Arbeitskräftemangel

Wer suchet, der findet?

Fachkräftemangel
07.06.2022

Arbeitskräftemangel ist in aller Munde. Maßgeschneiderte Lösungen gibt es nicht, aber Hebel, mit denen Unternehmen ansetzen können, sagt Personalberaterin Isabella Pachinger-Döberl.
Isabella Pachinger-Döberl
Isabella Pachinger-Döberl ist Director Personalberatung Österreich, Prokuristin sowie Leiterin des oberösterreichischen Standorts der Iventa International Management Consulting GmbH.

Die Suche nach geeigneten Mitarbeiter*innen gleicht für viele aktuell der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Für Isabella Pachinger-Döberl ist das Teil ihres Berufsalltags. Als Director der Personalberatung und Leiterin des Iventa-Standorts in Linz findet sie die passenden Köpfe für Management- und Spezialist*innen-Positionen. Neben der in ihrem Studium der Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Organisation und Unternehmensführung gewonnenen Expertise hat sie durch ihre langjährige Berufserfahrung in der Industrie Einblicke in die Branche gesammelt. Im Interview zeigt die HR-Expertin auf, wo Unternehmen jetzt ansetzen können, mit welchen Themen sie sich auseinandersetzen müssen und was getan werden kann, um Mitarbeiter*innen zu finden und allem voran auch zufrieden im Betrieb zu halten.

Aus den unterschiedlichsten Bereichen und Branchen ist derzeit zu vernehmen, dass zu wenig oder gar kein Personal zu finden sei. Spüren auch Sie, dass die Herausforderungen größer geworden sind?

Isabella Pachinger-Döberl: Insbesondere im Bereich der Fachkräfte war die Suche nach passenden Mitarbeiter*innen auch in der Vergangenheit schon sehr fordernd, aber aktuell hat sich die Lage sehr zugespitzt. Man kann von einem Arbeitskräftemangel quer durch alle Branchen sprechen. Das fordert nicht nur die Auftraggeber*innen mehr, auch wir sind wesentlich stärker gefordert. In den vergangenen Monaten treten zunehmend Unternehmen an uns heran, die einfach nicht mehr weiterwissen, die ihre eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft haben und dennoch kein Personal finden. Die Bereitschaft, Unterstützung und Lösungen durch Beratungsunternehmen anzunehmen, steigt.

Aus den unterschiedlichsten Bereichen und Branchen ist derzeit zu vernehmen, dass zu wenig oder gar kein Personal zu finden sei. Spüren auch Sie, dass die Herausforderungen größer geworden sind?

Isabella Pachinger-Döberl: Insbesondere im Bereich der Fachkräfte war die Suche nach passenden Mitarbeiter*innen auch in der Vergangenheit schon sehr fordernd, aber aktuell hat sich die Lage sehr zugespitzt. Man kann von einem Arbeitskräftemangel quer durch alle Branchen sprechen. Das fordert nicht nur die Auftraggeber*innen mehr, auch wir sind wesentlich stärker gefordert. In den vergangenen Monaten treten zunehmend Unternehmen an uns heran, die einfach nicht mehr weiterwissen, die ihre eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft haben und dennoch kein Personal finden. Die Bereitschaft, Unterstützung und Lösungen durch Beratungsunternehmen anzunehmen, steigt.

Haben sich der HR-Bereich und die Suche nach geeigneten Kandidat*innen dadurch verändert?

Pachinger-Döberl: Man kann aktuell absolut von einem Bewerber*innenmarkt sprechen, in dem nun Bewerber*innen die Bestimmenden sind. Arbeitgeber*innen müssen sich mehr Gedanken machen und kreativer werden. Auch unser Arbeitsaufwand ist immens gestiegen, um an die richtigen Mitarbeiter*innen zu kommen. Es reicht bei weitem nicht mehr aus, auf den Rücklauf von Inseraten oder Online-Stellenangeboten zu warten. In den vergangenen Jahren – und ganz besonders in den letzten Monaten – hat sich die Direktansprache massiv erhöht. In höheren Managementpositionen gibt es durchaus noch aktive Bewerbungen, aber insgesamt betrachtet besetzen wir Stellen mittlerweile fast ausschließlich mittels Direktansprache. Wir investieren viel Zeit und Ressourcen in Recherchen und Social-Media-Kanäle, um geeignete Kandidat*innen zu finden.

symbolbild corporate Identity

Corporate Identity und Corporate Image

Hat das auch mit den in den vergangenen beiden Jahren gesammelten Erfahrungen zu tun? Sind Arbeitnehmer*innen fordernder geworden?

Pachinger-Döberl: Ein wenig fordernder, vor allem aber überlegter. Wenn für gewisse Positionen etwa kein Homeoffice angeboten wird, so können sie schlichtweg nicht mehr besetzt werden. Gerade auch die Kurzarbeit hat vielen gezeigt, dass man mit gewissen Abstrichen beim Gehalt, aber mehr Freizeit im Gegenzug sehr glücklich leben kann. Die Pandemie hat sicherlich dazu geführt, dass Menschen ihre Karriere nicht mehr über alles stellen, sondern auch überlegen und genauer abwägen, wo ihre persönlichen Grenzen liegen und wie viel sie zu leisten bereit sind. Da hat sich ein wenig die Wertehaltung verschoben.

Welche Werte sind für potenzielle Arbeitnehmer*innen nun wichtig? Welche Angebote braucht es?

Pachinger-Döberl: Geld ist nicht mehr das wesentlichste Kriterium, es geht mittlerweile viel stärker auch um Rahmenbedingungen. Flexibilität ist momentan das Schlagwort schlechthin – und die braucht es auch. Allem voran mehr Selbstbestimmung bezüglich der Arbeitszeiten. Die Vier-Tage-Woche ist durchaus in einigen Unternehmen schon länger Usus, sie wird gerade aber zu einem immer größeren Thema und deutlich mehr gefragt. Auch Vertrauen und nachhaltige Werte haben in Zeiten der Corona-bedingten Kurzarbeit und den mit der Pandemie einhergehenden Unsicherheiten an Bedeutung gewonnen. Allerdings lässt sich die Frage nach Werten nicht pauschal beantworten, da Unternehmen sich diese nicht einfach überstülpen können. Die Überlegung sollte vielmehr sein, was einen besonders macht, wofür man steht und was einem als Unternehmen wichtig ist. Eigentlich: Warum ist es schön, bei uns zu arbeiten?

Leyrer-+-Graf-Ausbildungszentrum.

(Aus-)Bildungs-Campus

Wo können Unternehmen in einem ersten Schritt ansetzen, um Stellen zu besetzen?

Pachinger-Döberl: Zuerst einmal sollte stark darauf geschaut werden, bestehende Mitarbeiter*innen zu halten. Wenn es weitere Mitarbeiter*innen braucht, müssen Unternehmen ihre Optionen genau ausloten. Einerseits sind das finanzielle Überlegungen, andererseits aber müssen sich Unternehmen auch zusammenhängend Gedanken darüber machen, wie flexibel sie sind und was tatsächlich geboten werden kann. Welche Perspektiven zur Entwicklung kann es geben, welche internen Möglichkeiten gibt es etwa zum Thema Weiterbildung, oder kann ein eigen­ständiger Aufgabenbereich angedacht werden? Die wesentliche vorangestellte Fragestellung ist: Welche Optionen können Arbeitgeber*innen noch ausschöpfen, um attraktiver zu werden?

Welche Wege können Arbeitgeber*innen einschlagen, um Mitarbeiter*innen zu finden?

Pachinger-Döberl: Um als Arbeitgeber*in am Markt auch wahrgenommen zu werden, ist vor allem Mundpropaganda nach wie vor wichtig. Gerade in der Bauwirtschaft kann es zielführend sein, wenn Mitarbeiter*innen andere Mitarbeiter*innen werben. Klassische Inserate sind hier nur bedingt zielführend. Wichtiger ist es, sich als Arbeitgeber*in klar zu positionieren und überhaupt einmal auf sich aufmerksam zu machen, sei es durch Social-Media-Aktivitäten oder auch Werbetafeln. Gerade bei kleineren Unternehmen ist oft das Problem, dass sie gar nicht gesehen werden. Sie müssen erst einmal wahrgenommen werden, um die Chance zu haben, aufzuzeigen, wie viel sie zu bieten haben und in welch spannenden Bereichen man bei ihnen mitwirken könnte. Natürlich haben diese nicht die Möglichkeit, eine großangelegte Kampagne zu starten, aber dennoch ist es wichtig, in diesem Bereich anderweitig anzusetzen. Oft sind es Multiplikatoren, wenn die eigenen Mitarbeiter*innen die Botschaft nach außen tragen, dass sie sich im Betrieb wohlfühlen und gerne ein Teammitglied sind. Größere Unternehmen haben zwar mehr Präsenz, aber aktuell stehen sie nichtsdestotrotz vor den gleichen Herausforderungen, da schließlich alle im selben Teich fischen.

Symbolbild: Vier-Tage-Woche

Vier-Tage-Woche

Ist die Herangehensweise im ländlichen Raum eine andere? Gilt es, abseits von Ballungsräumen etwas spezifisch zu beachten?

Pachinger-Döberl: Gerade im ländlichen Raum zählt die Regionalität. In dieser Hinsicht können Arbeitgeber*innen sicherlich gut punkten, da einerseits ökologische Aspekte, andererseits aber auch Familie und Work-Life-Balance wichtiger geworden sind. Die Nähe zum Arbeitsplatz, kürzere Anreisewege oder Transportmittel zur Verfügung zu stellen, um auf das Auto verzichten zu können, sind ebenso wichtige Themen, wie mehr Zeit zu Hause mit der Familie zu verbringen.

Gerade flammen auch wieder Diskussionen darüber auf, inwieweit Probleme in diesem Bereich hausgemacht sind. Die Arbeiterkammer sieht im Gegensatz zur Wirtschaftskammer das Festhalten an schlechten Arbeitsbedingungen als Teil der Debatte. Inwieweit kann in

Pachinger-Döberl:  Natürlich kann man daran arbeiten, die Rahmenbedingungen so attraktiv wie möglich zu gestalten, aber die Arbeitsbedingungen an sich können nur bedingt beeinflusst werden. Die Tätigkeiten auf einer Baustelle oder im produzierenden Bereich können nicht von Grund auf verändert werden. Betriebe können sich darum bemühen, passende Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen, vielleicht auch eine Kantine anbieten oder etwas im Arbeitsbereich angenehmer gestalten. Aber den Arbeitskräftemangel sehen wir quer durch alle Branchen und nicht nur in spezifischen Tätigkeiten. Es darf auch nicht vergessen werden, gerade der Bau hat etwas Faszinierendes. Viele Menschen würden trotz der körperlichen Anstrengung niemals mit jemandem im Büro tauschen wollen. Draußen sein zu können, etwas zu errichten, selbst zu erschaffen, greifbare Ergebnisse zu haben, miterleben zu können, wie etwas entsteht, das übt auch eine große Faszination aus. Aber aktuell herrscht einfach Arbeitskräftemangel quer durch alle Branchen, und der Bau boomt. Diese Tatsache in Zeiten hoher Nachfrage, das ist schwierig zu vereinbaren.

Mitarbeiter zu finden ist eine Sache, sie zu halten eine andere. Was können Unternehmen tun, damit ihre Fachkräfte nicht von der Konkurrenz abgeworben werden?

Pachinger-Döberl: Wichtig ist, sie abzuholen. Natürlich kann das kein Wunschkonzert sein, aber oft lässt sich auch durch kleine Veränderungen viel bewirken. Es ist schließlich nicht mehr rein der monetäre Aspekt, der zählt. Man muss hinhören, was sich Mitarbeiter*innen eigentlich wünschen, und dann überlegen, wie man in diesen Bereichen etwas verbessern kann. Flexibilität und Selbstbestimmung sind stark in den Vordergrund getreten, da bietet sich die Möglichkeit, etwas zu verändern.

Wie lauten Ihre Prognosen, wie sich das weiterentwickeln wird? Was kommt längerfristig auf Unternehmen zu?

Pachinger-Döberl: Wir gehen davon aus, dass es zum Thema Arbeitskräftemangel nur bedingt Besserung geben wird. Es ist nicht davon auszugehen, dass in Kürze plötzlich ein großer Pool an neuen Mitarbeiter*innen zur Verfügung stehen wird. Daher müssen die bestehenden Strukturen vermehrt hinterfragt werden. Unternehmen müssen einen genaueren Blick auf die Qualifikationen einzelner Positionen werfen, sie müssen überlegen, wie Zuständigkeiten und Aufgaben(bereiche) besser aufgeteilt werden können.

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