Fachkräftemangel

Der Kampf um die Lehrlinge

Die Baubranche kämpft aktuell um jeden Lehrling und gleichzeitig gegen ein schlechtes Image – beinahe wie Don Quijote gegen Windmühlen.

Mittlerweile haben sich am Stand der österreichischen Hochbauer*innen bei den Euro Skills einige Besucher*innen eingefunden und schauen den jungen Fachkräften mit bewundernden Blicken bei der Arbeit zu. Darunter auch Dario, 13 Jahre alt, der auf die Frage, ob er sich denn vorstellen könnte, den Beruf auszuüben, nur knapp mit "Ja, warum denn nicht, ist ja ein solider Beruf" antwortet. Er sei vorher auch schon bei der "Try a Skill"-Station gewesen und habe ein wenig selber "probiert, ob er das auch kann". Sein Fazit: "Ich habe mich schon gut dabei gefühlt, aber wenn ich hier zuschaue, hab ich wohl noch etwas Luft nach oben." Seine Mutter sieht die Situation nüchterner. Zuerst soll er Matura machen, dann sehe man weiter. "Wie der Onkel am Bau arbeiten" könne er dann im Notfall immer noch.

Egal ob Maurer*in oder Tiefbauer*in: Die Lehre hat ein Imageproblem

In einer Studie des Market-In­stituts aus dem Jahr 2016 gaben noch immer 52 Prozent der befragten Österreicher an, dass ihrer Meinung nach der Beruf des Maurers hierzulande ein Beruf ist, der wenig bis gar kein Ansehen hat.
In einer Studie des Market-In­stituts aus dem Jahr 2016 gaben noch immer 52 Prozent der befragten Österreicher an, dass ihrer Meinung nach der Beruf des Maurers hierzulande ein Beruf ist, der wenig bis gar kein Ansehen hat.

Die Lehre am Bau hat in der Außenwahrnehmung noch immer ein schlechtes Image, dagegen helfen anscheinend weder Imagekampagnen, Titel bei Berufsweltmeisterschaften noch eine Umbenennung der Berufsgruppen. In einer Studie des Market-Instituts aus dem Jahr 2016 gaben noch immer 52 Prozent der befragten Österreicher*innen an, dass ihrer Meinung nach der Beruf Maurer*in hierzulande ein Beruf ist, der wenig bis gar kein Ansehen hat. In der Studie "Zukunft der Arbeitswelt" im Auftrag der Leitbetriebe Austria und Zukunft Lehre Austria, die diesen Sommer veröffentlicht wurde, bescheinigten zwar zwei Drittel der Jugendlichen einer Lehre ein hohes Ansehen, gesamtgesellschaftlich waren es aber nur noch 37 Prozent. "Generell haben wir in Österreich ein Imageproblem mit der Lehre, da sie nach wie vor als Ausbildung zweiter Klasse gesehen wird", bestätigt Lisa Pelzmann, Human Resources bei der Leithäusl Gesellschaft m.b.H. "Hier fehlt es massiv an Information für die Eltern und an Berufsorientierung der Kinder."

Diese Sicht bestätigt auch Michael Allesch. "Der Beruf des Trockenbauers wird noch immer nicht mit all seinen Facetten gesehen, das Image des ungelernten Arbeiters, der einfache Platten verschraubt, ist immer noch in vielen Köpfen", so der Direktor des Marketings und Vertriebs bei Saint-Gobain, Isover und Rigips. Generell bedürfe es heute wesentlich größerer Anstrengungen als Lehrbetrieb als noch vor fünf oder zehn Jahren, um für genügend guten Nachwuchs zu sorgen.

Arbeitsmarkt: Verschobene Entscheidungshilfen

Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren verstärkt andere Faktoren eine wesentliche Rolle bei der Berufswahl von Jugendlichen spielen als früher. Sozialwissenschaftlich betrachtet, war lange Zeit das nahe Umfeld jugendlicher Lebenswelten – also die Berufe, die ein Teenager besonders gut kennt, wie jene der Eltern oder naher Verwandter – prägend für die Berufswahl. Mittlerweile beeinflusst das ferne Umfeld immer öfter diese Entscheidung. Mehr Jugendliche wollen so sein wie ihre Held*innen in (sozialen) Medien und sich zugleich von der Lebenswelt ihrer Eltern abgrenzen.

In "Zukunft der Arbeitswelt" gaben 71,3 Prozent der befragten Jugendlichen ebenfalls an, "beruflich weiter kommen zu wollen als ihre Eltern". Gleichzeitig wollen nur noch 24,7 Prozent überhaupt in der gleichen Branche wie ihre Eltern arbeiten. Dadurch fallen auch viele potenzielle Berufseinsteiger*innen weg, die von Haus aus ein Naheverhältnis zu der Baubranche hätten. Dabei würden sich prinzipiell die Ansprüche sowie Wünsche der Teenager mit einer Baulehre decken.

Knapp die Hälfte der Jugendlichen fühlten sich in ihrer Schulzeit nicht gut beraten hinsichtlich ihrer Ausbildungsmöglichkeiten.

David Pfarrhofer

Bau-Lehrlinge: Gute Ausbildung, viel Know-how

Geht es um die Vorstellungen und Wünsche von Jugendlichen in Österreich bezüglich ihres zukünftigen Berufs, sind die Prioritäten klar verteilt: Das Gehalt sollte stimmen, der Beruf noch genügend Zeit für Freund*innen und Hobbys bieten und stetige Weiterbildung sowie Aufstiegschancen feste Bestandteile sein. "Dies sind alles Wünsche, die eine Lehre erfüllen kann", stellt David Pfarrhofer vom Market-Institut fest. "In unserer Analyse 'Die Wahrnehmung der Lehre aus dem Blickwinkel der Lehrlinge' wurden diese Punkte überwiegend positiv bewertet."

Überhaupt zeichnet die Analyse ein sehr positives Bild der heimischen Lehre aus der Sicht der Lehrlinge. 80 Prozent gaben an, (sehr) zufrieden mit ihrer Lehrstelle zu sein. Im selben Atemzug folgt jedoch auch Kritik an der aktuellen Situation. "Knapp die Hälfte der Jugendlichen fühlten sich in ihrer Schulzeit nicht gut beraten hinsichtlich ihrer Ausbildungsmöglichkeiten", ergänzt Pfarrhofer. Informationen, die nicht nur für die Jugendlichen wesentlich wären.

Die Bauzeitung hat zur Lehrlingssituation nachgefragt.
Wie einfach ist es momentan für Ihr Unternehmen, passende Lehrlinge zu finden? Wir haben bei unseren Lesern nachgefragt.

Lehrstelle auf der Baustelle und die Rolle der Eltern

Die Sorgen sowie Vorurteile der Eltern sind ebenfalls Aspekte, die man durch viel Information und Aufklärung aus den Köpfen bekommen könne. Vor allem Aufstiegschancen, Gehalt und Abschluss, ob mit oder ohne Matura, sollten eigentlich keine Hemmschwelle für eine Lehre am Bau darstellen. Dennoch scheint es, dass diese allgemeinen Informationen oftmals nicht in der Elterngeneration ankommen. Um dem entgegenzuwirken, haben viele Bauunternehmen, die Lehrlinge ausbilden, mittlerweile eigene Bereiche auf der Homepage, die auf einen Blick alle wesentlichen Informationen über die Lehrberufe bieten und gleichzeitig auch den weiteren Karriereweg sowie Goodies aufzeigen. "Auf Initiative des VÖTB wurde beispielsweise mit der HTL Baden ein Lehrgang für Trockenbaumanagement geschaffen, der mit der Reife- beziehungsweise Diplomprüfung abschließt", erklärt Allesch. "Generell viel zu wenig bekannt ist, dass es die Möglichkeit einer Lehre mit Matura gibt – da bedarf es noch viel mehr an Aufklärung."

Bei der Aufklärung versucht man jedoch ein realistisches Bild des zukünftigen Berufs zu zeichnen. "Es nützt nichts, mit 'Hochglanzprospekten' und überzogenen Perspektiven auf die Jugendlichen zuzugehen, wenn der Arbeitsalltag dann ganz anders aussieht", stellt Pelzmann klar. "Um die Vorteile und Möglichkeiten aufzuzeigen, laden wir die Jugendlichen – und gern auch die Eltern – zu Probe- und Schnuppertagen sowie Betriebsbesichtigungen ein, damit sie sich direkt vor Ort ein Bild über die Tätigkeiten machen können." Vor allem ein Gespräch mit den Ausbildner*innen helfe hier ungemein, die Vorteile und Möglichkeiten des Lehrberufs gemeinsam zu erörtern.

Größte Herausforderung: Information als offenes Thema

Ein Wunsch, der sowohl von den Firmen als auch den Jugendlichen oftmals geäußert wird, lautet, mehr Informationen über die Möglichkeiten schon in Schulen zu vermitteln, wo neutral über mögliche Wege diskutiert werden kann. "Wir haben in unserer Studie gesehen, dass es 86 Prozent der Befragten als wichtig erachten, dass Jugendliche in Schulen über Berufschancen, Branchen und etwaige Ausbildungsmöglichkeiten informiert werden", stellt Pfarrhofer fest. Dem gegenüber stehen aber knappe 45 Prozent, die in der Umfagre angeben, dass dies bei ihnen nur teilweise bis gar nicht funktioniert habe. "Kurzfristige Kampagnen nützen hier nur wenig, die Berufsorientierung muss im österreichischen Bildungssystem ab der Volksschule verankert werden", fordert Pelzmann.

Gerade deswegen zieht es auch Baufirmen vermehrt in die Schulen – zu Berufsorientierungstagen sowie Messen, egal ob diese digital oder in Person abgehalten werden. Präsenz ist einer der Schlüsselfaktoren. Das merkt man auch bei den jährlichen Baulehrlingscastings in Bauakademien Österreichs: Wer mit seiner Firma nicht vor Ort ist, wird aus diesem Pool eher schwer Nachwuchs rekrutieren können. Doch diese Präsenz bei Veranstaltungen ist seit mehr als eineinhalb Jahren kaum noch möglich. "Die Situation hat sich durch die Corona-Pandemie noch weiter verstärkt, da in den Schulen keine Informationsveranstaltungen und Ähnliches stattfinden konnten", so Allesch. Eine Möglichkeit, trotzdem die Jugendlichen in ihrer Lebenswelt abzuholen, bieten soziale Medien.

Digitale Chancen für Lehrbetriebe nicht nur in der Corona-Krise

Die Werbekampagne von Leithäusl ­versucht mit Augenzwinkern Interesse zu wecken.
Die Werbekampagne von Leithäusl ­versucht mit Augenzwinkern Interesse an der Lehre am Bau zu wecken.

Egal wie die Plattform auch heißen mag, mittlerweile findet man auf beinahe allen Social-Media-Kanälen auch Firmen der Baubrachen wieder. Zwar nicht ausschließlich zur aktiven Lehrlingssuche, aber definitiv zum Transport des eigenen Images sowie der Berufsgruppen. Egal ob große Player*innen der Bauindustrie, Baustoffhersteller*innen oder kleine Baumeister*innenbetriebe: Man versucht auf Facebook, Youtube sowie Instagram präsent zu sein, um auf sich aufmerksam zu machen und mit speziell auf den Kanal und die Zielgruppe zugeschnittenen Inhalten für sich zu werben. "Ein eigenes Social-Media-Profil ist eine authentische Zutat für das eigene Employer-Branding und ein wichtiger Baustein für das Social Recruiting", erklärt der Social-Media-PR-Manager Patrik Hof. "Hochwertige, auf die Zielgruppe passende Texte zu schreiben kostet aber Zeit und sollte von Experten erledigt werden."

Fachkräftebedarf, offene Stellen und Lehrlinge

Fachkräfte sind in der ­Baubranche ein begehrtes Gut, ­Lehrlinge ein wesentlicher Faktor, um  dem Fachkräftemangel vorzubeugen.
Fachkräfte sind in der ­Baubranche ein begehrtes Gut, ­Lehrlinge ein wesentlicher Faktor, um  dem Fachkräftemangel vorzubeugen.

Wie wichtig es für die heimische Wirtschaft und die Baubranche wäre, ausreichend Lehrlinge zu finden, auszubilden und in den Betrieben als Mitarbeiter*innen-Fundament zu halten, zeigt der vorherrschende Fachkräftemangel in Österreich. Laut dem Fachkräfteradar 2020 des Instituts für Bildungsforschung und Wirtschaft (IBW) sind in der Baubranche (inklusive der Baunebengewerbe) beinahe die Hälfte der Unternehmen sehr stark sowie knapp 30 Prozent eher stark von einem Mangel an Fachkräften betroffen. Nur die wenigsten glauben, dass sich dies in den nächsten Jahren auch wieder legen wird. Rund 80 Prozent der befragten Unternehmer*innen der Sparte Gewerbe und Handwerk rechnen mit einer Verschärfung der Problematik. Ein funktionierendes Lehrlingsrecruiting könnte hier effizient gegensteuern.

"Bis in ein paar Jahren"

Von all den Nachwuchsproblemen sowie dem Fachkräftemangel der Baubranche weiß Dario nichts. Er ist einfach fasziniert, auch wenn man ihm ansieht, dass er ganz genau weiß: So sauber und glamourös wie hier geht es auf der Baustelle wohl nicht immer zu. Er winkt noch kurz zum Abschied, sagt ein wenig verschmitzt, "wir sehen uns dann in ein paar Jahren, Siegerinterview gehört schon dir, wenn der Preis stimmt", in meine Richtung und folgt lachend seiner Mutter aus der Halle.

Michael Hofer hielt dem Druck stand: Er holte Gold in der Kategorie Hochbau.

Goldregen bei EuroSkills

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