Interview und Podcast

„Wir bauen kein Haus – wir bauen Zukunft“

14.07.2025

Ein Gespräch mit den Architekt*innen Lisa Schmidt-Colinet und Alexander Schmoeger sowie der Filmemacherin und Mitinitiatorin Lotte Schreiber über das innovative Wiener Wohnprojekt Living for Future.

Am westlichen Stadtrand Wiens entsteht derzeit ein Wohnprojekt, das die Idee vom Zusammenleben neu denkt. Living for Future heißt die Initiative, mit der eine Baugruppe auf einem schmalen, langgezogenen Grundstück in Wien-Penzing ein gemeinschaftlich entwickeltes, solidarisch finanziertes und selbstverwaltetes Haus errichtet. Architektonisch geplant vom Büro schmidt-colinet • schmoeger, getragen von Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen – unter ihnen Architekt*innen, Aktivist*innen und Kulturschaffende –, verspricht das Projekt mehr als nur leistbaren Wohnraum.

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Living for Future Wien Penzing Spatenstich
Die Baugruppe beim Spatenstich für Living for Future (C) ÖWV/Stefan Böck

Den Ausgangspunkt bildete ein Wettbewerb des wohnfonds_wien, der erstmals auch Baugruppen ohne Bauträger zur Teilnahme einlud. 2020 ging Living for Future als Siegerprojekt hervor. Was folgte, war ein langer und intensiver Prozess: Konzeptentwicklung, Finanzierung, Gruppendynamik, rechtliche Rahmenbedingungen. Jetzt, fünf Jahre später, ist der symbolische Spatenstich gesetzt – die Umsetzung beginnt.
Das Projekt umfasst zwei Gebäude mit insgesamt elf Einheiten, darunter eine Solidaritätswohnung. Ergänzt wird das Wohnangebot durch Gemeinschaftsflächen: Garten, Werkstatt, Gemeinschaftsraum, Dachterrasse. Der baurechtliche Rahmen – ein bis 2101 laufender Pachtvertrag mit der Stadt Wien – hat die Gruppe dazu angeregt, in Zeiträumen zu denken: ein Jahr, zehn Jahre, hundert Jahre. So entstand das Konzept „1/10/100“ – eine Reflexion über Wandel, Anpassungsfähigkeit und Nachhaltigkeit im Bauen.
Im Gespräch mit den Architekt*innen Lisa Schmidt-Colinet und Alexander Schmoeger sowie der Filmemacherin Lotte Schreiber geht es um die Entstehung und Philosophie des Projekts, um bauliche, soziale und ökologische Konzepte – und um den Wunsch, Impulse über das eigene Grundstück hinaus in die Nachbarschaft zu senden.

Architektur & Bau FORUM: Was bedeutet euch der Spatenstich ganz persönlich?
Lisa Schmidt-Colinet: Das ist ein sehr besonderer Moment. Der Wettbewerb liegt mittlerweile fünf Jahre zurück – 2020 haben wir gewonnen, jetzt schreiben wir 2025. In dieser Zeit ist weit mehr passiert als nur ein architektonischer Entwurf. Wir haben gemeinsam eine Baugruppe aufgebaut, Finanzierungsmöglichkeiten entwickelt, Arbeitsstrukturen geschaffen. Dabei sind wir als Gruppe stark zusammengewachsen. Das heute fühlt sich wie ein erster sichtbarer Meilenstein an.

Living for Future in Wien Penzing
(C) Living For Future

Lotte Schreiber: Für mich ist es ein temporärer Höhepunkt auf einer langen, intensiven Reise. Wir haben ja bereits zwei Baugruben ausgehoben, der Spatenstich ist also eher symbolisch. Aber er markiert, dass es jetzt wirklich losgeht. Ich arbeite – wie viele andere auch – zusätzlich zu meinem Beruf rund zehn bis fünfzehn Stunden pro Woche für die Baugruppe. Es gibt Plena, Arbeitsgruppen, Online-Meetings, Baubesprechungen. Alles in Selbstorganisation. Heute spüren wir: Es hat sich gelohnt.

Wie ist die Idee zum Projekt entstanden?
Alexander Schmoeger: Sie entstand während der Pandemie – plötzlich hatten wir mehr Zeit, neue Freiräume. Dann kam die Ausschreibung des wohnfonds_wien, die erstmals auch Baugruppen ohne Bauträger zuließ. Das war unsere Chance. Wir entwickelten ein Konzept – und gewannen. Von da an kam eines zum anderen: Wie finanzieren wir das? Wie organisieren wir uns? Die Kooperation mit habiTAT war ein wichtiger Schritt. Auch das Grundstück war eine Herausforderung: extrem schmal, extrem lang. Das hat uns angespornt, räumlich und sozial zu experimentieren.

Ihr sprecht von einem Konzept namens „1/10/100“. Was bedeutet das?
Lisa Schmidt-Colinet: Diese Zahlen stehen für unterschiedliche Zeitperspektiven, mit denen wir uns beim Bauen auseinandergesetzt haben.
Ein Jahr steht für das Leben im Rhythmus der Jahreszeiten: Wie verändert sich ein Ort, und wie kann Architektur diese Veränderung aufnehmen?
Zehn Jahre beschreiben den Wandel in Wohnformen: Wie entwickeln sich Haushaltsgrößen, Bedürfnisse, Lebenssituationen? Können Wohnungen angepasst, getauscht, zusammengelegt werden?
Und hundert Jahre – das ist der langfristige Blick. Was bedeutet Klimawandel für das Wohnen? Wie resilient muss ein Gebäude sein? Der langfristige Pachtvertrag mit der Stadt Wien – bis 2101 – war für uns Anlass, genau über solche Fragen nachzudenken.

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Wie funktioniert euer Energiekonzept?
Alexander Schmoeger: Wir arbeiten mit einer Klimaschicht, einem sogenannten Pufferraum, der das Gebäude je nach Jahreszeit anders nutzbar macht. Es ist ein flexibles System – vergleichbar mit einem Segelschiff, das sich dem Wind anpasst. Dazu kommen Bauteilaktivierung, Erdwärme und Photovoltaik. Was 2020 noch visionär war, ist heute vielfach Stand der Technik – und trotzdem bewusst gewählt.

Wie soll das gemeinschaftliche Wohnen konkret funktionieren?
Lotte Schreiber: Offiziell sind wir als Heim genehmigt – das heißt: Es gibt keine klassischen Wohnungen, sondern private Einheiten mit gemeinschaftlich genutzten Räumen. Gemeinschaft entsteht im Alltag: in der Werkstatt, im Garten, im Gemeinschaftsraum. Die Werkstatt ist für mich besonders wichtig – da wollen wir vielleicht selbst Möbel bauen oder Fahrräder reparieren. Wir alle haben mindestens ein Fahrrad, pro Person.

Ihr wollt auch über das Grundstück hinauswirken – was habt ihr da konkret vor?
Lisa Schmidt-Colinet: Für den Wettbewerb hatten wir vorgeschlagen, in der Hütteldorfer Straße leerstehende Lokale anzumieten – als Austausch- oder Nachbarschaftszentrale. Vielleicht kommt das noch. Geplant ist auf jeden Fall ein Durchgang über das Nachbargrundstück, der öffentlich zugänglich sein könnte. Und wir denken darüber nach, Werkstatt, Garten oder Gemeinschaftsraum punktuell zu öffnen. Es geht um Offenheit – aber organisch. Nicht top-down, sondern von innen heraus.
Alexander Schmoeger: Das ergibt sich auch aus der Widmung: Zwischen den Grundstücken ist ein öffentlicher Durchgang vorgesehen. Den wollen wir nicht nur ermöglichen, sondern gestalten – sobald wir selbst angekommen sind.

Stimmt es, dass man sich an dem Projekt auch jetzt noch beteiligen kann?
Lotte Schreiber: Ja – sowohl finanziell als auch ideell. Wir arbeiten mit einem Drei-Säulen-Finanzierungsmodell: Wohnbauförderung der Stadt Wien, Bankkredit und Direktkredite von Privatpersonen. Schon ab 500 Euro kann man sich beteiligen – mit Zinsen und flexibler Rückzahlung. Außerdem suchen wir Betreiber*innen für unser Ladenlokal: ein Buchladen, ein Kaffeehaus, eine Anlaufstelle – Ideen sind willkommen.
Alexander Schmoeger: Und: Zwei Wohnungen sind noch frei.

Dann wünsche ich euch weiterhin viel Erfolg – und danke für das Gespräch.

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