Interview

„Stolz auf das rote Wien“

19.05.2025

Vizekanzler Andreas Babler besuchte den österreichischen Pavillon auf der Architekturbiennale 2025 und sprach mit dem Architektur und Bau FORUM über das Erbe des Wiener Gemeindebaus – und warum soziale Wohnmodelle mehr sind als bloße Infrastruktur.

Sabine Pollak, Andreas Babler
Zeigte sich an den Ausführungen von Kuratorin Sabine Pollak interessiert: Vizekanzler Andreas Babler (Foto: ÖWV/Stefan Böck)

Der österreichische Beitrag zur Architekturbiennale 2025 in Venedig stellt mit “Agency for Better Living” die Wohnfrage in den Mittelpunkt. Vizekanzler Andreas Babler ließ sich persönlich von den Kurator*innen durch den Pavillon führen und zeigte sich beeindruckt vom konzeptionellen Zugang, der Architektur, Geschichte und soziale Fragen verknüpft. Im Gespräch betont er die politische Bedeutung der Wiener Wohnkultur, spricht über die Zukunft des sozialen Wohnbaus und die Rolle von Kunst und Kultur – nicht nur in der Stadt, sondern auch am Land.

Das Interview als Podcast hören!

Architektur und Bau FORUM: Herr Babler, die Kuratorin Sabine Pollak hat Sie über die Ausstellung geführt. Wie gefällt Ihnen die Ausstellung?
Andreas Babler: Ich hatte das Privileg, mit allen drei Mitwirkenden durch die Ausstellung geführt zu werden. Es ist wahnsinnig beeindruckend, wie es gelingt, aus einer künstlerischen Perspektive ein starkes gesellschaftspolitisches Thema zu beleuchten – historisch, aber auch mit dem Blick in die Gegenwart und Zukunft. Alles, was Social Housing betrifft, die offensichtlichen Widersprüche zwischen Rom und Wien, das sicher eine Vorzeigestadt ist, wird hier aufgebrochen, mit dem Ziel, eine gemeinsame Zukunftsvision zu entwickeln. Diese Durchdringung – das ist das wirklich Spannende.

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Als Sozialdemokrat überwiegt bei Ihnen sicher die Genugtuung, dass das Wiener Modell so gut funktioniert – oder gibt es auch Sorge, dass es erhalten bleibt?
Nein, es ist eher Stolz – wenn Sie mich fragen. Stolz auf diese Kultur, diese Wohnkultur, diese Baukultur in Wien, die alles miteinander verbindet. Wenn man sich die Philosophie des klassischen Gemeindebaus ansieht, erkennt man, wie modern das Konzept damals schon war: das Prinzip der Fünf-Minuten-Stadt, das heute weltweit auf der Agenda steht. Und gleichzeitig wurde Raum geschaffen, um Alltagskultur und Hochkultur auch im Gemeindebau zu verankern. Dass das bis heute anhält – das macht wirklich stolz. Das ist das rote Wien.

Und wie wollen Sie das für die nächsten Generationen sichern?
Durch eine politische Programmatik, die genau das fördert: einen breiten, niederschwelligen Zugang und Leistbarkeit. Aber auch durch das Mitdenken von Räumen für Kunst und Kultur. Wie Sie wissen, wollen wir nicht nur in Großstädten, sondern auch im ländlichen Raum Leerstände nutzen und damit Kulturinitiativen gezielt Raum geben.

Vielen Dank, Herr Vizekanzler.

Michael Obrist, Lorenzo Romito, Sabine Pollak, Andreas Babler
Architektur und Politik: Die Kurator*innen des Österreichischen Beitrages der Architekturbiennale 2025 und Vizekanzler Andreas Babler (v.l.n.r.: Michael Obrist, Lorenzo Romito, Sabine Pollak, Andreas Babler) (Foto: ÖWV/Stefan Böck)

Lesen Sie auch unser ausführliches Interview mit Kuratorin Sabine Pollak – und hören Sie die begleitende Podcastfolge im Architektur & Bau Forum.

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Der Österreich-Pavillon auf der Biennale 2025

Der österreichische Beitrag zur Architekturbiennale 2025, “Agency for Better Living”, ist kuratiert von Sabine Pollak, Michael Obrist und Lorenzo Romito. Er bringt zwei urbane Systeme in Dialog: den sozial organisierten Wohnbau Wiens und die informellen, oft prekären Wohnformen in Rom.

Architekturbiennale Venedig 2025: Österreichischer Beitrag Agency for Better Living
Architekturbiennale Venedig 2025: links Wien…
Architekturbiennale Venedig 2025: Österreichischer Beitrag Agency for Better Living
Architekturbiennale Venedig 2025: …rechts Rom

Wohnraum ist Verhandlungsraum

Im Zentrum des Pavillons steht der “Space of Negotiation”, ein aus Ziegeln und Holz gebauter Diskursraum. Hier sollen im Verlauf des Sommers regelmäßig öffentliche Treffen stattfinden – zu Themen wie sozialer Gerechtigkeit, Klimaanpassung, Migration oder Eigentum. „Wir wollten nicht nur zeigen, sondern verhandeln“, sagt Sabine Pollak. Der symbolische Brückenschlag zwischen Wien und Rom beginnt bereits im räumlichen Aufbau: Wer den Pavillon betritt, entscheidet sich zunächst – links Wien, rechts Rom.

Zwei Systeme, eine Krise

Während Michael Obrist die „unsichtbare Radikalität“ des Wiener Systems betont – mit über 220.000 kommunalen Wohnungen –, zeigt Lorenzo Romito, wie in Rom alternative Wohnmodelle aus Mangel und Selbstorganisation entstehen. „Rom ist ein Labor für das Leben in den Ruinen der Moderne“, so Romito. Gemeinsam mit seinem Kollektiv Stalker dokumentierte er die sozialen Praktiken von Hausbesetzungen als Antworten auf das Versagen institutioneller Stadtentwicklung.

Bürgermeister Michael Ludwig bei der Architektur-Biennale in Venedig
Bürgermeister Michael Ludwig bei der Architektur-Biennale in Venedig (Foto: Johanna Teufel)

Ludwig: „Wohnen ist ein Grundrecht“

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig eröffnete den Pavillon und betonte in seiner Rede die internationale Vorbildfunktion des Wiener Modells: „Wir zeigen, dass leistbares und qualitätsvolles Wohnen möglich ist, wenn der politische Wille da ist.“ Mit 220.000 Gemeindewohnungen und weiteren 200.000 geförderten Einheiten verfüge Wien über eine europaweit einzigartige Struktur, die soziale Sicherheit und hohe Lebensqualität garantiere. Ludwig unterstrich zudem, dass sozialer Wohnbau mehr sei als Architektur – er sei Ausdruck einer politischen Haltung.