Geht uns das Glas aus? Aktuelle Entwicklungen am Flachglasmarkt
In den letzten Jahren hat der europäische Glasbedarf einen kontinuierlichen Rückgang erlebt. Das hat die Basisglashersteller dazu veranlasst, ihre Produktionskapazitäten zu drosseln. Durch die Stilllegung von Floatglaslinien kommt es inzwischen zu einer spürbaren Verknappung und entsprechend steigenden Preisen. Um die Hintergründe und die Auswirkungen besser zu verstehen, haben wir mit drei Experten aus der Glasbranche gesprochen.

Was sind die Ursachen der Glasengpässe?
“Durch den stark zurückgegangenen Glasbedarf im vergangenen Jahr und dem damit verbundenen Überangebot an Basisglas am Markt, haben sich mehrere europäische Glashersteller entschlossen, ihre Produktionskapazitäten zu reduzieren und Floatglaslinien abzuschalten”, erklärt Wolfgang Pichler, Vertriebsleiter bei Pilkington Austria.
Und das ist inzwischen deutlich zu spüren. “Da jede Wanne eine Tageskapazität von ca. 500 Tonnen Glas hat, fehlen diese Mengen natürlich am Markt. Zeitgleich ist die Nachfrage in ganz Europa wieder leicht gestiegen, und die Hersteller sind aufgrund der höheren Preise auch wieder bereit, weitere Wege in Kauf zu nehmen, sodass sich die Menge nochmals anders verteilt”, erläutert Johannes Reiter, Geschäftsführer von Glasgroßhändler Vandaglas Ziegler.
Welchen Verzögerungen muss man aktuell einplanen?
Harald Bissenberger, Prokurist bei Ertl Glas, ist (noch) relativ entspannt: “Die Verzögerungen können sehr unterschiedlich sein, es kommt auf die Produkte und auf die Vorplanung an. Derzeit ist es zwar mühsam, aber wir bekommen noch alles zum Termin.”
Johannes Reiter sieht eine weitere Zuspitzung: “Wir sehen bei unseren Hauptlieferanten aktuell vier bis sechs Wochen längere Lieferzeiten. Aus heutiger Sicht wird sich die Lage noch zuspitzen und wir müssen mit weiteren Engpässen für die nächsten Monate rechnen.” Auch Wolfgang Pichler spricht – je nach Produkt – von mehreren Wochen bis sogar Monaten verzögerter Lieferung.
Wann ist mit einer Normalisierung zu rechnen?
“Sollte der Glasbedarf konstant bleiben oder steigen, wird sich eine Entspannung erst einstellen, wenn wieder Glaswannen in Betrieb genommen werden. Das ist für dieses Jahr aber wohl nicht geplant”, verrät Wolfgang Pichler von Pilkington. Harald Bissenberger hat ähnliche Befürchtungen: “Ich könnte mir vorstellen, dass diese Situation noch ein bis zwei Jahre andauert, aber das sind nur Vermutungen.”
Johannes Reiter fasst die Informationen seiner Lieferanten zusammen: “Die Situation wird sich in den nächsten Monaten leider nicht entspannen. Wir gehen davon aus, dass sich die Verfügbarkeit bis zum Jahresende hin eher noch dramatisch verschlechtert. Auch für das nächste Jahr sind bereits Kaltreparaturen geplant, sodass weiterhin mit Glasknappheit zu rechnen ist.”
Wie wirkt sich die Glasknappheit auf die Preise aus?
Preise werden bekannterweise durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Das hat zur Folge, dass die Marktpreise für sämtliche Gläser “davongaloppieren”, wie es Johannes Reiter ausdrückt. Er erklärt: “Der Einfluss auf den Marktpreis für alle Gläser ist enorm. Wir sprechen hier nicht von einzelnen Prozentpunkten, sondern schon fast von einer Verdoppelung des Grundpreises für Basisglas, und wir als Veredelungsbetriebe müssen diese Erhöhungen entlang der Wertschöpfungskette an unsere Kunden weitergeben, sodass der Marktpreis ganzheitlich deutlich steigen wird.”
Wolfgang Pichler muss dem beipflichten: “Es wurden bereits mehrere Preiserhöhungen umgesetzt und es ist leider mit weiteren zu rechnen.” Harald Bissenberger von Ertl Glas geht ins Detail: “Mit Anfang Juni stehen wir, je nach Produkt, zwischen 80 und 100 Prozent Preiserhöhung seit Jänner 2025. Diese total überzogenen Erhöhungen müssen natürlich auch an den Markt weitergegeben werden. Ich gehe davon aus, dass alleine im Jahr 2025 noch zwei bis drei Erhöhungen folgen werden.”
Fazit: Die Situation bleibt angespannt
Die Situation auf dem Flachglasmarkt ist angespannt. Die Kombination aus Produktionsdrosselungen, anhaltenden Kaltreparaturen und steigender Nachfrage führt zu Engpässen und Preissteigerungen. Fachleute raten dazu, sich frühzeitig mit Glasprodukten einzudecken, um den Herausforderungen der kommenden Monate zu begegnen und ihre Kunden über Verzögerungen zu informieren. Die Normalisierung der Verfügbarkeit scheint derzeit in weiter Ferne, und die Branche muss sich wohl auf weitere Preiserhöhungen einstellen.
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