Kommentar

Aufbäumen. Stadtbegrünung für eine lebenswerte Zukunft

Conrad Amber
07.05.2025

Viele Lösungen MIT der Natur sind nicht nur schöner, sympathischer und menschenfreundlich, sie sind oft ökonomisch günstiger, vor allem, wenn man sie auf viele Jahre oder Jahrzehnte rechnet. Ein Kommentar von Buchautor Conrad Amber.

Über zwei meiner Projekte möchte ich hier ausführlicher informieren und vielleicht auch Lust erzeugen, solche Lösungen zu wählen, die auf mehr Verantwortung, mehr Zukunftsglauben, mehr Natur und damit auf mehr Menschennähe bauen.

Grünfassade statt Klimaanlage

Die Arbeiterkammer Vorarlberg in Feldkirch stand vor der Entscheidung, in ihr bestehendes Bürogebäude nachträglich eine Klimaanlage einbauen zu müssen oder das Problem der Überhitzung über viele Wochen anders zu lösen. Mit einer vorgebauten Grünfassade (siehe Aufmacherbild oben).
Diese wurde vom Architekten Rainer Huchler und mir geplant und umgesetzt. Auf drei begehbaren Ebenen stehen über 50 Pflanztröge mit Spezialsubstraten. Über die Gerüstkonstruktion wurde ein Rautengitternetz gespannt (mit Aussparungen für Fenster) und es wurden über 250 rankende, windende, blühende Pflanzen eingesetzt und eingefädelt. Bewässert wird der senkrechte Wald durch Regenwasser, das in einer unterirdischen Zisterne gesammelt und von dort in die drei Ebenen gepumpt wird. Je nach Bedarf der Pflanzen und der Bodentrockenheit.
Nach drei Jahren wird die Fassade vollständig zugewachsen sein und ihre Kühlwirkung voll entfalten. Im ersten Jahr wurden an Augusttagen die Oberflächentemperaturen der Fassade mit der Pflanzenwand verglichen: +48 °C gegen +25 °C! An einem Sommertag werden alle Pflanzen bis zu 2.500 Liter Wasser verdunsten und so die Gebäudewand erheblich abkühlen. Sie werden die Büros mit gefilterter, sauerstoffreicher Frischluft versorgen und für die Menschen eine ständig wechselnde Augenweide bieten. Schon wenige Wochen nach der Bepflanzung entdeckten wir Schmetterlinge, Bienen und Singvögel in der grünen Wand. Eine Bereicherung für Mensch und Natur, mitten in der Stadt! Und eine grüne Visitenkarte für die Arbeiterkammer, ohne erklärt werden zu müssen.

Advertorial
Das aktuelle Bauprojekt des Schweizer Unternehmers Karl Zünd ist ein Industriekomplex mit 100 Meter Seitenlänge und einer Holzfassade. Die Fläche davor wird mit heimischen Baum- und Straucharten bepflanzt. Teilweise wird der kleine Wald mit alten Bäumen bepflanzt, die an anderen Orten gefällt werden würden. © Conrad Amber
Das aktuelle Bauprojekt des Schweizer Unternehmers Karl Zünd ist ein Industriekomplex mit 100 Meter Seitenlänge und einer Holzfassade. Die Fläche davor wird mit heimischen Baum- und Straucharten bepflanzt. Teilweise wird der kleine Wald mit alten Bäumen bepflanzt, die an anderen Orten gefällt werden würden. © Conrad Amber

Der Recylingwald

Karl Zünd ist ein erfolgreicher, bodenständiger Unternehmer. Seine Gebäude liegen im Industriegebiet von Altstätten im Schweizer Rheintal. Das aktuelle Bauprojekt ist ein Industriekomplex mit 100 Meter Seitenlänge und Holzfassade. Davor ein versiegelter Platz, der als Parkplatz nicht mehr gebraucht wird, weil in den neuen Tiefgaragen geparkt wird.
Weil der Boden Altlasten und einen sehr hohen Lehmanteil aufweist, wird dieser auf über zwei Meter Tiefe ausgegraben und durch versickerungsfähiges Erdreich aus der Umgebung ersetzt. Nach meinem Waldplan mit rund 50 verschiedenen, heimischen Baum- und Straucharten wird die Fläche auf sanften Hügeln bepflanzt, durchzogen mit einem Waldweg, über den die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Haupteingang gelangen. Für die Waldfläche konnten wir größere Feldahorne und eine stattliche Eiche finden, die auf einem Parkplatz in der Nähe leben und dort einem Neubau weichen müssen. Statt sie zu fällen, werden sie mit einer Großspatenmaschine ausgegraben und in die Waldfläche eingesetzt. Aus einem aufgelassenen Riedwäldchen, das in naher Zukunft einer Maisackerfläche weichen muss, entnehmen wir 30 mittelgroße, bis zu sieben Meter hohe, zum Teil krumm gewachsene Hainbuchen. Diese müssen erst balliert werden. In die Waldfläche werden weitere Baumarten gepflanzt, die wir aus nahe gelegenen Baumschulen auswählen. Ihr Wuchs soll natürlich sein, mehrstämmig und mit tiefem Astansatz. Eben wie Bäume in der Natur und in einem natürlichen Wald wachsen. Am Boden werden Steinhaufen und Altholzstämme und Wurzeln liegen. Brennnesseln, Farne und Moose und andere Waldpflanzen werden von Naturwaldflächen umgesiedelt. Schon im Herbst dieses Jahres wird der „Zündwald“ begehbar sein und in wenigen Jahren werden sich unzählige Ökosysteme etabliert haben. Pilze, Flechten, Bodenorganismen, Insekten, Singvögel und andere Tiere und Pflanzenarten werden hier ihre neue Heimat finden. Und die Menschen werden staunen und verstehen.
(bt)

Conrad Amber
Conrad Amber

Conrad Amber (geb. 1955) lebt und arbeitet in Dornbirn, er ist Vater von drei Töchtern. Als Naturfotograf und Autor begleitet und dokumentiert er seit vielen Jahren Begrünungsprojekte – über 300 Hotels und Institutionen stattete er mit seinen Naturmotiven aus. Er hält Vorträge, ist beratend tätig und organisiert Waldausflüge, Baumwanderungen sowie Fotografiekurse.
Über LinkedIn kann sein Engagement tagesaktuell verfolgt werden. Sein unermüdlicher Einsatz gilt der naturnahen Begrünung unserer Lebenswelt – Conrad Amber findet eine grüne Lösung für jedes Betonproblem.
Sein Bildband “Baumwelten” (2015) wurde zum Bestseller. Weitere Veröffentlichungen: “Bäume auf die Dächer, Wälder in die Stadt!” (2017), “Was uns Bäume erzählen” (2020) und ganz neu “Aufbäumen. Stadtbegrünung für eine lebenswerte Zukunft” (2024). www.conradamber.at

 

 

 

Redaktion Handwerk + Bau

Die Redaktion von Handwerk und Bau vereint erfahrene Journalist:innen und Expert:innen aus der Bau- und Handwerksbranche. Mit fundiertem Fachwissen und einem Gespür für aktuelle Trends informieren wir Sie über Neuheiten, innovative Technologien und bewährte Techniken. Unser Ziel ist es, Sie mit praxisnahen Tipps und tiefgehenden Analysen bei Ihren Projekten zu unterstützen.