Bebonbau

Schmetterlinge aus Beton

08.07.2025

Mit dem Projekt Campo Breitenlee ist ein gutes Beispiel für nachhaltigen sozialen Wohnbau entstanden. Das prämierte Quartier in Wien-Donaustadt zeigt, wie Beton, Technik, Architektur und soziale Durchmischung intelligent zusammenspielen – und was es dazu braucht.

Die Anlage besteht aus 324 Wohnungen, die auf sieben Gebäude verteilt sind. Und ist etwas Besonderes: Der „Campo Breitenlee“ im 22. Wiener Gemeindebezirk ist vor kurzem mit dem Österreichischen Betonpreis ausgezeichnet worden, der vom Branchenverband Betondialog Österreich verliehen wird. Er ist in ein Vorzeigebeispiel für nachhaltigen, sozialen Wohnbau.

Hohe Anforderungen

Das Projekt wurde im Rahmen eines Bauträgerwettbewerbs der Stadt Wien entwickelt. Die Vorgabe der beiden gemeinnützigen Bauträger Wiener Heim und ÖVW: Die Anlage sollte hohe Anforderungen in vier Bereichen erfüllen – Ökonomie, Ökologie, Soziales und Architektur. „Wir wollten ein Projekt schaffen, das auf allen Ebenen funktioniert”, sagt Christoph Treberspurg, Geschäftsführer von Treberspurg & Partner Architekten. Sein Büro war gemeinsam mit Synn Architekten für die Planung verantwortlich. Ebenfalls frühzeitig mit an Bord waren Soziolog*innen und Landschaftsarchitekt*innen. Das Ergebnis verbindet die thermische Speicherfähigkeit von Beton mit innovativer Haustechnik, einer durchdachten städtebaulichen Konzeption und sozialen Komponenten.

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Bei der Energieversorgung entschied sich das Projektteam für eine Kombination von zwei erneuerbaren Energieformen: Geothermie mit Tiefensonden und Brunnen sowie einer PV-Anlage. Für die Heizung und Kühlung setzt man auf Thermische Bauteilaktivierung (TBA). Das Konzept der TBA ist einfach erklärt: In die Betonmasse von Wänden oder Decken werden Rohrsysteme verlegt. Durch die Rohre kann man warmes oder kaltes Wasser leiten, mit denen man je nach Bedarf den Raum heizt oder kühlt. Die Betonmasse ist in der Lage, Wärme und Kälte zu speichern. Daraus ergibt sich der große Vorteil der TBA: Man kann die Energiekosten beim Betrieb um 30 bis 50 Prozent und die CO₂-Emissionen um bis zu 40 Prozent senken.

Beim Campo Breitenlee geht man aber noch einen Schritt weiter. Man hat gemeinsam mit der Boku Wien eine intelligente Steuerung entwickelt, die den Einsatz von Geothermie und Solarenergie steuert. Dafür nutzt man einen Algorithmus, der Wetterdaten zwei Tage im Voraus verarbeitet. In mehreren Forschungsprojekten wurde die Technologie weiterentwickelt und erstmals in einem Doppelhaus eingesetzt. „Campo Breitenlee war der nächste logische Schritt: der Transfer in den sozialen Wohnbau im großen Stil“, so Architekt Treberspurg. Der thermisch aktivierte Beton fungiert dabei als Low-Tech-Energiespeicher mit großer Wirkung. „Damit überbrücken wir die klassische Versorgungslücke, wenn die Sonne nicht scheint.“

Rein technisch wäre das Campo in der Lage, als Plusenergiequartier zu fungieren – also die elektrische Energie die für den Betrieb und den Haushaltsstrom der 324 Wohneinheiten benötigt wird, selbst zu produzieren. Rechtlich ist das Auftreten als Energielieferant für die einzelnen Wohneinheiten gemeinnützigen Bauträgern aber noch nicht erlaubt. Daher sind nicht alle der möglichen PV-Module montiert.

Der Baustoff Beton spielt beim Campo Breitenlee eine doppelte Rolle. Einerseits als thermischer Speicher für das Energie- und Klimakonzept. Andererseits als Material, das in Fertigteilen verbaut wird, die recyclinggerecht und rückbaufähig sind. „Wir nutzen die Kreislauffähigkeit des Betons“, sagt Treberspurg. „Das ist ein wichtiger Schritt, denn durch die weitgehende Dekarbonisierung im Betrieb rücken die grauen Emissionen der Errichtung stärker in den Fokus.“ Die Planer denken daher schon weiter: “Wir sehen das Projekt als Skalierungsbeispiel. Es ist ein Schritt, aber nicht das Ende. Jetzt müssen wir mit dem CO2 Verbrauch der grauen Emissionen runter.”, meint Treberspurg.

Städtebaulich hat man eine gute Balance zwischen Verdichtung, sparsamen Bodenverbrauch und harmonischer Anpassung an das Umfeld – im Wesen grenzt das Grundstück an bestehende Einfamilienhäuser – gesucht. Die 324 Wohnungen verteilen sich auf sieben Gebäude, die drei bis fünf Geschosse habe. Drei Häuser bilden den Abschluss zum Osten. In der Mitte befinden zwei große frei stehende Gebäude, die jeweils aus zwei Bauteilen bestehen, die mit einer Brücke verbunden sind und den Namen „Schmetterlinge“ erhalten haben. Den Abschluss im Westen bilden zwei weitere, etwas kleinere Schmetterlinge. Den Vorteil dieser frei stehenden Gebäude erläutert Architekt Treberspurg: „Sie ermöglichen eine sehr gute Belichtung und Durchblicke und erlauben es, relativ viele Eckwohnungen zu schaffen, die wiederum gut zu belüften sind – bei den steigenden Temperaturen ein großer Vorteil.“  Zwischen den Gebäuden „befinden sich viele Grünflächen mit einem hohen Anteil an nicht versiegelten Flächen“, meint Treberspurg.

Besonderes Augenmerk galt zudem der sozialen Durchmischung. 75 Prozent der Einheiten sind Mietwohnungen, 25 Prozent Eigentum – über alle Baukörper verteilt. Es gibt Wohnungen für Alleinerzieherinnen, für wohnungslose Menschen und Gästewohnungen, in denen die Bewohner*innen Besuch unterbringen können. Dazu Architekt Treberspurg: „Nachhaltigkeit beginnt beim Städtebau und endet nicht beim Energiesystem.“