Debatte um BIM: „Wir sind in eine Falle getappt“
Karl-Heinz Strauss, CEO der Porr, und Thomas Hoppe, Präsident des Verbands der Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker (VZI) trafen sich zum Streitgespräch. Das Thema: BIM, Versprechen, die nicht gehalten und Erwartungen, die nicht erfüllt wurden. Das Ergebnis: einvernehmlicher als gedacht.

Es war eine Aussage mit Sprengkraft. Im Podcast Architektur- und Bauforum äußerte sich Porr-CEO Karl-Heinz Strauss deutlich zum Building Information Modeling (BIM) in der Planungspraxis: „Wenn 50 Prozent der deutschen Architekt*innen sagen, BIM werde in ihrem arbeitstäglichen Umfeld keine Rolle spielen, dann muss ich fragen: Hallo, in welcher Welt lebst du? Ich glaube, du kannst aufhören. Du kannst das mit der Hand zeichnen wie ein Maler, aber bauen wirst du nichts mehr.“ Eine halbe Minute Podcast – der einen Aufschrei in der Planungswelt zur Folge hatte. Thomas Hoppe, Präsident des Verbands der Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker (VZI), meldete sich daraufhin zu Wort: „Das kann man so nicht stehen lassen.“ Es sei an der Zeit, über die realen Herausforderungen beim Einsatz von BIM zu sprechen: über Versprechen, die nicht gehalten wurden, Auftraggeber, die Anforderungen nicht definieren und Planungsbüros, die zwischen Ideal und Realität zerrieben werden. Die Bauzeitung hat beide zum Gespräch gebeten.
Ist BIM die Zukunft?
Herr Strauss, Ihre Aussage in unserem Podcast hat für reichlich Diskussionen gesorgt. Worum geht es Ihnen in der Sache?
Karl-Heinz Strauss: So aus dem Zusammenhang gerissen, klingt das viel dramatischer, als es gemeint war. Die Frage war schlicht: Wird BIM in Zukunft eine große Rolle spielen? Und meine Antwort war: Ja. Ich war erstaunt über das Ergebnis dieser Umfrage in Deutschland. Meine Erfahrung ist: Es gibt heute kein Industrieprojekt, kein Großprojekt und zunehmend auch bei öffentlichen Aufträgen kein Thema, bei dem BIM keine Rolle spielt. Deswegen haben mich die Umfrageergebnisse überrascht.

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Herr Hoppe, Ihre Begeisterung über diese Aussage war nicht gerade groß. Was hat Sie genau gestört?
Thomas Hoppe: Es ist natürlich klar: Das war ein sehr überspitzter Satz, der auch absichtlich darauf abzielte, die Menschen aufzurütteln. Das verstehen wir als Planer*innen. Man muss aber sagen, dass die BIM-Frage wie ein weißer Elefant im Raum steht. Wenn die Aussage war: „Wenn Sie nicht BIM machen, werden Sie in Zukunft nichts bauen“, dann lautet die Antwort: „Planer bauen ja nicht. Ich bin kein Baumeister, ich bin Architekt.“ Natürlich wäre das ebenfalls eine überspitzte Antwort, aber sie zeigt das Dilemma. Wir als Planerinnen waren bereits vor 15 Jahren sehr interessiert an BIM. Dann haben wir festgestellt: Die Versprechen der Softwarehäuser halten nicht. Und wir haben uns dann aus einigen Teilbereichen wieder zurückgezogen.
Mir stellen sich jetzt drei Fragen: Was ist das Problem mit BIM in der Praxis? Was war das ursprüngliche Versprechen? Was kann BIM und was soll es können? Ich übergebe den Ball wieder an Sie, Herr Strauss.
Strauss: Meiner Meinung nach scheitert es oftmals daran, dass BIM zwar von vielen Auftraggebern gewünscht wird, aber der notwendige Aufwand – etwa für aufwendige Datenmodelle – nicht bezahlt wird. Weder der Baufirma und schon gar nicht den Planungsfirmen. Das hat natürlich dazu geführt, dass man gesagt hat: Wenn es nicht unbedingt sein muss, machen wir es anders. Aber – und das ist das große Aber – im Industriebau oder bei komplexen Großbaustellen wie etwa dem Koralmtunnel oder dem BMW-Werk in München ist BIM der Alltag. Da arbeiten Planungsfirmen, Ausführende und Auftraggeber sehr eng und sehr schnell zusammen. Das geht nur mit einheitlichen Datenmodellen. Bei öffentlichen Ausschreibungen gilt BIM in vielen Ländern mittlerweile als Standard. Und das wird auch bezahlt.
Herr Hoppe, Sie haben gerade mehrfach genickt. Was sagen Sie dazu?
Hoppe: Ich halte einen Punkt für sehr wichtig: Ein Auftraggeber muss wissen, was er bestellt – und das von Anfang an klar definieren. Ein zweites großes Thema sind die Standards. Wir haben eine Vielzahl an Standards – von jedem großen Auftraggeber. Wir als Planer*innen wünschen uns Standards, die auch wirklich das sind, was sie versprechen: ein klar definiertes Minimum, das viele in hoher Qualität leisten können. Aktuell ist das nicht der Fall. Viele unserer Kolleg*innen sitzen oft stundenlang daran, die siebte Eigenschaft einer Tür zu definieren – eine Information, die im schlimmsten Fall nie ausgelesen wird, weil das Facility-Management kein passendes Programm dafür hat. Da, glaube ich, sind wir in eine Falle getappt. Wir müssen uns fragen: Was wird wirklich gebraucht? Wie können wir das möglichst effizient liefern? Und wie gelingt das so, dass alle Beteiligten das Gefühl haben, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten? Dann, und nur dann, wird BIM kein Problem, sondern ein Werkzeug.

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Damit wären wir bei meiner zweiten Frage: Was wurde ursprünglich versprochen – und wer hat es nicht gehalten?
Hoppe: „Nicht gehalten“ ist vielleicht zu hart formuliert. Es war im vorliegenden Rahmen nicht leistbar – weder finanziell noch organisatorisch. Ich gebe ihnen ein Beispiel: Es gibt Projekte, bei denen alle drei Monate ein 3D-Scan verlangt wird, um den Baufortschritt zu dokumentieren. Diese Punktwolken sind so umfangreich, dass sie sich über das Internet gar nicht mehr sinnvoll übertragen lassen. Und dann stellt sich die Frage: Werden unsere Rechner im Büro diese Daten überhaupt noch öffnen können? Da werden aus Daten eben keine Information. Sie liegen irgendwo herum. Alle haben das Gefühl, sie hätten etwas bekommen – aber niemand weiß so genau, was das eigentlich ist.
Strauss: Da stimme ich Ihnen hundertprozentig zu. Wir haben diese Erfahrung ebenfalls gemacht – allerdings liegt das schon sechs, sieben Jahre zurück. Damals waren die Datenmengen tatsächlich so groß, dass die ersten Architekturbüros, die für uns in Wien BIM-Planungen umgesetzt haben, direkt bei unserer Planungstochter pde sitzen mussten, weil ein sinnvoller Datenaustausch anders gar nicht möglich war. Es hat sich seither einiges verbessert. Aber was bis heute nicht funktioniert, ist die Standardisierung. Sie haben es angesprochen: Wir haben eine völlig uneinheitliche Landschaft an Standards und Normen. Es gibt Bemühungen zur Harmonisierung – etwa vom VZI oder vom ÖBV – aber da ist noch viel zu tun. Wir haben daher drei zentrale Forderungen:
- Verschlankung und klare Strukturierung der Normen- und Standardslandschaft. Sie muss einheitlich werden.
- Flächendeckende Schulungs- und Qualifizierungsprogramme für alle Projektbeteiligten.
- Verbindliche Verankerung von BIM-Anforderungen in Vergabe- und Vertragsunterlagen.
Dann weiß jede und jeder genau, was bestellt wird, was gefordert werden kann und was geliefert werden muss – über die gesamte Kette hinweg: von der Projektidee über Planung und Umsetzung bis hin zum Betrieb.
Das komplette Streitgespräch als Podcast hören!Herr Hoppe, halten Sie das auch für die drei Maßnahmen, die BIM zum Erfolg führen könnten?
Hoppe: Uns geht es vor allem um die Standards – genau das, was Herr Strauss angesprochen hat. Wenn in einer Ausschreibung ein BIM-Modell gefordert wird, dann muss es dafür eine klar definierte Mindestanforderung geben. Und ein Planer oder eine Planerin muss sagen können:
„Ja, das erfülle ich. Ich weiß, was auf mich zukommt. Ich kenne das Leistungsbild. Ich kann das liefern.“ Auch die zweite Forderung von Herrn Strauss halte ich für enorm wichtig. Wir erleben aktuell einen Engpass in der Ausbildung und Qualifikation. Es gibt derzeit nur einen Anbieter in Österreich, der Zertifikate vergibt und damit de facto festlegt, wer befähigt ist, was zu tun – und wer nicht. Deshalb arbeiten wir als VZI gemeinsam mit der Berufsvertretung intensiv an einer alternativen Ausbildungsstruktur. Ein Angebot, das sich nicht auf ein bestimmtes Programm bezieht, sondern auf Inhalte und Systematik von BIM-Planungen fokussiert und die Büros zertifiziert. Es muss offen sein – also Open BIM.
Strauss: Dazu habe ich zwei Anmerkungen. Erstens: Die Softwarefirmen haben kein Interesse an Open Source. Sie wollen ihre eigenen Produkte durchsetzen. Daran krankt das ganze Thema seit Jahren. Man sieht das auch an simplen Beispielen – wie lange hat es etwa gedauert, bis es auch bei Apple einen einheitlichen Stecker gab? Zweitens: Wenn wir von Anfang an mit einem klar definierten BIM-Modell arbeiten sollen, müssen wir von Anfang an sehr detailliert planen. Das bedeutet einen enormen Aufwand – in einer Projektphase, in der das noch gar nicht abgegolten werden kann. Da verstehe ich die Zurückhaltung vieler Büros vollkommen. Deshalb bin ich völlig bei Ihnen, Herr Hoppe: Das funktioniert nur partnerschaftlich. Es gibt ein Projekt – und bei diesem Projekt gibt es etwas zu verteilen. Wenn das klar ist, kann man die Lasten auch gerecht aufteilen.
Was ist mit den ganz kleinen Büros? Wie kommen die auf Dauer mit BIM klar?
Hoppe: Ich sehe durchaus Chancen, auch für kleinere Büros. Wenn sie wissen, was sie genau liefern müssen, können sie sich auf das konzentrieren, was sie gut können – vorausgesetzt, sie kümmern sich rechtzeitig darum, jemanden zu finden, der sie unterstützt.
Strauss: Unbedingt. Ich sage immer: Nicht die Großen schlagen die Kleinen – sondern die Schnellen die Langsamen. Die Softwareindustrie ist uns hier aber noch etwas schuldig: Sie sollte endlich die Hürden beim Datenaustausch abbauen. Open BIM ist für mich das zentrale Thema. Das wird so oder so auf uns zukommen. Und wenn wir in Richtung Künstliche Intelligenz blicken, dann spielt es überhaupt keine Rolle mehr, welches Programm verwendet wird. Da spreche ich nicht von KI, die wir heute haben, sondern auf das, was in den nächsten 24 Monaten möglich sein wird. Da reden wir über generative KI, über Superintelligenz. Was heute in Kalifornien, China oder anderen Regionen passiert, ist enorm. Wir werden uns zusammenschließen müssen, um Projekte in Zukunft ganz anders zu steuern. Denn diese Prozesse werden nicht mehr nur von Menschen, sondern auch von Technologie gesteuert – und wir müssen dann liefern, wissen aber noch nicht, was genau gefordert sein wird.
Wir kommen langsam zum Ende. Herr Strauss, Sie haben vorhin die 24 Monate genannt. Wie könnte die ideale BIM-Welt in zwei Jahren aussehen – wenn der Schulterschluss gelingt, der sich in diesem Gespräch bereits abgezeichnet hat?
Strauss: Schulterschluss bedeutet für mich: Alle Beteiligten – vom Auftraggeber über die Planer bis hin zu den Ausführenden – ziehen an einem Strang. Und man definiert gemeinsam: Was möchte ich? Was erwarte ich mir? Und was kostet das? Davon profitieren alle.
Hoppe: Aus meiner Sicht lautet die Frage: Was können wir gemeinsam tun? Wir werden uns gegen leere Versprechungen der Softwareindustrie zur Wehr setzen. Die Dinge, die nicht realistisch geliefert werden können oder die niemand wirklich braucht, müssen wir aufzeigen.
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