Interview

“Die serielle Sanierung könnte Teil der Lösung sein”

16.06.2025

In Österreich liegt das Potenzial der seriellen Sanierung noch weitgehend brach, obwohl aktuelle Pilotprojekte vielversprechende Ergebnisse liefern, erklärt Ulla Unzeitig von Renowave.at, dem Innovationslabor für klimaneutrale Gebäude- und Quartierssanierungen in Österreich. Vor allem bei Mehrfamilienhäusern aus den 1950er bis 1980er Jahren ist die serielle Sanierung aber wirtschaftlich und technisch sinnvoll.

Um die Klimaziele zu erreichen, ist auch die umfassende energetische Sanierung des Gebäudebestands erforderlich. Die serielle Sanierung bietet hierzu innovative Lösungen. Was sind die konkreten Vorteile?

Ulla Unzeitig: Bei einer seriellen Sanierung werden Fassaden- und Dachelemente vorgefertigt auf die Baustelle geliefert und vor Ort nur noch montiert. Umfassende Sanierungen können so innerhalb weniger Wochen fertiggestellt werden – mit einer minimalen Belastung der Bewohner*innen, die während der gesamten Bauzeit in ihren Wohnungen bleiben können. Die Anschlussarbeiten müssen dann natürlich in den Wohnungen passieren, aber die dauern nur sehr kurz und können terminlich individuell mit den Bewohner*innen abgestimmt werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich hohe energetische Standard erreichen lassen in sehr kurzer Zeit: Elemente werden mit Fenstern, Dämmung und in vielen Fällen auch mit Haustechnik-Komponenten wie Lüftung oder PV-Modulen gefertigt. Je nachdem, wie das Verhältnis von Nutzfläche zu Dachfläche ist, kann auf diese Weise sogar Net-Zero-Standard erreicht werden. Das bedeutet, dass das Gebäude über das Jahr gerechnet so viel Energie erzeugt, wie es verbraucht – so kommen wir der Klimaneutralität ein ganzes Stück näher.

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Woher stammt das Konzept der seriellen Sanierung und welche Länder sind hier besonders aktiv?

Die Ursprünge der seriellen Sanierung reichen in die Niederlande zurück, wo das Konzept im Rahmen der “Energiesprong”-Initiative zwischen 2010 und 2016 entwickelt wurde – unterstützt durch staatliche Förderungen. Ziel war es, standardisierte und erschwingliche “Netto-Null”-Sanierungen für den sozialen Wohnbau zu schaffen. In der Folge wurden in den Niederlanden tausende Reihenhäuser und kleinere Mehrfamilienhäuser saniert. Auch Deutschland hat früh auf diesen Ansatz gesetzt. Die Deutschen Energie Agentur (dena) ist hier noch immer sehr aktiv und auch mit Hilfe eines Marktentwicklungsteams zahlreiche Pilotprojekte unterstützt. In Deutschland gibt es auch gesonderte Förderungen für serielle Sanierung. In Frankreich, Großbritannien, Italien und Estland wurden ebenfalls eigene Marktentwicklungsteams gegründet. Die Strategien sind dabei jeweils an die nationalen Rahmenbedingungen angepasst. Während beispielsweise Estland mit hohen Förderquoten punktet, setzt Italien auf die Kombination aus sozialem Wohnbau, Klimaschutz und Quartierentwicklung. In Österreich wurden eigentlich schon vor 15 Jahren die ersten Pilotprojekte realisiert, diese Entwicklung ist aber wieder “eingeschlafen” und erst jetzt nimmt die serielle Sanierung wieder Fahrt auf. Wir hoffen, dass sich aus den jetzigen Demo-Gebäuden Kleinserien entwickeln, um die Marktentwicklung voranzutreiben. Die Forschungseinrichtung AEE Intec in Gleisdorf war und ist sehr aktiv in diesem Bereich. Dort ist auch unser zweiter Standort angesiedelt. Außerdem hilft uns sehr, dass wir nun in ein europäisches Netzwerk eingebettet sind.

Eine serielle Sanierung unterscheidet sich grundlegend von der herkömmlichen Herangehensweise. Zuerst wird das Gebäude digital erfasst. Auf dieser Grundlage entstehen passgenaue Fassaden- und Dachelemente, die vorgefertigt und gleich verbaut werden.
Ulla Unzeitig, Vorständin von Renowave.at

Wie funktioniert serielle Sanierung in der Praxis? Welche Gewerke sind daran beteiligt?

Eine serielle Sanierung unterscheidet sich grundlegend von der herkömmlichen Herangehensweise. Zuerst wird das Gebäude digital erfasst – häufig mit 3D-Scans oder auf Basis von BIM-Modellen. Auf dieser Grundlage entstehen passgenaue Fassaden- und Dachelemente, die in Holzbauunternehmen vorgefertigt werden. In Österreich haben wir einige dieser Unternehmen, die in der Lage sind, solche Module zu fertigen.
Die Module enthalten bereits Fenster und Dämmung und meistens auch Haustechnik. Anschließend erfolgt der Transport zur Baustelle, wo die Module gleich verbaut werden. Eine große Zwischenlagerung entfällt. An der Umsetzung sind zahlreiche Gewerke beteiligt – von Architekt*innen und Planer*innen über Holzbauunternehmen bis zu Haustechnikfirmen und Elektriker*innen. Je nach Projektumfang sind auch Spezialisten für Wärmepumpen, Photovoltaik oder digitale Gebäudeleittechnik eingebunden. Damit ist die serielle Sanierung ein Paradebeispiel für interdisziplinäre Zusammenarbeit – und genau das macht sie auch so effizient.

Welcher Gebäudebestand eignet sich für serielle Sanierung?

Die serielle Sanierung ist vor allem bei einfachen Kubaturen wirtschaftlich und technisch sinnvoll. Natürlich braucht es eine gewisse Größe, ideal sind Mehrfamilienhäuser zwischen vier und sechs Geschossen. Das betrifft vor allem Gebäude aus den 1950er bis 1980er Jahren. Diese Bauten weisen meist ähnliche Strukturen auf und verfügen über ein vergleichsweise günstiges Verhältnis zwischen Wohn- und Dachfläche – eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz erneuerbarer Energie wie Photovoltaik. Zudem sind viele dieser Gebäude in energetisch schlechtem Zustand und müssen ohnehin in den nächsten Jahren saniert werden. In den Niederlanden bildeten ursprünglich Reihenhäuser den Schwerpunkt, in Deutschland sind es Nachkriegs-Mehrfamilienhäuser. Mit fortschreitender Digitalisierung und dem Einsatz von Robotik in der Bestandserhebung sowie in der Montage könnte sich die Eignung auch auf individuellere Gebäudetypen wie Einfamilienhäuser ausweiten – aber dieses Szenario liegt noch in der Zukunft.

Es braucht gezielte Maßnahmen, und die serielle Sanierung könnte zumindest für einen Teil der Gebäude eine Lösung sein. Um diesen Hebel ansetzen zu können, benötigt es allerdings noch einige Weichenstellungen bei den Rahmenbedingungen.
Ulla Unzeitig, Vorständin von Renowave.at

Welches Potenzial sehen Sie in Österreich?

In Österreich liegt das Potenzial der seriellen Sanierung noch weitgehend brach, obwohl aktuelle Pilotprojekte wie jene in Wien, Graz oder Knittelfeld (Forschungsprojekt Renvelope) vielversprechende Ergebnisse liefern. Wir führen gerade im Auftrag des Bundesministeriums für Innovation, Mobilität und Infrastruktur (BMIMI) eine Studie durch, um herauszufinden, wie hoch das Potenzial in Österreich ist. Da die derzeitige Sanierungsrate bei ungefähr 1,5 Prozent liegt, bräuchten wir noch Innovationen, um hier die Rate zu erhöhen. Um die Klimaziele zu erreichen, sollte die Sanierungsrate bei etwa drei Prozent liegen.
Es braucht gezielte Maßnahmen, und die serielle Sanierung könnte zumindest für einen Teil der Gebäude eine Lösung sein. Um diesen Hebel ansetzen zu können, benötigt es allerdings noch einige Weichenstellungen bei den Rahmenbedingungen. Ich spreche hier konkret Änderungen in der Bauordnung einzelner Länder, eine Auflockerung des Bundesvergabegesetzes sowie eine Reformierung des Mietrechtsgesetzes an. Letzteres ist generell für Sanierungen sehr hemmend. Solange ein Mieter sich einer Dekarbonisierung entgegenstellen kann, obwohl ihm daraus keine Nachteile erwachsen, werden wir den Klimazielen nicht näher kommen. Außerdem greift bei uns das Wirtschaftsmodell nicht, das die finanziellen Mittel, die aufgrund der Energieeinsparung frei werden, für die Sanierungskosten herangezogen werden können.

Nachdem die serielle Sanierung ja noch relativ jung ist, gibt es kostenseitig wahrscheinlich noch Verbesserungsmöglichkeiten. Wo liegen diese?

Tatsächlich ist die serielle Sanierung in der Anfangsphase noch kostenintensiver als konventionelle Verfahren. Doch in den Ländern, die bereits eine gewisse Marktreife erreicht haben, zeigt sich ein klarer Trend zur Kostensenkung. Die größten Einsparpotenziale liegen in der Skalierung: Je mehr gleichartige Projekte realisiert werden, desto günstiger wird die Produktion der Module. Auch die Standardisierung von Komponenten, optimierte Logistik und eine durchgängige Digitalisierung – etwa durch den Einsatz von Building Information Modeling (BIM) – tragen dazu bei, Fehler zu vermeiden und Prozesse zu beschleunigen. Wichtig ist auch, in der Planungsphase auf redundante Sonderlösungen zu verzichten und stattdessen auf erprobte Systemlösungen zu setzen. Als Beispiel gilt hier die “Future Factory” in den Niederlanden, die eine Giga-Fabrik für serielle Bauteile entwickelt – mit dem Ziel, die Kosten um bis zu 40 Prozent zu senken.

In Deutschland gibt es einen 15-prozentigen Förderbonus im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude. Wie sieht es in Österreich mit Förderungen aus?

Anders als in Deutschland existiert in Österreich bislang keine eigene Bundesförderung speziell für serielle Sanierungen. Zwar werden einzelne Projekte im Rahmen von Klimaschutz- oder Innovationsprogrammen – etwa durch den Klima- und Energiefonds – unterstützt, doch fehlt bislang ein strukturiertes, dauerhaftes Förderinstrument.
In der Studie, die ich bereits angesprochen habe, empfehlen wir daher die Einführung gezielter Anreize: Dazu zählen etwa Zuschüsse, steuerliche Erleichterungen oder zinsgünstige Kredite – aber auch ein Förderbonus analog zum deutschen Modell. Eine weitere Option wäre die Festlegung eines spezifischen Energiestandards, an den eine Förderung geknüpft ist. Auch die Bundesländer könnten über ihre Wohnbauförderungen gezielt Impulse setzen. Nur durch eine intelligente Förderpolitik kann die serielle Sanierung vom Nischenprodukt zum Standardverfahren werden.

Wohin können sich Planer*innen, Verarbeiter*innen und Hersteller wenden, wenn sie mehr zum Thema serielle Sanierung wissen und sich vernetzen wollen?

In Österreich ist die Genossenschaft Renowave.at derzeit die zentrale Plattform für serielle Sanierung und technologische Innovation im Gebäudebereich. Sie bietet nicht nur umfassende Informationen und Best-Practice-Beispiele, sondern auch die Möglichkeit zur Vernetzung mit Akteuren aus Planung, Industrie und Politik. Wie erwähnt, arbeiten wir sehr eng mit AEE Intec zusammen. Gemeinsam haben wir die Website www.serielle-sanierung.at aufgesetzt, die eine erste Orientierung geben soll.
Wir sind offen für Gespräche! Ein einfaches Mail an uns reicht und wir nehmen sehr gerne Kontakt auf. Wer noch bis Herbst warten kann: Bei den Renowave.at Impact Days von 12. bis 14. November in St. Pölten werden wir dieses Thema sicher wieder mitnehmen. Dort wird es auch eine Ausstellung geben, wo man sich über Hersteller und Pilotprojekte informieren kann.


Zur Person Ulla Unzeitig

DI Ulla Unzeitig studierte Architektur in Wien und Stockholm und war jahrelang am IBO – Institut für Bauökologie in der Baupyhsik, Gebäudebewertung, Kongressorganisation und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Das ökologische Bauen war bereits im Studium (ab 1994) Schwerpunkt, was sich in zahlreichen Projekten und Publikation zu ressourcenschonendem und ökologischem Bauen niederschlug. Seit 2022 ist sie die Vorständin und Mitbegründerin der Genossenschaft Renowave.at eG sowie des gleich-namigen Innovationslabors.