Dicke Luft in Österreichs Schulklassen
Eine aktuelle Studie zeigt: in 55 Prozent der Fälle werden in Österreichs Schulen die CO₂-Richtwerte überschritten. Mögliche Maßnahmen, um die Luft zu verbessern: mehr Disziplin beim Lüften und der Einbau von mechanischen Lüftungsanlagen.
Die Studie hat exakt 337 Seiten, enthält jede Menge brisante Ergebnisse – und liegt seit geraumer Zeit dem Bildungsministerium vor. Dessen Reaktion bislang: null. „Das ist die größte Enttäuschung. Das muss ich ganz ehrlich sagen“, sagt Christine Hopfe dazu. Hopfe ist Professorin für Bauphysik an der Technischen Universität Graz. Sie leitet dort das Institut für Bauphysik, Gebäudetechnik und Hochbau und hat gemeinsam mit Kollegen die besagte Studie verfasst. „Wir sind gerne bereit, über die Ergebnisse zu sprechen. Sie sind unheimlich wichtig. Sie sind repräsentativ und zeigen auf, was gemacht werden muss“, meint sie.
Luft in Schulen
Es geht hier um die sogenannte Impaqs-Studie (Improving Air Quality in Schools, die im Auftrag des Bildungsministeriums erstellt und nun vom Verein Zukunft Luft Austria präsentiert wurde. Mit ihr wurde die Luftqualität in 1.200 österreichischen Klassenzimmern im Schuljahr 2023/24 systematisch untersucht. Ziel war es, den Zustand der Raumluft hinsichtlich CO₂-Konzentrationen, Belüftungspraktiken sowie Umweltfaktoren wie Temperatur oder Lärm zu erfassen. Zudem wurden Maßnahmen evaluiert, die zu einer Verbesserung der Luftqualität führen können – insbesondere durch den Einsatz von CO₂-Monitoren. Finanziert vom Bildungsministerium selbst, ist Impaqs eine der umfangreichsten Studien dieser Art in Österreich und liefert laut den Autor*innen belastbare Daten, die eine dringende Handlungsaufforderung darstellen.
Im Rahmen der Studie wurden fünf Forschungsfragen untersucht. Schon die Ergebnisse zur ersten Frage haben es in sich. Wie viele Klassenzimmer in Österreich werden gemäß geltenden Normen oder Richtlinien ausreichend belüftet? – so diese Frage. Die Antwort: Der als Schwellenwert etablierte Grenzwert von 1.000 ppm CO₂ wurde im Jahresmittel in 55 Prozent der Fälle überschritten. Noch drastischer zeigt sich die Situation bei stündlichen Werten: Im Jänner wurden Spitzenwerte von bis zu 7.000 ppm gemessen.
Die zweite Frage untersuchte, ob CO₂-Konzentrationen mit der Jahreszeit oder Umweltfaktoren wie Außentemperatur oder Lärm zusammenhängen. Die Analyse zeigt, dass besonders in der kalten Jahreszeit die Werte steigen – vor allem in Klassen, die natürlich, also nur mit Fenstern, belüftet wurden. In diesen Räumen lagen die CO₂-Werte bei Außentemperaturen unter 20 Grad deutlich über dem Grenzwert. Dagegen blieben Räume mit mechanischer Lüftung konstant unterhalb der 1.000-ppm-Marke. „Besonders bei Innentemperaturen unter 22 Grad liegen die CO₂-Werte in natürlich belüfteten Räumen um 200 bis 400 ppm höher als in mechanisch belüfteten“, so Hopfe. Das bedeutet: Die Art der Belüftung ist ein zentraler Einflussfaktor auf die Raumluftqualität.
Mechanische Lüftung wirkt
Ein zentrales Ergebnis der Studie: Mechanische Lüftung wirkt. Die tägliche mittlere CO₂-Konzentration in mechanisch belüfteten Klassenzimmern lag im Winter um bis zu 600 ppm niedriger als in natürlich gelüfteten. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass nicht jede Schule mit Lüftungsanlage automatisch bessere Werte erzielt. In mehreren Fällen wurden Anlagen aus Kostengründen deaktiviert. Drei der zehn besten Schulen im CO₂-Vergleich waren trotz fehlender Technik unter den Spitzenreitern – weil Fenster regelmäßig und bewusst geöffnet wurden, die Räume ausreichend groß waren und Hindernisse wie blockierte Fenster nicht bestanden. Damit unterstreichen die Studienautor*innen: Gutes Lüften ist auch eine Frage der „Kulturtechnik“ – also des Wissens und der Gewohnheit.
Die dritte Frage widmete sich der Wirksamkeit von CO₂-Monitoren mit Ampelfunktion, die in den Klassenzimmern aufgestellt werden und vor einer hohen CO₂-Konzentration warnen. Die Ergebnisse zeigen, dass diese Monitore zu einer signifikanten Verbesserung führen – insbesondere in den Wintermonaten. Die sogenannte „Kontroll-Test-Differenz“, also der Unterschied zwischen Klassen mit und ohne Monitor, lag durchschnittlich bei über 200 ppm – in Einzelfällen bei bis zu 500 ppm. „Es bringt etwas, diese Monitore zu installieren“, betont Hopfe. Auch die begleitenden qualitativen Erhebungen bestätigen diesen Effekt: Lehrkräfte empfanden die Geräte mehrheitlich als hilfreich und nicht als störend.
Die vierte Forschungsfrage stellte das Risiko luftübertragener Infektionskrankheiten in den Fokus. Zwar ist der direkte Nachweis schwierig, doch Modellrechnungen zeigen einen deutlichen Zusammenhang: Klassenzimmer mit besseren Lüftungsraten weisen ein deutlich geringeres Infektionsrisiko auf. Wird der Außenluftvolumenstrom von durchschnittlich 7,4 Litern auf 14 Liter pro Sekunde und Person erhöht, könnte das Risiko um 30 Prozent sinken. Diese Berechnungen „zeigen, wie wichtig eine gute Luftqualität für die Gesundheit ist – gerade in pandemischen Zeiten“, so Hopfe.
Lüften ist Kulturtechnik
Die fünfte Frage beleuchtete schließlich die menschlichen Aspekte: Wie reagieren Schulen auf technische Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität? Das Ergebnis: überwiegend positiv. Die Akzeptanz für CO₂-Monitore war hoch, das Interesse am Thema ebenfalls. Eine Lehrkraft brachte es auf den Punkt: „Lüften ist eine Kulturtechnik.“ Technik allein genüge nicht – Bewusstsein und Schulung seien entscheidend. Genau hier setzt Hopfe an: „Warum gibt es keine jährlichen Lüftungstrainings, so wie es sie für Brandschutz oder Arbeitssicherheit gibt?“
Konkret schlägt sie eine Reihe von Maßnahmen vor – kurzfristig wie langfristig. Kurzfristig sollten CO₂-Monitore flächendeckend eingesetzt, große und gut sichtbare Anzeigen genutzt sowie klare Lüftungsanleitungen direkt im Klassenzimmer angebracht werden. Ergänzt um einfache Schulungen, könnten damit bereits spürbare Verbesserungen erreicht werden. Zudem sollten Rauminspektionen durchgeführt werden – etwa, ob Fenster tatsächlich zu öffnen sind.
Langfristig fordert Hopfe die verpflichtende Installation mechanischer Lüftungssysteme bei Schulneubauten sowie eine unabhängige Beratung durch Expert*innen. Auch moderne Technologien wie Fern-UVC-Strahlung oder Luftreinigung durch HEPA-Filter sollten geprüft werden. Ebenso relevant: die Reduktion der Klassengrößen. Weniger belegte Räume schnitten im CO₂-Vergleich deutlich besser ab. Schließlich plädiert Hopfe für Echtzeitdaten und Warnmeldungen: International sei das längst üblich. Warum nicht auch bei uns?




