immobiliensektor hinein. Allerdings werden weitere Zinserhöhungen hier zu einem Rückgang der Investitionen und damit auch zu einer Beruhigung der Preisdynamik führen. Sinken werden die Preise für Wohnungseigentum aber eher nicht.

Für Häuslbauer wird es vermutlich aber deutlich härter.

Amann: Die Häuslbauer sind von den aktuellen Entwicklungen mehrfach betroffen – insbesondere diejenigen, die derzeit in der Bauphase stecken. Zum einen sind sie mit exorbitanten Kosten­erhöhungen konfrontiert: Wenn das Eigenheim nicht 500.000, sondern 600.000 Euro kostet, dürften einige ins Schwitzen kommen. Zum anderen ist die Zeit der niedrigen Kapitalmarktzinsen vorbei – das wird sich in vielen Fällen nicht ausgehen. Schön wäre es, wenn die Leute als Reaktion darauf ihre Häuser redimen­sionieren würden.

 200 Quadratmeter große Einfamilien­häuser ­sollten nicht der Standard sein, der auch noch gefördert wird. 130 Quadrat­meter Wohn­fläche mit hohen ökologischen und thermischen Standards machen viel mehr Sinn.

Wolfgang Amann

Halten Sie es für realistisch, dass dieses ­Umdenken nun stattfindet?

Amann: Eingeschränkt, aber man darf sich ja was wünschen. Schließlich haben wir auch noch eine ­weitere Krise, die derzeit in den Hintergrund gerutscht ist: nämlich den völlig unverantwortlichen Umgang mit Grund und Boden. Ich bin ein großer Freund von ­Eigenheimen. Sie haben große Potenziale hinsichtlich Lebensqualität, aber auch hinsichtlich wirtschaftlicher Entwicklung im ländlichen Raum. Aber die Rahmenbedingungen sollten dringend angepasst werden. Zum Ersten sollten Eigenheime am richtigen Ort stehen, und zwar innerhalb bestehender Siedlungsgrenzen. Zum Zweiten muss schonend mit Grund und Boden umgegangen werden, sprich 500 Quadratmeter sollten ausreichen. Zum ­Dritten braucht es mehr Suffizienz bei der Errichtung. 200 Quadratmeter große Einfamilien­häuser ­sollten nicht der Standard sein, der auch noch gefördert wird. 130 Quadrat­meter Wohn­fläche mit hohen ökologischen und thermischen Standards machen viel mehr Sinn.

Diese Ansätze sind ja nicht neu, durchschlagenden Erfolg hatte man bis jetzt aber noch nicht.

Amann: Ich sehe hier durchaus eine breite Entwicklung, die an Fahrt aufnimmt. Was mich zuversichtlich macht, ist, dass es mittlerweile doch auf breiterer Ebene verstanden wird, dass wir nicht unendlich viel Landschaft zum Verbauen zur Verfügung haben. Positive Beispiele sind Salzburg und Vorarlberg, wo die kommunalen Raumentwicklungspläne zunehmend umgesetzt werden und Gemeinden gemeinsam mit ihren Bürgern Siedlungsgrenzen und Verdichtungszonen beschließen. Da tut sich auf kommunaler Ebene in den Bundesländern relativ viel. Das sollte man stärker vor den Vorhang holen. Und was die Größe der Häuser anbelangt, denke ich schon, dass die Baukostenentwicklung dazu führen wird, dass wieder ein bisschen mehr Bescheidenheit hinsichtlich der Flächenwünsche eintreten wird.

Günstiger wird Bauen in absehbarer Zeit nicht mehr. Wenn nun parallel dazu die Nachfrage sinkt: Wie wird sich das für die ­Bauunternehmen ausgehen?

Amann: Ich gehe davon aus, dass die Unternehmen vermehrt in der Sanierung aktiv werden. Das ist zwar auch ein Personal- und damit kostenintensiver Bereich, aber es stehen großzügige Förderungen zur Verfügung. Ein Problem dabei ist jedoch, dass viele Eigenheimbesitzer mit der Koordination mehrerer Gewerke überfordert sind. Es werden neue Dienstleistungen erforderlich sein, um den Menschen bei umfassenden Eigenheimsanierungen zu helfen.

Quasi Generalunternehmer für Sanierungen?

Amann: Es wird wohl in die Richtung gehen müssen. Allerdings brauchen wir in dem Bereich natürlich kosteneffiziente Modelle.

Eine Sanierungsrate von 2,5 Prozent bis 2025 wäre das Ziel. In einer gemeinsamen Studie mit dem Umweltbundesamt haben Sie aber auch festgehalten, dass es dafür zusätzliche personelle Kapazitäten benötigt. Wie kann sich das ausgehen?

Amann: Das kann funktionieren, wenn wie besprochen Kapazitäten vom Neubau in die Sanierung verschoben werden. Aber dafür muss man auch große Baufirmen dazu bringen, sich in den kleinteiligen Sanierungsprojekten zu engagieren. Dazu muss dann natürlich auch die interne Organisation der Baukonzerne passen.

Ich bin überzeugt, dass bei innovativen, auf Suffizienz ausgerichteten Zugängen bei der Neuaufschließung von Liegenschaften besonders große Einsparungspotenziale für die Bewohner möglich sind.

Wolfgang Amann

Mit welchen Maßnahmen sollte die Politik jetzt ­aktuell steuernd eingreifen?

Amann: Die Förderungen sind natürlich wichtig. Notwendig ist aber auch, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Sanierung zu verbessern. Um ein Beispiel herauszugreifen: Nach der geltenden Rechtslage kann man Mieter nicht zwingen, einer Umstellung der Heizung zuzustimmen. Das hat zur Folge, dass Bauträger – egal ob gemeinnützig oder gewerblich – in den Gebäuden nicht oder zumindest nicht vollständig auf Fernwärme oder eine zentrale Wärmepumpenlösung umstellen können, wenn sich einzelne Mieter querlegen. Das ist aus Kosten- und Nachhaltigkeitssicht ein Irrsinn. Sowas darf es nicht geben. Die Politik ist außerdem gefordert, kosten­günstigen Wohnraum für die heimische Bevölkerung zu liefern. Dazu braucht es aber beispielsweise bei Neuwidmungen innovative Raumordnungskonzepte. Nicht die Standardlösung mit 1.000 Quadratmeter Liegenschaften, sondern kleinere Parzellen und dafür qualitativ hochwertiger öffentlicher Raum, in dem die Straße auch zum Aufenthaltsort wird, vor allem für Kinder. Das sollte sich nicht nur positiv auf geringere Grundkosten auswirken, sondern auch den öffentlichen Aufwand für die technische Infrastruktur verringern. Ich bin überzeugt, dass bei innovativen, auf Suffizienz ausgerichteten Zugängen bei der Neuaufschließung von Liegenschaften besonders große Einsparungspotenziale für die Bewohner möglich sind.

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