Baurecht

OGH: Maßstab für Bauleistungen

Markus Androsch-Lugbauer, Christoph Lintsche
03.12.2025

Der Oberste Gerichtshof (OGH) bestätigt erneut, dass Bauleistungen dem Stand der Technik und den entsprechenden Önormen zu entsprechen haben – sofern keine abweichende Vereinbarung besteht. Eine nicht normgerechte Ausführung stellt einen Mangel dar und begründet einen Anspruch auf Verbesserung.

Die beklagte Partei, eine Projektentwicklerin, war Miteigentümerin einer Liegenschaft mit einem älteren Bestandsgebäude, das in den 1980er- bzw. 1990er-Jahren zu einer Schule umgebaut worden war. In den Jahren 2007 bis 2010 ließ sie als Projektentwicklerin das Gebäude unter Beiziehung mehrerer Subunternehmer erweitern und zu einem Wohnhaus umbauen.
Anschließend veräußerte sie zwischen 2010 und 2013 die einzelnen Wohnungen, wobei sie in den Kaufverträgen ausdrücklich zusicherte, dass „der Kaufgegenstand sowie die allgemeinen Teile der Gesamtanlage vertragsgemäß und mängelfrei hergestellt“ seien.

ÖNORM-Verstöße begründen Mangelhaftigkeit

Im Jahr 2016 traten erhebliche Baumängel zutage. Betroffen waren insbesondere der Dachbereich sowie Terrassen-, Stiegenhaus- und Loggiengeländer. Die Mängel bestanden unter anderem in einem unzureichenden Gefälle der Dachunterkonstruktion, einer teilweise ungeeigneten Wärmedämmung der Dachterrasse sowie einer nicht ausreichenden Tragsicherheit und zu geringen Höhe der Geländer. Diese Ausführungen verstießen gegen einschlägige Önormen und entsprachen nach den Feststellungen der Vorinstanzen damit nicht den anerkannten Regeln der Technik.
Die Eigentümergemeinschaft begehrte daraufhin den Ersatz der anteiligen Sanierungskosten in Höhe von 149.230,84 Euro sowie die Feststellung der Haftung für zukünftige Folgeschäden aus dem unsachgemäßen Um- und Zubau.

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Maßgeblich ist die Erwartung laut Verkehrsauffassung

Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage der Schadenersatzpflicht gemäß Paragraf 933a ABGB. Der OGH bekräftigte unter anderem die Grundsätze gemäß Paragraf 922 ABGB zur Mangelhaftigkeit einer Leistung: Eine Leistung ist dann mangelhaft, wenn sie qualitativ oder quantitativ hinter dem vertraglich Geschuldeten zurückbleibt. Maßgeblich ist, welche Eigenschaften der Erwerber nach Treu und Glauben erwarten durfte. Diese Erwartung bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung.
Zur Konkretisierung des geschuldeten Leistungsumfangs stellte der OGH klar, dass sich die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften eines Bauwerks anhand der anerkannten Regeln der Technik bestimmen. Önormen sind nach Ansicht des OGH Ausdruck dieser Regeln und damit ein geeigneter Maßstab, um festzustellen, ob eine Bauleistung mangelhaft ist.
Die von den Vorinstanzen festgestellten Mängel – unzureichendes Dachgefälle, mangelhafte Wärmedämmung, nicht tragfähige und zu niedrige Geländer – führten dazu, dass das Gebäude nicht die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften aufwies. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs handelte es sich zudem um keine geringfügigen Mängel, weil diese sicherheitsrelevant waren. Die beauftragte Sanierung war demnach nicht unverhältnismäßig.

Technische Standards haben rechtliche Relevanz

Die aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) unterstreicht ein weiteres Mal die rechtliche Bindungswirkung technischer Standards und deren Bedeutung für die Beurteilung des gewährleistungsrechtlichen Mangelbegriffs.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Stand der Technik nicht nur technisches, sondern auch rechtliches Entscheidungskriterium ist. Önormen fungieren dabei als Indikatoren und konkretisieren das, was gemäß Paragraf 922 ABGB als „gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft“ gilt.

Praxistipp

Für die Praxis bedeutet dies: Auftraggeber und ausführende Unternehmer müssen sich nicht nur an den vertraglichen Vorgaben, sondern am aktuellen Stand der Technik und den einschlägigen Önormen und technischen Richtlinien orientieren, die sowohl aktuelle technische Entwicklung als auch die rechtliche Erwartung des Verkehrs widerspiegeln.

Stefan Böck

Stefan Böck ist Redaktionsleiter beim Österreichischen Wirtschaftsverlag