Johann Marchner im Interview

“Wir brauchen wieder mehr Zuversicht!”

10.07.2025

Johann Marchner ist seit fünf Jahren Geschäftsführer von Wienerberger Österreich. Ein guter Anlass, mit ihm über die Entwicklungen der letzten Jahre, die anhaltende Krise am Bau und die Zukunft des Dachhandwerks zu sprechen.

Herr Marchner, im Frühling 2020 haben Sie die Gesamtleitung von Wienerberger Österreich übernommen. Was waren Meilensteine des Unternehmens und was waren Ihre persönlichen Wienerberger-Highlights in den letzten fünf Jahren?

Johann Marchner: Am 9. Mai 2019 bin ich zu Wienerberger gekommen. Nach dem Ausscheiden von Mike Bucher bin ich 2020 in die Geschäftsführung aufgestiegen. Im Jahr 2020 hat uns alle, und mich als neuen Geschäftsführer besonders, die Corona-Krise getroffen. Und sie wirkt nach, auch gesellschaftlich. Sie hat zu viel Verunsicherung geführt, und bis heute erleben wir volatile Zeiten. Was folgte, war eine extrem starke Marktnachfrage. Das hat sich aus der Krise heraus entwickelt und beschäftigt uns noch heute. Vielfach wurde diskutiert, warum wir nicht liefern konnten. Wir haben alles unternommen, was möglich war. Es mir wichtig, dass wir solche Situationen künftig vermeiden. Deshalb versuchen wir, unsere Kapazitäten so weit wie möglich aufrechtzuerhalten – um bei entsprechender Nachfrage liefern zu können.
Ein persönliches Highlight ist seit dem vergangenen Jahr meine Verantwortung für zwei Unternehmensbereiche: Rohrsysteme und keramische Produkte – also Wienerberger Österreich und Pipelife Austria. Das ist für mich eine besondere Aufgabe, denn wir sind in Österreich nun breiter aufgestellt – unter einer gemeinsamen Führung. Das Dach spielt dabei eine zentrale Rolle – als erster Auffangpunkt des Wassers. Durch die Synergien zwischen Pipelife und Wienerberger lassen sich innovative Systeme wie unsere Regenwasserversickerungsbox optimal integrieren. So kann das Wasser gezielt versickert oder gesammelt und wiederverwendet werden. Eine zukunftsweisende Lösung für Österreich.

Der Bau steckt aber nach wie vor in einer Krise. Wie geht es Wienerberger Österreich und speziell dem Dachbereich in diesen herausfordernden Zeiten?

Am schwierigsten ist die Situation im Hintermauer-Bereich – stark abhängig vom Einfamilienhausbau. Zwar sehen wir auch einige Erfolge im mehrgeschossigen Wohnbau, aber das reicht aktuell nicht, um die Rückgänge durch Marktanteilsgewinne zu kompensieren.
Der Dachbereich performt zum Glück besser. Dort sehen wir weiterhin einen hohen Sanierungsbedarf. Das stimmt mich auch für die kommenden Jahre zuversichtlich. Ich bin kürzlich durch Österreich geradelt und habe gesehen, wie viel Sanierungsbedarf es noch gibt – vor allem bei den Dächern. Da stehen noch viele Häuser mit alten Dächern, obwohl bereits neue Haustüren und Fenster eingebaut wurden. Das zeigt einerseits, wie langlebig unsere Bauweise ist, andererseits wird auch das Dach irgendwann erneuert werden müssen.
Ich glaube, dass das Marktvolumen im Dachbereich über die Jahre hinweg solide bleiben wird – insbesondere mit neuen Themen wie Regenwassermanagement und Energienutzung. Das Dach entwickelt sich vom reinen Schutz- zum Nutzdach. Dabei geht es um Energiegewinnung, Regenwassernutzung und mehr. Da haben wir als Wienerberger mit einem erweiterten Angebot eine starke Position.

Das Programm der neuen Bundesregierung bis 2029 enthält auch mehrere baurelevante Punkte, darunter die Zweckbindung der Wohnbauförderung, die Vereinfachung von Bauverfahren, die Stärkung der Baukonjunktur etc. Sehen Sie darin haltbare Pläne mit der Hoffnung auf Umsetzung?

Ich hoffe sehr, dass sich endlich etwas manifestiert. Bisher gab es viele Ankündigungen, aber zu wenig Konkretes. Eine zentrale Forderung, die nicht neu ist, ist die Zweckbindung der Wohnbauförderung. Sie ist essenziell, um zu verhindern, dass diese Mittel aus Budgetgründen zweckentfremdet werden. Diese Gelder müssen tatsächlich dem Wohnbau zugutekommen.
Aber ich glaube, das größere Problem ist, dass viele Menschen in Österreich momentan nicht am „Leistenkönnen“, sondern am „Leistenwollen“ zweifeln. Wir haben ein Sparvermögen von fast einer Billion Euro – das Geld ist da. Es fehlt jedoch an positiven Signalen. Wir brauchen wieder mehr Zuversicht! Aktuell wird vieles schlechtgeredet – das ist Gift für die Branche. Diese negative Grundhaltung entwickelt sich schnell zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Und aus der müssen wir raus. Ja, die Politik kann nicht alles lösen – aber sie muss jetzt Klarheit schaffen: Was wollen wir? Wo handeln wir? Der Bausektor ist enorm wichtig für das BIP und die Beschäftigung. Deshalb muss der Bau ein zentraler Hebel für künftige Maßnahmen sein.

Erwarten Sie vom Ende der KIM-Verordnung, die am 30. Juni ausgelaufen ist, merkbar positive Auswirkungen auf die heimische Bauwirtschaft?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Von vielen Seiten ist zu hören, dass die Banken trotz Wegfall der KIM-Verordnung weiterhin klare Vorgaben haben. Offiziell wurde die Regelung zwar abgeschafft, aber die Standards bleiben bestehen. Das war keine Überraschung.

Auch der kleinvolumige Wohnbau wird immer weniger. Was bedeutet das für das Geschäft eines Ziegel- und Dachziegelproduzenten? Was sind die Gegenstrategien von Wienerberger?

Es war absehbar, dass das kleinvolumige Bauen – nicht zuletzt aufgrund der Diskussion um Flächenverbrauch und Leistbarkeit – unter Druck kommt. Deshalb haben wir schon früh begonnen, uns breiter aufzustellen und dem Baustoff Keramik im urbanen Raum wieder mehr Bedeutung zu geben, sei es im Dach- oder im Wandbereich.
Die ersten Erfolge sehen wir: In Wien wurde ein achtgeschossiges Gebäude mit Ziegel gebaut, in Graz errichten wir bald erstmals einen Neunstöcker, in Linz sogar ein elfgeschossiges Gebäude in Hybridbauweise. Unsere Strategie war also, den Ziegel wieder dorthin zurückzubringen, wo er historisch stark war – in den urbanen Raum. Und das greift langsam. Natürlich gibt es auch Widerstände – aber wir lassen uns davon nicht abbringen. Nachhaltigkeit hilft uns dabei: Ziegel ist ein werthaltiges, langlebiges Material. Wenn wir über Bauen im Bestand sprechen, dann ist die erhaltenswerte Substanz fast immer Ziegel – und die wird revitalisiert oder erweitert.
Dazu gehört auch, dass wir an der Bauweise arbeiten: sei es mit Fertigteilen, durch unser Fertigteilwerk, oder mit Robotics – oder durch hybride Konzepte. Wir wollen dem Ziegel nicht nur als Produkt wieder Bedeutung geben, sondern auch eine passende Bautechnologie anbieten. Wir sind auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel.

Sie haben die Sanierung vorhin als Hoffnungsträger erwähnt. Hat der Bereich Sanierung bei Wienerberger in den letzten Jahren prozentuell zugenommen?

Im Dachbereich liegt der Sanierungsanteil heute bei rund 70 Prozent. Das liegt daran, dass der Neubau stark zurückgegangen ist. Vom gesamten Verkaufsvolumen im Dachsegment geht also heute rund 70 Prozent in die Sanierung.

Wie sieht die Praxis aus: Soll die Dachsanierung meist möglichst kostengünstig durchgeführt werden oder investieren Bauherr*innen im Zuge dessen in echte Aufwertung wie optimierte Dämmung, Dachfenster, Photovoltaik etc.?  

Wir sehen definitiv tiefgreifende Sanierungen. Auch im privaten Umfeld merke ich, dass die Menschen nicht nur einzelne Ziegel tauschen. Es geht meist um mehr: Dachgeschoßausbau, PV-Anlage, neue Dämmung – das ist heute Standard. Natürlich gibt es auch einfache Umdeckungen, aber insgesamt wird sehr genau hingeschaut. Die Sanierungen sind heute deutlich umfassender. Gerade in Wien sehen wir aktuell viele solcher Projekte – oft bis hin zur Erneuerung des gesamten Dachstuhls.

Also echte Investitionen.

Ja, echte Investitionen. Und genau deshalb tun sich viele bei der Fenstersanierung leichter – sie ist oft günstiger und wird besser gefördert. Das muss man ehrlich sagen. Wenn Sie heute einen Dachziegel ersetzen, ist das nicht förderfähig. Nur thermische Sanierungen sind es – und da stellt sich dann die Frage: Welche Kosten sind überhaupt förderfähig? Da ist das Fenster natürlich klar im Vorteil. Wir haben das Thema oft mit der Politik diskutiert. Gerade das Dach ist energetisch enorm relevant – hier geht viel Wärme verloren. Dennoch bleibt das förderfähige Volumen gering.

Etwas besser sieht es damit bei der Photovoltaik aus. Wienerberger bietet mit der Photovoltaik-Aufdach-Lösung seit knapp zwei Jahren eine „All-in-One-Lösung“ an. Wie wird sie von den Dachhandwerker*innen angenommen?

Zögerlich – noch immer. Baustoffhersteller tun sich generell schwer mit dem Vertrieb von Photovoltaik, da sind wir keine Ausnahme. Für mich ist es dennoch ein strategisches Thema. PV ist gekommen, um zu bleiben. Trotz weniger oder weggefallener Förderungen ist die PV-Anlage beim Neubau oder bei einer Sanierung heute oft gesetzt. Wir haben bewusst mit einem klassischen All-in-One-Auftachsystem gestartet, arbeiten aber bereits an Indachlösungen – also echten Dachdeckerprodukten für die Sanierung. Erste Pilotprojekte laufen, und unsere Kolleg*innen in Deutschland sind da schon sehr erfolgreich. Wir planen, im kommenden Jahr auch in Österreich mit einer Indachlösung zu starten.
Ich bin überzeugt: Wir werden auch mit Photovoltaik erfolgreich sein. Wir müssen den Dachdecker intensiver begleiten, ihm die Angst vor dem Thema Strom nehmen. Viele haben Respekt davor – verständlich.

Lässt sich aber grundsätzlich ein steigendes Interesse der Betriebe am Thema Photovoltaik für das Dachhandwerk erkennen?

Ja, ganz klar. Denn der Endkunde erwartet das vom Dachhandwerker. Der sagt: „Wer bringt mir die Komplettlösung?“ – und nicht: „Mit wie vielen Dienstleistern muss ich sprechen?“. Also muss der Dachdecker auch die Spenglerarbeiten, PV, Regenwassermanagement und mehr im Blick haben. Entweder hat er ein gutes Partnernetzwerk oder – wie manche – er baut es intern auf: eine Elektrikerabteilung mit Konzession zum Beispiel. Einer unserer Dachdecker-Partner mit rund 25 Mitarbeitenden macht das bereits – nicht riesig, aber wachsend.

Wenn sich die Dachdeckerbetriebe hier aktuell noch zögerlich zeigen – wo liegen die zukunftsträchtigen Aufgaben? Wohin entwickelt sich das Dachhandwerk?

Eine zentrale Frage ist für mich: Wie sieht es beim Nachwuchs aus? Wir erleben einen Generationenwechsel. Es gibt viele Traditionsbetriebe, die übernommen werden oder neu starten. Aber überall höre ich: Wir müssen die Qualität im Handwerk sichern. Trotz aller Digitalisierung und Themen wie KI – die sicher große Auswirkungen auf die Planung haben wird – brauchen wir weiterhin Menschen, die das Handwerk physisch beherrschen. KI kann bei der Planung helfen, ja. Aber gebaut wird nach wie vor von Hand. Und hier liegt die Herausforderung. Wenn man mit Innungen spricht – egal ob Elektriker, Dachdecker oder Baumeister – dann ist die Rückmeldung oft ernüchternd: wenig qualifizierter Nachwuchs, große Schwierigkeiten, überhaupt geeignete Kandidat*innen zu finden. Ich glaube, wir müssen auch mehr Frauen für das Handwerk gewinnen.

Das heißt, das Handwerk bleibt wichtig und wertvoll – gerade in der klassischen Dachdeckung mit ihren vielen Details und Zusatzfeatures. Mit welchen Produktneuheiten wird Wienerberger seine Kund*innen unterstützen?

Wie schon angesprochen, arbeiten wir an einer Indach-Lösung. Auf einer Elektro-Fachmesse haben wir als Wienerberger erstmals integrierte Indach-Systeme präsentiert – kombiniert mit unseren Pipelife-Lösungen. Die Resonanz war sehr gut und erste Projekte laufen. Der Marktstart ist für Anfang 2026 geplant.
Wir befassen uns auch verstärkt mit der Fassade. Daraus entsteht aktuell ein eigener Fassadenziegel, abgeleitet aus einer Dachziegelentwicklung. Ein durchgefärbter keramischer Ziegel, vollständig rückbaubar, mit Befestigungslöchern. Ein sehr nachhaltiges System, vielfältig in Farbe und Form. Er ist perfekt für Dachdecker*innen geeignet.
Bei All4Roof kommt im Sommer ein neues Feature für Sanierungsdächer. Wir sprechen hier inzwischen von mehreren hundert aktiven Nutzer*innen, mit mehreren tausend geplanten Objekten. Ziel ist, eine vollständige digitale Plattform von der Planung bis zur Lieferung zu schaffen – auch für Kalkulation und Angebotserstellung.

Die Wienerberger AG hat ein ehrgeiziges Nachhaltigkeitsprogramm 2023–2026. Läuft die Umsetzung nach Plan und was konnte das Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität bis jetzt erreichen?

Wir sind gut unterwegs. Unser Flaggschiff – das Werk in Uttendorf – ist seit November 2024 im Regelbetrieb und läuft auf 100 Prozent Leistung. Wir erweitern das Sortiment wie geplant. Es ist ein Pilotprojekt mit allen typischen Herausforderungen, aber ein wichtiger Baustein unserer Dekarbonisierungsstrategie. Auch das Biodiversitätsprogramm läuft gut. In der Kreislaufwirtschaft arbeiten wir z. B. an Reuse-Projekten – etwa mit wiederverwendbaren Wandelementen. Entscheidend ist aber, dass die Politik mitzieht. Wenn die EU Elektrifizierung als Kernelement ausruft, dann muss der Netzausbau mitgehen. Strom darf nicht teurer werden als Gas – sonst lohnt sich nachhaltige Produktion nicht. In UK ist etwa ein Dachziegelwerk mit Elektrifizierung in Vorbereitung. Auch in Deutschland und Tschechien laufen ähnliche Projekte. Und in Pinkafeld testen wir das Torbetech-Projekt – nominiert für den Staatspreis Patent 2025 – eine KI-basierte Ofensteuerung mit bis zu 30 Prozent Energieeinsparung. Darauf sind wir sehr stolz.