Neue Rot-Weiß-Rot-Karte

Längst überfällige Verbesserungen für Fachkräfte

Fachkräftemangel
28.04.2022

Der Begutachtungsentwurf für die neue Rot-Weiß-Rot-Karte steht. Um verstärkt Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern ins Land zu holen und diese dann auch zu halten wurde sie grundlegend reformiert. Viele Kriterien wurden verändert, außerdem sollen die Verfahren schneller abgewickelt werden.

Arbeitsminister Martin Kocher hat Wort gehalten. Der Mitte März angekündigte und für das erste Halbjahr 2022 geplante Gesetzesentwurf zur Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte ist da und wurde auch schon in Begutachtung geschickt. Grundsätzlich geht es darum, den Zugang zum Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer*innen aus Drittstaaten zu erleichtern.

Der zunehmende Fachkräftemangel ist schon lange ein Thema in der heimischen Wirtschaft. Bis dato war die 2011 eingeführte Rot-Weiß-Rot-Karte aber mehr Hürde als Hilfe. Etliche Anforderungen und Beschränkungen waren praxisfern, viele Prüfverfahren dauerten gut ein halbes Jahr. Kein Wunder, dass die Anzahl von derzeit 5388 ausgegebenen Karten salopp gesprochen überschaubar ist. Angesichts des Rekordwertes von 124.000 offenen Stellen, davon über 45.000 im produzierenden Sektor, brauche es deshalb dringend eine Erleichterung bei der Anwerbung qualifizierter Fach- und Schlüsselkräfte aus Nicht-EU-Ländern. "Schneller" und "flexibler" waren daher die Schlagworte für den von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Arbeitsminister Martin Kocher am 28. April 2022 präsentierten Gesetzesvorschlag der Rot-Weiß-Rot-Karte. Für Kocher sind die neuen Maßnahmen ein wichtiger Schritt, um Fachkräfte ins Land zu holen und diese dann auch halten zu können. Schramböck betonte, dass Österreich ein "Hafen für Talente" sein sollte und es sich nicht leisten könne, dass "die Autobahn der Talente" an Österreich vorbeigehe.

Seit langem notwendige Modernisierung

Die Bewertungen der Reform sind seitens der Wirtschaft positiv ausgefallen. Für WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf beinhaltet sie wichtige Weichenstellungen, damit die Betriebe leichter und rascher zu dringend benötigten Fachkräften kommen. "Die Rot-Weiß-Rot-Karte wird sich dadurch wesentlich mehr an der betrieblichen Praxis orientieren als in der Vergangenheit", so Kopf. Das liegt wahrscheinlich daran, dass viele Anliegen der Wirtschaft im Entwurf berücksichtigt wurden. Vor allem die Anpassung des Punktesystems bei Mangelberufen kommt sehr gut an. "Damit ist die geforderte Punkteanzahl auch für Personen, die über keinen Universitätsabschluss verfügen, leichter erreichbar und die Lehre wird auch im Rahmen der Rot-Weiß-Rot-Karte aufgewertet", freut sich Kopf. Immerhin zählen insbesondere viele Handwerksberufe zu den Mangelberufen. Zudem wird mit dem eigenen Aufenthaltstitel für Spezialisten ein langjähriger Wunsch der Wirtschaft erfüllt. Immer wieder kommt es vor, dass Spezialisten für ein Projekt gebraucht werden, das nur ein paar Monate dauert. "Wenn diese dann das ganze Verfahren durchlaufen müssen, ist das Projekt schon wieder abgeschlossen, bevor sie überhaupt zu arbeiten beginnen dürfen", berichtet Kopf aus der Praxis. Für solche Fälle eine rasche Beschäftigungsmöglichkeit zu schaffen, war für ihn daher "in einer modernen Arbeitswelt längst überfällig".

Chance für den Standort Österreich

Ähnliches Lob kommt von Wolfgang Ecker, Präsident der Wirtschaftskammer Niederösterreich. "Die Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte kommt gerade rechtzeitig. Alle Maßnahmen zur Linderung des Fachkräftemangels, der zu den derzeit größten Herausforderungen zählt, sind eine dringend nötige Injektion für einen stabilen und zukunftsfitten Wirtschaftsstandort", so Ecker. Die qualifizierte Zuwanderung ist für ihn ein wichtiger Faktor.

Auch die Industrie begrüßt den vorgelegten Begutachtungsentwurf zur Weiterentwicklung der Rot-Weiß-Rot-Karte, war die Neuorientierung doch seit langem ein zentrales Anliegen. Für Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, ist die Erleichterung der Anwerbung qualifizierter Fach- und Schlüsselkräfte aus Drittstaaten ein wichtiger Baustein für einen innovativen, wettbewerbsfähigen Arbeits- und Industriestandort. Die Reform weise einen längst überfälligen Schritt zur Verbesserung auf und stelle daher eine Chance für den Standort Österreich dar.

Vorbehalte wegen möglichem Lohndumping

Kritik hagelt es hingegen von SPÖ-Sozialsprecher und Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft Bau-Holz Josef Muchitsch. "Offenbar ist dieser Regierung der Arbeitsmarkt innerhalb der EU nicht groß genug. Jetzt will man billige Arbeitskräfte aus Drittstaaten noch leichter ins Land holen, statt heimische aus- und weiterzubilden und für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen", so der Vorwurf. Seiner Meinung nach sind die Arbeitsbedingungen das wirkliche Problem. Zu lange und unflexible Arbeitszeiten sowie die schlechte Bezahlung seien in bestimmten Branchen der Grund, dass sie keine Arbeitnehmer finden. Muchitsch fordert daher vor allem gezielte und umfassende Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramme ein, um den Fachkräftemangel nachhaltig zu bekämpfen. Kritische Worte und Vorwürfe gibt es auch vonseiten der Arbeiterkammer. Präsidentin Renate Anderl macht bei einem ORF-Interview keinen Hehl daraus, dass das Vorgehen, die Sozialpartner bei der Erarbeitung des Entwurfs nicht miteinzubeziehen für sie ein Affront ist. Gleichzeitig teilt sie die Befürchtungen der Gesellschaft, dass mit der Reform das Lohndumping begünstigt wird. Deckungsgleich auch die Ansichten zur Ausbildung: "Mir ist es wichtig, dass wir dorthin schauen, wo wir Fachkräfte brauchen und die auch ausbilden."

Natürlich ist jetzt noch nichts in Stein gemeißelt. Der Gesetzesentwurf ist nun für vier Wochen in der Begutachtungsphase. In dieser können von Interessensvertretungen und Experten Vorschläge für Änderungen und Verbesserungen eingebracht werden, die dann, wie Martin Kocher im ZIB 2-Studio bekräftigte, eingearbeitet werden.

Die wichtigsten Änderungsvorschläge im Überblick

  • Karte auf Zeit für maximal sechs Monate: Für Anstellungen bei zeitlich begrenzten Projekten soll es künftig eine schnelle Karte für maximal sechs Monate geben, für die es nur ein Visum und eine Beschäftigungsbewilligung braucht.
  • Schnellere und einfachere Verfahren: In Zukunft sollen die Anträge innerhalb von zwei bis drei Monaten erledigt sein. Noch schneller soll es bei den zeitlich begrenzten Karten gehen.
  • Lockerung bei Sprachkenntnissen: Englischkenntnisse werden den Deutschkenntnissen gleichgesetzt, wenn es sich um die Bewerbung für ein Unternehmen mit Englisch als Konzernsprache handelt. Und Sprachzertifikate sollen länger gelten.
  • Leichtere Anstellung nach einem Studium: Nach einem Studium in Österreich gibt es in Zukunft keine Gehaltsgrenze mehr für die Anstellung (bisher 2.551 Euro).
  • Aufnahme von Saisonarbeitskräften: Personen, die drei Jahre als Saisonniers angestellt waren, können zu Stammsaisonniers werden. Sind diese dann weitere zwei Jahre beschäftigt gibt es eine Rot-Weiß-Rot-Karte als Stammmitarbeiter*in.
  • Neue Bewertung bei der Punktevergabe: Ein Lehrabschluss in einem Mangelberuf bringt ab sofort gleich viele Punkte wie ein Uni-Abschluss in diesem Bereich.
  • IT-Kräfte brauchen kein Studium: Mit einer dreijährigen Berufserfahrung werden IT-Kräfte auch ohne Studium zugelassen.
  • Erleichterung beim Arbeitgeberwechsel: nach einer Wartefrist von 30 Tagen ist das automatisch möglich, auch wenn das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.
  • Drehkreuz Austria Business Agency: Als "One-Stop-Shop" soll die ABA das gesamte Bewilligungsverfahren abwickeln.
  • Gemeinsames Verfahren für Familienangehörige: Für Familienangehörige soll es ein gemeinsames Verfahren geben, außerdem soll der Familiennachzug erleichtert werden.