Wie aus einer Tischlerei ein Stadtquartier wird

02.09.2025

Mit dem Projekt „Tischlerei Melk“ hat das Unternehmen Fürst Möbel ein Stück Unternehmensgeschichte geschrieben und ein lebendiges Quartier für Handwerk, Bildung, Begegnung und regionale Entwicklung ermöglicht. Für dieses umfassende Konzept wurde das Familienunternehmen für den Trigos 2025 nominiert.

Mit dem Trigos werden seit über 20 Jahren österreichische Unternehmen ausgezeichnet, die Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt übernehmen. 2025 wurden 18 Projekte in sechs Kategorien nominiert – darunter auch die Fürst Möbel GmbH, die mit der Umnutzung ihrer ehemaligen Betriebsstätte in Melk ein bemerkenswertes Beispiel für nachhaltige Quartiersentwicklung geschaffen hat. Das Projekt wurde in einem intensiven Beteiligungsprozess entwickelt, orientiert sich am Leitbild des „New European Bauhaus“ und zeigt, wie soziale Innovation, Kreislaufwirtschaft, Bildung und Handwerk gemeinsam wirksam werden können. Im Interview erläutert Geschäftsführer Lukas Fürst, wie aus einem ehemaligen Gewerbestandort ein multifunktionales Zukunftsquartier für die Region Melk wurde.

Handwerk und Bau: Herr Fürst, die meisten Unternehmen würden ein leer stehendes Produktionsareal im Zentrum verkaufen – nicht so bei Ihnen. Wie entstand die Idee, aus der alten Tischlerei in Melk einen multifunktionalen, partizipativen Begegnungsraum zu machen?

Advertorial
Luftbild Projekt Tischlerei Melk
Projekt “Tischlerei Melk” © Tischlerei Fürst GmbH

Angefangen hat alles mit der Vision meines Großvaters, der 1938 – damals erst 25 Jahre alt – ins Stift Melk gegangen ist und gesagt hat, er möchte den ehemaligen Gemüsegarten des Stifts am Stadtrand kaufen und seinen Betrieb vergrößern. Er wollte raus aus dem Hinterhof des Cafés, das gegenüber vom Rathaus beheimatet war, und hat dazu ein Visionsbild gezeichnet. Diese Zeichnung war für mich die Inspiration, das Areal anders zu denken: Im Erdgeschoss war die Werkstatt vorgesehen, darüber Ausbildungs- und Büroräumlichkeiten sowie der Wohnraum für die Familie. Im zweiten Obergeschoss des Stammhauses waren fünf Mitarbeiterwohnungen vorhanden. Ergänzt wurde das Ganze durch ein kleines Sägewerk, Ausstellungsflächen und viele Holzlagerplätze. Ein zentraler Bestandteil war außerdem ein großer Gemeinschaftsgarten mit Gemüsebeeten für Freizeit und gemeinsame Feste, wo Familie, Mitarbeiterinnen, Kundinnen, Freundinnen sowie Melker*innen zusammenkamen.

Lukas Fürst

Wie haben Sie diese Vision in die Gegenwart übertragen?
Die Vision meines Großvaters zu verstehen, war für mich ein Grundstein dafür, wie wir das Areal weiterdenken. Wir denken es multifunktional und schreiben die Geschichte weiter – inklusiv, nachhaltig und für die Menschen in der Region zugänglich. Seit 2021 ist für mich klar, dass ich das Grundstück im heutigen Stadtzentrum nicht verkaufen werde, sondern die Verantwortung als Familienunternehmer in der Region ernst nehme und den Werten folge, mit denen ich aufgewachsen bin. Für uns als 150 Jahre altes Familienunternehmen stellt sich die Frage, wie wir verantwortungsvoll mit dem umgehen, was uns überantwortet wurde – und wie wir das Areal so nutzen können, dass nicht nur wir selbst, sondern auch die Region und die Gesellschaft insgesamt davon profitieren.

Ich bin auf diesem Areal aufgewachsen, habe eine große emotionale Bindung – und deshalb war für mich klar: Ich möchte sorgsam damit umgehen.
Lukas Fürst

Die Umwandlung der Tischlerei Melk in ein Quartier des „New European Bauhaus“ wurde durch einen umfangreichen partizipativen Prozess mit über 1.000 Beteiligten aller Alters- und Bildungsschichten begleitet. Wie genau sah dieser Prozess aus?

Menschen am Areal der Tischlerei Melk
© Tischlerei Fürst Gmbh

Ich komme nicht aus der Immobilienbranche, sondern aus dem Bau-Nebengewerbe – trotzdem habe ich die Herausforderung angenommen und gesagt: Ich kümmere mich darum, wie wir mit unserem ehemaligen, geschichtsträchtigen Firmenstandort umgehen, der gleichzeitig auch meine Kinderstube war. Ich bin auf diesem Areal aufgewachsen, habe eine große emotionale Bindung – und deshalb war für mich klar: Ich möchte sorgsam damit umgehen.
Seit 2020 habe ich mehr als 500 Gespräche mit Expertinnen geführt – aus den Bereichen Immobilienentwicklung, Architektur, Bau, Quartiersentwicklung, Forschung, soziale Innovation etc. Parallel dazu habe ich Workshops organisiert – von informellen Treffen mit Freundinnen bis hin zu groß angelegten Workshopformaten mit bis zu 40 Teilnehmer*innen pro Session. Insgesamt haben wir über 25 unterschiedliche Formate durchgeführt.

…und es gab ein eigenes Forschungsprojekt.
Genau. Das möchte ich besonders hervorheben. Es handelte sich um einen Bürgerbeteiligungsprozess im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem BMIMI, der AKXSO GmbH, Moocon und der FH St. Pölten. Über 900 Einladungen wurden verschickt, 35 Personen wurden ausgewählt und haben gemeinsam mit uns das Briefing für den kooperativen Architekturwettbewerb mitentwickelt. Alles, was auf dem Areal neu entstehen darf, wird länger bestehen, als ich auf dieser Welt bin – also war mir wichtig, dass die Region mitbestimmt, was hier passiert. Aus dem Prozess heraus haben sich drei Bürger*innen soziokratisch als stimmberechtigte Jury-Mitglieder gefunden. Es ist schön zu sehen, mit welcher Verantwortung Lydia Eckert, Karin Herzog und Simon Hell diese Aufgabe wahrnehmen.

Was ist ein „New European Bauhaus Quartier“?

Das „New European Bauhaus“ ist eine von der Europäischen Kommission initiierte Bewegung, die Nachhaltigkeit, Ästhetik und soziale Teilhabe miteinander verbindet. Ziel ist es, den europäischen Green Deal mit konkreten Projekten in Architektur, Stadtentwicklung und Alltagskultur erlebbar zu machen.

Ein „New European Bauhaus Quartier“ verfolgt diese Prinzipien auf Quartiersebene:

  • Nachhaltige Nutzung bestehender Flächen und Ressourcen
  • Inklusive und partizipative Planung mit Bürger*innen
  • Gestalterisch hochwertige, multifunktionale Räume
  • Verbindung von ökologischem, sozialem und kulturellem Anspruch

Im Fall der Tischlerei Melk bedeutet das: Bestehende Bausubstanz wird neu genutzt, die Bevölkerung war aktiv in die Planung eingebunden, und das Ergebnis ist ein lebendiger Ort für Arbeit, Bildung, Wohnen, Begegnung und kulturelle Nutzung – mit langfristigem Mehrwert für die Region.

Was waren dabei die wichtigsten Herausforderungen und Erkenntnisse?

Altes Silo einer Tischlerei
Projekt Tischlerei Melk © Tischlerei Fürst GmbH

Eine der größten Herausforderungen war es, regelmäßig die eigenen Vorstellungen loszulassen – und andere Perspektiven zuzulassen. Ich habe gelernt, dass man nicht automatisch Experte für die Bedürfnisse einer Region ist, nur weil man ein großes Grundstück besitzt. Mein Ego zurückzustellen, war lehrreich – und die Urkraft der Partizipation wurde dadurch spürbar.
Gleichzeitig ist mir klar geworden: Quartiersentwicklung funktioniert nicht linear. Es ist ein Vor und Zurück, ein Links und Rechts. Dafür braucht es Geduld – und Zeit. Aber ich bin überzeugt: je tiefer die Wurzeln, desto stabiler der Baum. Und diese Anfangsinvestition wird sich langfristig lohnen.

Das Projekt kombiniert nachhaltige Flächennutzung mit einer Belebung des Ortskerns. Welche konkreten Auswirkungen hat die Revitalisierung bislang auf die Region Melk und die lokale Gemeinschaft gehabt?

Yogaraum
Yogaraum © Tischlerei Fürst Gmbh

Der breit angelegte Partizipationsprozess hat viele Mitstreiter*innen mobilisiert, die sich aktiv einbringen. So wurden bestehende Flächen neu belebt – etwa mit dem Coworking-Space „Werk Drei“, der 2022 aus einem ehemaligen Lagerraum entstand. Vier Selbstständige wollten nicht mehr von zu Hause arbeiten, konnten aber kein Büro mieten – drei Monate später war der Raum adaptiert und eingerichtet.
Ein weiteres Beispiel ist das Familienquartier. Aus einem früheren Schauraum wurde ein Raum für Yoga, Meditation, Rückbildungskurse oder Kinderyoga – genutzt an sieben Tagen die Woche. Allein 2024 kamen dadurch 4.500 Menschen zusätzlich aufs Areal.
Auch das Hostel ist ein Resultat dieses Denkens. Es richtet sich an die 350.000 Radtourist*innen, die jährlich durch Melk kommen – und wurde bewusst nachhaltig und unkonventionell umgesetzt. 65 Prozent der Einrichtung bestehen aus wiederverwendeten Materialien.

Werkraum Melk
Werkraum Melk© Tischlerei Fürst GmbH

Ein Herzensprojekt ist der „Werkraum Melk“, in dem über 400 Kinder und Jugendliche in 17 Berufen handwerklich tätig werden konnten. Koordiniert von Valerie Maier, gemeinsam mit regionalen Betrieben und pensionierten Fachkräften, die ihr Wissen weitergeben. Das ist gelebte Interaktion zwischen Generationen – und eine wertvolle Ergänzung zu formaler Bildung. Alle Projekte bringen Urbanität in den ländlichen Raum und stärken die Attraktivität der Region. Unser Ziel: Abwanderung stoppen. Junge Menschen sollen hierbleiben wollen – und Menschen aus Städten sollen sich angezogen fühlen. Das ist die Vision hinter dem New European Bauhaus Tischlerei Melk.

Welche Rolle spielt die Diversität und Multifunktionalität des neu geschaffenen Quartiers für dessen langfristigen Erfolg?
Langfristiger Erfolg ist nur durch Diversität möglich. Kurzfristiger finanzieller Gewinn wäre einfach – Grundstück verkaufen, Wohnbau errichten, Gewinn realisieren. Aber das ist nicht unser Ziel. Als 150 Jahre altes Familienunternehmen denken wir in Generationen. Ich erinnere mich an die Worte von Pater Ludwig aus dem Stift Melk: Wir denken in Jahrhunderten. Genau das prägt auch unseren Zugang.
Diversität ist auch in unserer Möbelproduktion Alltag: Wir fertigen Maßmöbel für Krankenhäuser, Ordinationen, Schulen, Hotels, Ausstellungen – bis hin zu privaten Projekten. Diese Vielfalt sichert unsere Zukunft.
Genauso sehen wir das bei der Quartiersentwicklung: Ein Mischwald ist widerstandsfähiger als eine Monokultur – auch wirtschaftlich und gesellschaftlich. Vielfalt gibt Stabilität.

Bedeutet das Projekt „Tischlerei Melk“ für Fürst den Einstieg in die Quartiersentwicklung als zusätzliches Standbein neben der Möbelproduktion?

KIKO Melk
KIKO Melk © Tischlerei Fürst Gmb

Quartiersentwicklung war nie Ziel – sie ist uns passiert, weil wir den alten Standort weiterleben lassen wollten. Heute sehe ich beide Bereiche – Möbelproduktion und Quartiersentwicklung – als verbunden: Sie können sich gegenseitig befruchten.
Schon jetzt passiert das: Pensionierte Tischler geben ihr Wissen im KIKO weiter, Lehrlinge setzen erste Projekte am Areal um. Beide Bereiche brauchen Geduld, Mut und Beharrlichkeit. Es geht um Räume, in denen Menschen wachsen können – ob Coworker*innen, Gründer*innen oder Auszubildende.

Was persönlich motiviert Sie und das Unternehmen Fürst, solche aufwendigen, stark partizipativen und nachhaltigen Projekte umzusetzen, und warum lohnt es sich Ihrer Meinung nach für Unternehmen, Verantwortung für die Gesellschaft und Region zu übernehmen?

John F. Kennedy sagte einmal: Wir haben uns entschlossen, zum Mond zu fliegen – nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist. Unsere Mondmission ist kleiner: Wir wollen einen Ort schaffen, der die Region belebt und Vorbild sein kann. Ich bin überzeugt: Unternehmer*innen haben Gestaltungskraft – und diese sollte nicht nur dem eigenen Betrieb dienen, sondern auch der Gesellschaft. Wir leben in einem vernetzten System. Jeder kann etwas beitragen.
Oft wird Verantwortung auf die Politik abgeschoben. Doch wir alle sind Teil der Gesellschaft. Wenn jede*r ein Stück Verantwortung übernimmt, entsteht die Chance auf positive Veränderung. Für mich bedeutet das: zurück zur Gemeinschaft. Vertrauen, Begegnung auf Augenhöhe, Wertschätzung – das wollen wir vorleben. Wir gestalten unsere Zukunft selbst. Nicht irgendwann – sondern jetzt.

Vielen Dank für das Interview!

Trigos 2025

© Trigos

Österreichs wichtigste Auszeichnung für verantwortungsvolles Wirtschaften. 2025 wurden 18 Projekte in sechs Kategorien nominiert. Die Preisverleihung findet am 2. Oktober 2025 in der Markterei in Wien statt.
Mehr Infos: www.trigos.at
Presse: trigos.at/presse

Projekt „Tischlerei Melk“

Ein stillgelegter Produktionsstandort wird zum multifunktionalen Quartier. Mit Co-Working, Familienzentrum, Bildung, Handwerk, Hostel und Partizipation entsteht ein neues Zentrum mitten in Melk.
Mehr Infos: www.unseretischlerei.at

Fürst Möbel GmbH

Familienbetrieb in 5. Generation mit Spezialisierung auf maßgefertigte Objektmöbel für Gesundheitswesen, Bildung, Hotellerie und mehr.
Mehr Infos: www.fuerst.cc

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