Bürgerinitiative fordert EU-weite Bauwende
Sanieren statt neu bauen – das fordert HouseEurope!, eine europäische Bürgerinitiative, die den ökologischen und sozialen Umbau des Gebäudebestands ins Zentrum rücken will. Verena Konrad, Mitinitiatorin und Leiterin des Vorarlberger Architekturinstituts, erklärt, warum diese Bewegung genau jetzt an Bedeutung gewinnt – und was sich auf politischer Ebene ändern muss.

Die europäische Bürgerinitiative HouseEurope! will die Bedingungen für das Sanieren und Erhalten von Bestandsgebäuden in der EU grundlegend verbessern. Eine der zentralen Akteurinnen ist Verena Konrad, Leiterin des Vorarlberger Architekturinstituts. Im Gespräch mit Architektur & Bau FORUM erläutert sie, warum Sanierung mehr als nur ein technischer Vorgang ist – und welche politischen Weichenstellungen nötig wären, um die ökologischen und sozialen Potenziale des Bestandsbaus zu heben.
Eine Initiative aus Überzeugung

„Demokratie ist kein Lieferservice“, sagt Verena Konrad. Ihr Engagement für HouseEurope! versteht sie als zivilgesellschaftliche Aufgabe, die über ihre berufliche Rolle in der Baukulturvermittlung hinausgeht. Bereits seit Jahren arbeitet sie an der Schnittstelle von Architektur, Ökologie und Politik. Die Idee zur Mitwirkung an HouseEurope! kam durch ihr persönliches Netzwerk – etwa über Arno Brandlhuber und Olaf Grawert, mit dem sie bereits in früheren akademischen Kontexten zusammengearbeitet hatte.
Die Initiative wurde offiziell von acht EU-Bürgerinnen und -Bürgern aus ebenso vielen Mitgliedstaaten eingereicht – unter ihnen renommierte Namen wie Lacaton & Vassal oder Herzog & de Meuron. Verena Konrad übernahm dabei die Rolle der nationalen Koordinatorin für Österreich.
Sanierung als Beitrag zur Klimawende
Der Kern der Initiative ist einfach formuliert: Sanieren soll ökologisch sinnvoll, finanziell attraktiv und rechtlich einfacher werden. Aktuell werde der Neubau in Förderpraxis und Gesetzgebung klar bevorzugt – ein Umstand, den HouseEurope! als Diskriminierung des Sanierungsansatzes versteht.
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Rund 70 Prozent des europäischen Gebäudebestands müssten bis 2050 saniert werden, um die EU-Klimaziele zu erreichen. Derzeit liegt die Sanierungsquote aber lediglich bei etwa einem Prozent jährlich. „Wir brauchen mindestens eine Verdreifachung“, fordert Konrad. Das Potenzial ist enorm – sowohl ökologisch als auch ökonomisch: „Der größte Hebel zur ökologischen Transformation ist das Sanieren.“
Drei zentrale Forderungen:
HouseEurope! hat drei zentrale Forderungen formuliert, die aus einem breit geführten Dialog mit Expertinnen, Kammern und Interessenvertretungen hervorgegangen sind:
- Reduktion der Mehrwertsteuer auf Sanierung – sowohl auf Materialien als auch auf Arbeit. Länder wie Italien, Belgien oder Frankreich zeigen, dass eine solche Maßnahme die Sanierungsquote deutlich steigert.
- Ausgewogene Risikobewertung – Sanierungsprojekte sollen hinsichtlich Risiken und Potenzialen fairer behandelt werden, insbesondere bei Finanzierungen und Versicherungen. Heute stehen potenziellen Investoren oft lange Risikolisten gegenüber, während positive Aspekte unterbelichtet bleiben.
- Einführung der Ökobilanzierung – Die Bewertung grauer Energie soll in Förderungen und ökonomische Modelle einfließen. Wer Bestand erhält, soll ökonomisch davon profitieren können. „Es bringt nichts, gute Argumente zu haben, wenn sich das Ganze ökonomisch nicht darstellen lässt“, so Konrad.
Wenn Sie die Initiative unterstützen möchten:
www.houseeurope.eu
Demokratische Hebel nutzen
Als europäische Bürgerinitiative funktioniert HouseEurope! ähnlich wie ein Volksbegehren: Innerhalb eines Jahres müssen mindestens eine Million Unterschriften aus mehreren Mitgliedstaaten gesammelt werden. In jedem dieser Länder ist eine bestimmte Mindestanzahl an Unterstützungsbekundungen erforderlich, die sich aus der jeweiligen Bevölkerungszahl ergibt. In Österreich liegt dieser Schwellenwert im fünfstelligen Bereich. „Das ist nicht wenig, und Zustimmung heißt noch nicht Unterschrift“, betont Konrad. Gleichzeitig sieht sie darin einen bedeutenden demokratiepolitischen Lernprozess: „Es ist ein Privileg, dass es dieses Instrument gibt.“ Die Initiative hat seit dem Start am 31. Januar 2025 ein Jahr Zeit, um das Ziel zu erreichen.
Breite Zielgruppen, neue Perspektiven
Eine Zusammenarbeit mit einem Meinungsforschungsinstitut zeigte: Die größten Unterstützerpotenziale finden sich unter Männern über fünfzig auf dem Land – Eigentümer mit Veränderungsbedarf. Das öffnet neue kommunikative Zugänge. Es gehe nicht nur um energetische Sanierung, sondern auch um das Neustrukturieren des Lebens: „Transformation des Bestandes heißt auch, das Leben neu zu ordnen.“
Auch auf europäischer Ebene sieht Konrad die Notwendigkeit klar: „Wenn ich mir eine einzige Maßnahme wünschen dürfte, dann wäre es die CO₂-Bepreisung.“ Sie wäre der Game Changer, um Sanieren wirtschaftlich attraktiv zu machen – und damit nicht nur ökologisch, sondern auch sozial wirksam.
Europäische Bürgerinitiative “House Europe!”
Was wird gefordert?
- Reduktion der Mehrwertsteuer auf Sanierungsleistungen (Material und Arbeit)
- Faire Bewertung von Risiken und Potenzialen bei Sanierungen
- Einführung einer verpflichtenden Ökobilanzierung inklusive Bewertung grauer Energie
Was ist das Ziel?
- Eine Million Unterschriften aus der EU
- Mindestanzahl an Unterstützungsstimmen aus mindestens sieben Mitgliedstaaten
- Politische Anerkennung und Behandlung der Forderungen durch die EU-Kommission
Bis wann kann unterschrieben werden?
-
Die Eintragungsfrist endet am 1. Februar 2026
Wie kann man unterschreiben?
-
Online auf der offiziellen Website der Initiative:
www.houseeurope.eu
Zur Person

Verena Konrad ist promovierte Kunst- und Architekturhistorikerin und leitet seit 2013 das Vorarlberger Architekturinstitut (VAI). Sie lehrt an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland und war 2018 Kuratorin des österreichischen Beitrags zur Architekturbiennale Venedig. Konrad engagiert sich seit Jahren für ökologische und soziale Nachhaltigkeit in der Architektur und ist eine der registrierten Initiatorinnen der europäischen Bürgerinitiative HouseEurope!.