Bytes auf der Baustelle
Die Digitalisierung kann dazu beitragen, die Produktivität am Bau deutlich zu steigern. Dafür dürfte es aber eine Grundvoraussetzung geben: ein Ende des Silodenkens am Bau verbunden mit einer konsequenten Optimierung der Prozesse.

„Die Digitalisierung ist gekommen, um zu bleiben.“ Für Gerald Beck, Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) und der ARE Austrian Real Estate, steht fest: Die digitale Transformation ist keine vorübergehende Modeerscheinung, sondern ein nachhaltiger Wandel in Planung, Errichtung und Betrieb von Immobilien. Ähnlich sieht das Walter Haberfellner, Konzernbereichleiter Digitalisation & Construction Services bei Swietelsky. „Digitalisierung ist keine Frage mehr des ob, sondern nur noch des wie. Die Welt wird digitaler, ob wir wollen oder nicht“, meint er.
Digitale Tools für mehr Produktivität
Experten sind sich sicher: Digitale Tools können ganz wesentlich dazu beitragen, die Produktivität zu erhöhen – und sich damit einen echten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das gilt nicht nur für die Großen der Branche, sondern auch für kleinere und mittelgroße Betriebe aus dem Baugewerbe. „Wer heute noch mit handschriftlichen Notizen auf der Baustelle arbeitet, trifft damit eine strategische Entscheidung – und die ist nicht besonders weitsichtig“, meint ein Bau-Manager.
Der Tiroler Bauunternehmer Anton Rieder hat eine strategische Entscheidung getroffen. Er setzt auf Digitalisierung. Rieder unterscheidet dabei zwischen drei möglichen Ansätzen, die der internationale Unternehmensberater EY vor einiger Zeit aufgezeigt hat: die Digitalisierung von Einzelprozessen, die Verbindung von BIM und Lean Management oder das konsequente Optimieren der Gesamtprozesse eines Bauvorhabens – inklusiver aller beteiligten Gewerke über alle Phasen des Projekts hinweg.
Rieder hat sich für die Variante drei entschieden: die Optimierung der Gesamtprozesse. „Derzeit haben wir folgende Situation am Bau: Jedes Projekt ist mehr oder weniger ein Prototyp. Man arbeitet mit unterschiedlichen Beteiligten, unterschiedlichen Methoden und unterschiedlichen Software-Systemen. Und das Ganze soll funktionieren wie ein Orchester“, beschreibt Rieder die Gegenwart auf den Baustellen. Nachsatz: „Das ist so, wie wenn ich das Neujahreskonzert spiele, ohne vorher zu üben – und jedes Mal mit neuer Besetzung.“
Mit der eigens entwickelten Plattform „MyBauOffice“ will Rieder alle Projektbeteiligten – vom Bauherrn bis zu den Subunternehmern – auf eine gemeinsame Software-Umgebung bringen. Dort erfolgen Planung, Aufgabenverwaltung, Protokollierung und Kommunikation in einem Tool, auf das alle jederzeit Zugriff haben. „Jeder weiß, wer wann was zu tun hat – in Echtzeit“, meint Rieder. Die Plattform basiert auf Microsoft 365 auf und soll bis Ende des Jahres fertig entwickelt sein. Rieder erwartet sich durch sie eine deutlich bessere Zusammenarbeit, weniger Fehler und mehr Effizienz. „Das größte Problem am Bau ist derzeit das Silo-Denken. Wir brauchen hier einen radikalen Paradigmenwechsel.“
Gegen mehr Effizienz und weniger Mängel bei der Umsetzung werden sich die Auftraggeber nicht wehren. Einer der größten Auftraggeber im heimischen Hochbau ist die BIG. Dort setzt man konsequent auf den Einsatz von BIM-Modellen. Bei der BIG gilt seit einiger Zeit die Devise „Comply or Explain“. Dazu BIG-Geschäftsführer Beck: „BIM-Modelle bringen erhebliche Vorteile. Es muss nicht jedes Projekt unbedingt in BIM geplant und abgewickelt werden, aber dafür muss es gute Gründe geben.“ Damit will man sowohl intern als auch gegenüber den Planern eine klare Richtung vorgeben. „Wie wir früher vom Tuschestift auf CAD umgestiegen sind, gehen wir jetzt von CAD auf BIM“, sagt Beck.
Der BIG-Geschäftsführer zeigt sich erfreut, über die Begeisterung, mit der viele Mitarbeiter*innen das Thema Digitalisierung aufgreifen. Er verweist auf digitale Lösungen, die in-house entwickelt wurden und bereits im Unternehmensalltag eingesetzt werden. So hat eine Gruppe von jungen Kolleginnen und Kollegen ein internes BIG GPT entwickelt, das Fragen zur Organisation und technischen Abläufen beantwortet. „Das funktioniert sehr gut“, meint Beck.
Ebenso nützlich ist die im Haus entwickelte Begehungs-App: Schäden an Gebäuden werden per Smartphone fotografiert, eine KI erkennt den Schaden, beschreibt ihn automatisch und bereitet die notwendigen Informationen für den Ausschreibungsprozess auf. „Das spart enorm viel Zeit und reduziert Fehlerquellen“, so Beck. Er erwartet in den kommenden Jahren eine Reihe weiterer derartiger Lösungen und große Effizienzfortschritte. Feste Ziele gibt es dafür aber nicht. Beck: „Die Entwicklung ist dafür zu dynamisch. Was ich heute plane, ist morgen schon überholt.“
Ähnlich pragmatisch sieht man das beim Swietelsky. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern muss sich auszahlen. Dazu gehören auch vermeintlich kleine Schritte wie die digitale Stundenkontrolle oder die Integration von ERP-Systemen in den operativen Ablauf. Entscheidend sei, so Digitalisierung-Manager Haberfellner, dass man nicht nur Software einkauft, sondern auch Prozesse und Menschen mitnimmt. „Es ist Software, Mensch und Prozess – alle drei Faktoren müssen zusammenspielen.“
Was das konkret heißt, zeigt sich beim Einsatz von KI-Tools. Zwar nutze man in manchen Bereichen bereits Large Language Models wie ChatGPT für Protokolle oder Textvorlagen, doch die Qualität hänge maßgeblich vom Datenmaterial und dem Verständnis der Nutzenden ab. „KI ist ein Buzzword geworden, aber ohne gute Datengrundlage bringt sie nichts“, sagt Haberfellner.
Er erläutert an einem konkreten Projekt, wie sich Digitalisierung rechnet. Bei der Sanierung einer Bahnstrecke in den Niederlanden musste auch die Elektrotechnik erneuert werden – unter anderem mussten 400 Masten neu montiert werden. „Die konventionelle Arbeitsweise wäre gewesen: vor Ort begutachten, ausbaggern, das Fundament errichten, die Bauteile bei Bedarf anpassen und dann montieren“, schildert Haberfellner. „Stattdessen haben wir alle Informationen digital zusammengespielt, die Masten digital erfasst, digital geplant und der Schlosserei exakte Pläne geschickt. Die Montage der Mastfundamente beispielsweise hat vor Ort hat dann statt eines ganzen Arbeitstages nur mehr 15 Minuten pro Mast benötigt.“
Einigkeit herrscht unter den Experten, dass die Digitalisierung auch kleineren Betrieben großes Potenzial bietet – wenn sie bereit sind, zu investieren und sich zu verändern. Rieder Bau zeigt als mittelständisches Unternehmen, wie es gehen kann. Die BIG und Swietelsky beweisen, dass auch große Organisationen Innovationskraft aus sich selbst heraus entwickeln können. Aus Sicht von Swietelsky-Manager Haberfellner gibt es für den Erfolg der Digitalisierung einen ganz entscheidenden Faktor: „Wenn ich eine neue Technologie einsetze, muss ich genau analysieren: Was ist das Potenzial dieser Technologie, und wie muss ich meine Prozesse verändern, damit sie auch wirklich nutzen kann?“