Ratschlag statt Kahlschlag

09.05.2016

Der Salzburger Gestaltungsbeirat stellt sich gegen die aggressive identitätszerstörende Tabula-rasa-Mentalität in der Stadt, fordert zeitgemäßes, intelligentes Bauen im und mit dem Bestand und macht damit Bauträgern, der Stadtplanung und -politik keine Freude.  
Wie auf dieser Fotografie der 1950er-Jahre wird auch heute noch der Stadtteil Gnigl vom Schulensemble von 1927/28 dominiert. Architekt Paul Geppert der Ältere hat die Schule und die beiden Lehrerwohnhäuser um ein platzartiges Zentrum gruppiert. Der Gestaltungsbeirat bedauert den Gesamtabriss, macht sich angesichts der fortgeschrittenen Planung zum „Bildungscampus“ immerhin für die Erhaltung des im Bild ganz rechts erkennbaren Lehrerhauses stark.
Wie auf dieser Fotografie der 1950er-Jahre wird auch heute noch der Stadtteil Gnigl vom Schulensemble von 1927/28 dominiert. Architekt Paul Geppert der Ältere hat die Schule und die beiden Lehrerwohnhäuser um ein platzartiges Zentrum gruppiert. Der Gestaltungsbeirat bedauert den Gesamtabriss, macht sich angesichts der fortgeschrittenen Planung zum „Bildungscampus“ immerhin für die Erhaltung des im Bild ganz rechts erkennbaren Lehrerhauses stark.

Jetzt reicht’s uns mit dem Gestaltungsbeirat – Die Stadt-SPÖ verliert die Geduld mit den Einwänden der Architekten“, titelten die „Salzburger Nachrichten“ am 29. Jänner 2016. Die rot-grüne Unterstützungsachse für das international renommierte Gremium hat sich kurz vor der 200. Sitzung im Mai aufgelöst. Als Anlassfall für den Seitenwechsel der SPÖ gelten Bildungscampus Gnigl und die Wohnanlage anstelle der Riedenburgkaserne. Bei beiden hat sich der Beirat für die Erhaltung identitätsstiftender Bauten eingesetzt. ÖVP und nun auch SPÖ wollen den Begutachtungszeitraum deckeln und die Kompetenzen des Beirats beschneiden, sie nennen das Ganze „Reform“.

Zu Beginn

Der von der Lokalpolitik missbrauchte Begriff „Reform“ führt zurück zum Beginn des Gestaltungsbeirats (GB): Anfang der 1970er-Jahre wies die Stadtplanung infolge übertriebener Bevölkerungsprognosen großflächig Bauland aus, unter anderem beiderseits der Hellbrunner Allee. Aus opponierenden Bürgerinitiativen wie „Schützt Salzburgs Landschaft“ bildete sich die Bürgerliste, ihr Einzug in den Salzburger Gemeinderat 1977 stellte das herrschende, konsensorientierte Politikmodell der Wiederaufbauära – wesentlich früher als in der Bundespolitik – infrage. Zur Erhaltung der besonderen Qualität Salzburgs entstand das strukturelle Maßnahmenbündel des sogenannten „Salzburg Projekts“, eine vom Gemeinderat 1986 „feierlich“ beschlossene Grünlanddeklaration, ein verkehrspolitisches Ziel- und Maßnahmenkonzept zur Wiederbelebung des historischen Zentrums, und gegen die Zerstörung der historischen Bausubstanz die „Altstadtinitiative“ sowie die sogenannte „Architekturreform“: Initiator Stadtrat Johannes Voggenhuber (Bürgerliste, 1982–87) etablierte 1983 den ersten Gestaltungsbeirat. Das international beachtete und anerkannte Modell der Planungsbegutachtung wurde Vorbild für zahlreiche, ähnlich organisierte Einrichtungen in Europa und hatte das Ziel, die architektonische Kultur zu fördern und ihr Niveau zu heben. Auch wurden alle bis 1945 errichteten Bauwerke in der Stadt mit Bedeutsamkeitskategorien und Erhaltungsgeboten erhoben. Während in den ersten Beiratsperioden ein architekturaffiner Bürger der Stadt bzw. Kunsthistoriker den Beirat bereicherten, wurden später ausschließlich Architekten bestellt, bedauerlicherweise fehlten immer wieder Landschaftsarchitekten.

Gestaltungsbeirat reformiert

Heute braucht der Gestaltungsbeirat (GB) keine Reform durch die Stadtpolitik. Er hat sich in den vergangenen Monaten von innen heraus reformiert, diesen Prozess förderten neue Mitglieder und Zurufe von überparteilichen Experten der Initiative Um+Bau+Kultur. Am 14. März lud der GB zum Hintergrund-Pressegespräch. Vorsitzender Walter Angonese aus Kaltern, Italien, hielt ein Impulsreferat bezüglich „Salzburger Zwischenräume – wie die Stadt sich außerhalb der Altstadt verändert“ und Arno Brandlhuber aus Berlin eines unter dem Titel „Graue Energie – zur Umnutzung von Beständen“.
Angonese will „im Zweifelsfall Bestand und Identität sichern“ und verweist auf die Ziele des Räumlichen Entwicklungskonzepts der Stadt (REK): Im Kapitel „Schutzwürdiges nicht nur in der Altstadt“ im REK 2007 wird klargestellt, dass „historisch wertvolle Einzelgebäude sowie entwicklungsgeschichtlich zusammengehörende oder gestalterisch einheitliche Ensembles architektonische und städtebauliche Werte und Entwicklungen“ widerspiegeln und das Stadtbild prägen. Diese und sogar „Kleindenkmäler weisen jeweils einzigartige städtebauliche Werte und Qualitäten auf, die zum besonderen Charakter Salzburgs beitragen und dementsprechend (…) zu schützen sind.“ Zudem sind auch „zeitgenössische und/oder baukünstlerisch besonders wertvolle Einzelgebäude auch ab dem Jahr 1945 zu erhalten“. Einer seit den 1990er-Jahren kontinuierlich geforderte Bewertung von nach 1945 errichteten Gebäuden entziehen sich in der Praxis allerdings sowohl Stadtplanung als auch Bundesdenkmalamt. Der ehemalige Landeskonservator (LK) Ronald Gobiet kündigte 2006 eine „Überprüfung der Architektur des 20. Jahrhunderts“ an, ebenso 2008 beim Docomomo (Documetation and conservation of buildings, sites and neighbourhoods of the modern movement)-Symposium „Moderne Zwei Baukultur 1948–1984“. Auch Nachfolgerin Eva Hody bleibt untätig. Eine seltene Ausnahme: LK Gobiet wollte 2009 das baukulturell bemerkenswerte Paracelsusbad mit Kurmittelhaus (Josef Hawranek, Hermann Rehrl sen. + jun.), die Reste des für die 1950er-Jahre in Salzburg ambitionierten Kur- und Kongresshausensembles, erhalten. Bürgermeister Heinz Schaden opponierte massiv dagegen und schlug Gobiets Angebot, gemeinsam mit der Stadt die Architektur ab 1945 zu durchforsten, aus.

Intelligentes Weiterbauen

Salzburg hätte eine positive Vorbildfunktion als Bauherr und Baubehörde für intelligentes Weiterbauen, das anhaltende Desinteresse der Stadt fördert aber Verluste. So wurde beispielsweise 2009 die gegliederte Betonfassade der Volksbank-Zentrale in der
St.-Julien-Straße 12 (Josef Hawranek, 1965) – trotz besonders leicht umsetzbarer Innendämmung – außen gedämmt. Die Qualitäten der Nachkriegsmoderne sind der Bevölkerung schwerer vermittelbar, was passiert aber mit älteren erhaltenswerten Gebäuden? Laut REK müssen historische Ensembles im Rahmen von Baubewilligungsverfahren, städtebaulichen Studien oder Wettbewerben berücksichtigt werden. Die Stadtplanung agiert allerdings gegenläufig: Sie ließ bei der Erstellung des Bebauungsplans für eine Wohnanlage anstelle der Riedenburgkaserne drei Erhaltungsgebote unter den Tisch fallen (Riedenburghalle, Kommandogebäude und das nördliche Nachbarhaus an der Moosstraße, beide Letztere um 1890), korrekt als geschützt eingetragen wurde nur die laut der historischen Erhebung „unbedingt“ erhaltenswürdige Biedermeiervilla. Allerdings lud die Stadt mit den Wettbewerbsbedingungen zum Abriss der Villa ein: Für den alternativen Ersatzbau seien „die qualitative Verbesserung der städtebaulichen Situation sowie die wirtschaftliche Notwendigkeit als Voraussetzung für die Beantragung der Aufhebung dieses Erhaltungsgebotes nachzuweisen“. Architekturaktivisten protestierten erfolgreich und forderten zudem die Nachnutzung der ebenso baukulturell wertvollen und ebenfalls durch ein Erhaltungsgebot geschützten Riedenburghalle von 1926. Als vorhandenes Raumpotenzial und öffentlicher Ort ist sie prädestiniert, den zentralen Baustein für die sinnvolle Weiterentwicklung des Stadtteils zu bilden. Vom Gestaltungsbeirat kam Unterstützung, prompt beschloss die Gemeindepolitik ihren Abriss.

Auch das bemerkenswerte Kleinensemble um die Volkschule Gnigl Salzburg wurde mit dem Gemeinderatsbeschluss vom 16. Dezember 2015 der Abrissbirne überantwortet, obwohl die städtischen Expertisen 1986/1992 die Erhaltung „unbedingt“ forderten: Architekt Paul Geppert d. Ä. hatte 1927/28 Schule und die beiden vorgelagerten Lehrerwohnhäuser um ein platzartiges Zentrum gruppiert. Der Gestaltungsbeirat bedauert den Gesamtabriss, macht sich angesichts der fortgeschrittenen Planung für den „Bildungscampus“ immerhin für die Erhaltung eines Lehrerhauses stark, der Abriss des zweiten ist bereits im August 2015 erfolgt. Brandlhuber: „Lasst das bessere Alte, wenn das Neue nicht besser wird.“ Zum Hintergrundgespräch war Bürgerlisten-Stadtrat Johann Padutsch als Diskussionspartner angekündigt, er blieb nur kurz mit einem bezeichnenden Statement: Anregungen des GBs wie jene für Gnigl müssten „nicht explizit umgesetzt werden“. Angesicht seiner vergangenen Lippenbekenntnisse zum Thema „respektvolles Weiterbauen“ steht dem Lehrerhaus keine rosige Zukunft bevor. Abrissfreudige (Politiker, Eigentümer, Wohnbaugenossenschaften und Investoren) beziehen sich gern auf das Salzburger Raumordnungsgesetz 2009 (§ 59 Abs. 2) mit der Behauptung, dass kaum eine „Instandhaltung allgemein wirtschaftlich vertretbar erscheint“ und damit „der Abbruch für ein Gebäude mit Erhaltungsgebot“ bewilligt werden müsse. Wer die sichere Demontage eines Gebäudes anstrebt, nimmt sich einen Gutachter, der über die Liebhabereibeurteilung im österreichischen Steuerrecht (LRL. 1997 + BGBL. 33/1993) eine unrealistisch kurze Refinanzierungszeit mit 20 bis 28 Jahren ansetzt. Verzichtet die Stadtplanung dann auf ein Gegengutachten, so ist wertvollen Gebäuden die Spitzhacke gewiss. So eliminiert wurden zum Beispiel die Villa Itzlinger Hauptstraße 82 (gegenüber Schweiger Eis) oder das Industriedenkmal Ischlerbahnremise Landstraße/Ziegeleistraße, beide um 1900 erbaut. Es gibt aber auch seriöse, keineswegs „automatisch“ zum Abriss gelangende und anerkannte Bewertungsverfahren: So hat der Salzburger Baumeister Wilfried Huemer ein differenziertes und spezifisches Restwertverfahren entwickelt, das dem österreichischen Steuerrecht entspricht. Bei der Ertragswert­ermittlung werden realistische und argumentierbare Mindest­regelnutzungsdauern generalsanierter Gebäudes zugrundegelegt. Diese Zeitspanne beträgt etwa bei generalsanierten Wohnbauten mindestens 50 Jahre sowie in der Regel 67 Jahre für vergleichbare Ersatzbauten.

Erhaltung mit Haltung!

„Wenn nicht prompt ein strukturelles Umdenken geschieht, trifft es als nächsten Totalverlust das Silogebäude der Rauchmühle (1912)“, das „mit einer äußerst bemerkenswerten Holzkonstruktion (…) zur unverzichtbaren Landmark im Stadtteil Lehen geworden“ ist, schrieb der Autor vor einem Jahr im Text „Umgebautes Salzburg“. Der Wettbewerbsentscheid von Mai 2015 schien den Abriss zu besiegeln. Seit der Septembersitzung fordert der GB die Erhaltung, so ist für „Jungmitglied“ Bernardo Bader nicht nachvollziehbar, warum man mit dem Silo etwas wegnehmen wolle, was man doch suchen würde – gute Baukörper.Seitdem schwärmt der Projektentwickler vom Silo, weil er dessen Volumen als zusätzliche „Bonuskubatur“ lukrieren kann. Was „Prisma“ (Hauptakteur in der Gesellschaft „An der Glan Investment“, in der sich auch die ehemalige Besitzerfamilie Rauch Anteile sicherte) unter der angekündigten „behutsamen Transformierung“ versteht, zeigen ihre authentizitätszerstörenden Entwürfe: der Abriss der händisch gehobelten Holzkonstruktionen im Inneren, der Einbau mittelgangerschlossener Zweizimmerwohnungen und eines Penthouses. Es wäre keine Überraschung, wenn diese massiven Eingriffe, zum Beispiel die geplante Öffnung der Kolossal-Blendbögen (siehe Bild S. 2), zu einem Neubau mit applizierten Kulissenfassaden führen würden. Mit einem ähnlichen Schmäh haben sich auch die Panzerhallen-Investoren in Maxglan tausende Quadratmeter „Bonuskubatur“ bei minimaler Erhaltung „organisiert“. Entkernungen sind auch bei der Rauchmühle die „optimistischste“ Zukunftsvariante, in kultivierten Kommunen ist sie längst keine zeitgemäße Erhaltungsstrategie mehr.

Bei der Architekturreform der Bürgerliste in den 1980er-Jahren sollten die Strukturen der Nachkriegsjahrzehnte mit der „Zweckgemeinschaft Wohnbauträger-Architekt-Politiker“ zerschlagen und der Bürger zum Bauherrn seiner Stadt gemacht werden. Ob Gestaltungsbeirat, unabhängige Bürger (ohne Liste) oder NGOs wie die Um+Bau+Kultur Salzburg, ihnen gemeinsam ist heute die Forderung nach einem (ressourcen)schonenden Umgang mit dem identitätsstiftenden Bestand im Salzburg außerhalb der Postkartenmotive. Die Stadtplanung brauchte nur ihre eigenen im REK formulierten Ziele ernst nehmen, Verantwortung übernehmen und entsprechend auf Stadtpolitik, Bauträger bzw. Investoren einwirken. Sie nutzt ihre Instrumente (wie rechtzeitige Erhaltungsgebote, Abschöpfung von Planungsmehrwerten) viel zu wenig.

2008 gelang es Docomomo Austria, bei der Neustrukturierung des Stadtwerke-Hochhauses (Josef Hawranek / Erich Horvath) von 1968 den Immoblienentwickler Prisma zu überzeugen, die großflächigen Plattenverkleidungen als wesentlich für den Charakter des Hauses zu erhalten. Heute hat es bei der Wohnanlage Rauchgründe Prisma in der Hand, den räumlichen Mehrwert des Silos mit seiner atmosphärischen Holzkonstruktion respektvoll weiterzuentwickeln, das Geschenk von Raum mit Haltung zu erhalten. 

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