Roots statt Ruß
Das Wiener Unternehmen Roots Energy setzt bei der Wärmewende auf Standardisierung: Sein modulares System soll den schrittweisen Austausch von Gasthermen in Mehrparteienhäusern ermöglichen – zu deutlich geringeren Kosten.
„Wir zeigen, dass die Heizungsumstellung im Bestand einfach umsetzbar und wirtschaftlich sinnvoll ist.“ Gerald Stangl, Co-Geschäftsführer des Wärmesystem-Anbieters Roots Energy, hat viel vor. Mit dem Roots Haus im 14. Wiener Gemeindebezirk hat das Unternehmen vor Kurzem nicht nur sein neues Hauptquartier eröffnet, sondern ein europaweit ziemlich einzigartiges Reallabor, das die modulare Umstellung von fossilen auf erneuerbare Heizlösungen demonstriert. „Wir standardisieren, was bisher jedes Mal neu gedacht werden musste – damit Planer entlastet und Installationen einfacher und günstiger werden“, so Stangl.
Abschied von Öl und Gas
Lange schien der bewohnte, mehrgeschossige Gebäudebestand als kaum lösbares Problem der Wärmewende: Komplexe Technik, hohe Kosten, rechtliche Hürden und unterschiedliche Vorstellungen der Eigentümer*innen – eine Heizungsumstellung war meist nicht realisierbar. Genau hier setzt man bei Roots an: Zentrale Kessel und dezentrale Gasthermen werden schrittweise durch ein Wärmesystem ersetzt, das auf unterschiedliche Umweltwärmequellen wie Luft und Erde in der Umgebung des Wohngebäudes zurückgreift.
Das standardisierte „Roots System“ bringt die Umweltwärme aus Erde und Luft bis vor die einzelnen Wohnungen. „Das Entscheidende ist, dass die Bewohner*innen ihre Gasthermen Schritt für Schritt gegen unsere Solethermen tauschen können – und zwar genau dann, wenn sie es brauchen“, erklärt Stangl. Damit sei die 100-prozentige Zustimmung einer Eigentümergemeinschaft, an der viele Projekte in der Vergangenheit scheiterten, nicht mehr nötig. „Es reicht eine einmalige Mehrheitsentscheidung für den 1. Schritt, den Anschlusspunkt für alle Wohnungen. Danach kann jede Wohnung individuell entscheiden, wann sie umsteigt.
Das System besteht aus drei Elementen: der Umweltwärmequelle, dem Heizwärmeerzeuger und der Heizwärmeabgabe. Bei der Umweltwärmequelle handelt es sich um Luft oder Erde, Stichwort Geothermie. Der Erzeuger ist eine Wärmepumpe – konkret: eine Soletherme. Für Wärmeabgabe können in nahezu allen Fällen die bestehenden Heizkörper oder Radiatoren in der Wohnung verwendet werden. „Der große Vorteil unseres Systems ist, dass es im Bestand funktioniert und so die Energiewende möglich wird. Man kann nicht zwei Millionen Wiener*innen aus ihren Wohnungen werfen und alles neu sanieren“, meint Stangl.
Er verweist zudem auf einen weiteren Pluspunkt: die Kosten: Stangl erläutert das am Beispiel eines Projekts in Wien Hietzing mit 23 Wohneinheiten: „Eine zentrale Erdwärmelösung hätte fast eine Million Euro gekostet. Das wäre niemals umsetzbar gewesen. Das Projekt war praktisch gestorben. Mit unserem Ansatz kostet der Anschlusspunkt zu den Wohnungen 240.000 Euro. Jede Wohnung kann danach selbst entscheiden, wann sie umsteigt.“ Die Gesamtkosten für den Umstieg, so Stangl weiter, reduzieren sich im Roots System deutlich: „Wir halbieren die Kosten für die Errichtung im Vergleich zu zentralisierten Lösungen und nehmen damit die Schockstarre aus den Projekten.“
Herzstück der in den Wohnungen verbauten Technik ist der „Roots Hub“, in dem Mess-, Steuer- und Regeltechnik zusammengefasst sind. „Wir haben die gesamte Intelligenz in ein fertiges Produkt gepackt. Der Installateur muss nur mehr die Leitungen montieren und das Gerät anschließen – fertig“, meint Stangl. Dazu kommt der „Roots Absorber“, ein passiver Luftwärmesammler, der laut Stangl lautlos arbeitet: „Die Menschen haben Angst vor Ventilatoren vor dem Fenster – unser Absorber arbeitet nur mit natürlicher Konvektion. Da bewegt sich nichts mehr, es gibt keinen Stromanschluss. Der Absorber arbeitet völlig lautlos.“
Auch die Soletherme ist bewusst als Plug-and-Play-Lösung konzipiert. „Wir wollten ein Produkt, das die Gastherme eins zu eins ersetzt. Gleiche Größe, gleiche Position, aber eben erneuerbar. Und weil es hoch standardisiert in Kühlschrankwerken gebaut wird, ist es nicht nur günstiger, sondern auch hochwertiger.“
Das Roots Haus in Wien dient dem Unternehmen als Schaufenster und Labor zugleich. „Wir können hier jeden Heizungstyp real simulieren, nicht nur in Software, sondern in echt“, so Stangl. „Es gibt Umweltwärmequellen, Wärmeerzeuger und Abgabesysteme in allen Varianten. Damit können wir testen, was in jedem mitteleuropäischen Bestandsgebäude vorkommen kann.“ Co-Geschäftsführer Hüseyin Özcelik ergänzt: „Wir haben mit dem Roots Haus einen Ort geschaffen, an dem man die Wärmewende nicht nur verstehen, sondern auch erleben kann. Damit beweisen wir: Erneuerbare Systeme sind fossilen Heizungen überlegen – sie heizen genauso zuverlässig, ermöglichen Kühlen und sind günstiger im Betrieb.
Die Nachfrage sieht Stangl besonders bei Nachverdichtungen und Sanierungen. Wenn ein Dachboden ausgebaut oder eine Wohnung kernsaniert wird, wird meist auf erneuerbare Wärmeversorgung umgestellt. Das ist der Moment, in dem wir ins Spiel kommen – wir schaffen dann für alle Wohnungen den Anschlusspunkt.“ Aber auch große Hausverwaltungen suchten aktiv nach Lösungen. „Wir sprechen mit den größten Immobilien-Eigentümern Österreichs und sogar einem der größten Verwalter Europas. Alle sehen, dass unser System die Lösung ist.“
Wie hoch die Akzeptanz bei den Bewohner*innen der Wohnungen ist, überrascht Stangl selbst: „Wir dachten, es wird schwer, Mehrheiten in den Häusern zu bekommen. Aber wir sehen Zustimmungen von 70 bis 80 Prozent“, meint er. „Es sind nicht die Progressiven, die zustimmen, sondern die Konservativen, die sagen: Wenn meine Heizung am Ende ist, will ich etwas Zeitgemäßes – aber es muss wirtschaftlich sein.“
Gegenüber Installateuren sieht sich Roots nicht als Konkurrenz. „Wir nehmen niemandem ein Geschäft weg. Wir öffnen einen Markt, der bisher gar nicht existiert hat“, meint Stangl. Man konzentriere sich auf Mehrparteienhäuser. Kleinere Projekte überlasse man weiterhin lokalen Betrieben. „Kein Installateur macht gerne Mess- und Regeltechnik, das ist zu komplex. Das übernehmen wir. Aber wenn eine Wohnung neue Heizkörper will oder eine Fußbodenheizung, dann ist das klar das Geschäft des Installateurs.“




