Ausbildung

Lehre am Prüfstand: Studien zeigen Missstände auf

Fachkräfte
24.11.2022

Die Lehrlingszahlen steigen wieder, dennoch sind über 7.000 Lehrstellen unbesetzt. Was braucht es, um die anerkannte duale Ausbildung noch besser und damit interessanter zu machen? Zwei Umfragen zeigen, an welchen Schrauben gedreht werden muss, um die Lehre in allen Branchen zukunftsfit zu machen.
Nicht alle Lehrbereiche schneiden bei den Lehrlingsumfragen so gut wie die Branchen Metall, Elektro und Bau ab.
Nicht alle Lehrbereiche schneiden bei den Lehrlingsumfragen so gut wie die Branchen Metall, Elektro und Bau ab.

Das Interesse an einer Lehre steigt wieder. Derzeit gibt es in Österreich insgesamt 108.567 Lehrlinge, davon befinden sich 35.580 Jugendliche im ersten Lehrjahr der Ausbildung. Die Wirtschaftskammer konnte daher mit Oktober ein Plus von 7,89 Prozent bei den Lehrlingen im ersten Lehrjahr vermelden.  Das ist ein erfreuliches Zeichen, gleichzeitig darf aber nicht vergessen werden, dass über 7.000 Lehrstellen österreichweit unbesetzt geblieben sind.

Erfolgsmodell mit starken Imageeinbußen

Dabei ist die duale Ausbildung Österreichs international hoch angesehen. Die Kombination von theoretischem Fachwissen aus der Berufsschule und der praktischen Anwendung im Ausbildungsbetrieb hat sich bewährt, wie auch die guten Erfolge bei internationalen Wettbewerben, etwa bei den gerade stattfindenden WorldSkills 2022, zeigen. Das Niveau der dualen Ausbildung ist eindeutig hoch. Und auch die heimischen Lehrlinge sind zum Großteil glücklich. Bei der Market-Umfrage im Auftrag der WKÖ gaben 50 Prozent der Lehrlinge an mit der Ausbildung "sehr zufrieden" zu sein, 80 Prozent sind "zufrieden". Mehr als siebzig Prozent (76%) würden sich "jederzeit wieder" für eine Lehre entscheiden. "Und 72 Prozent wissen die "guten Verdienstmöglichkeiten" mit einer abgeschlossenen Lehre zu schätzen", betont Mariana Kühnel, stellvertretende Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich. Ähnlich gut sind die Ergebnisse des Lehrlingsmonitors 2021 von Arbeiterkammer und Gewerkschaftsjugend. Diese belegen, dass 76 Prozent der Lehrlinge mit ihrer Berufswahl zufrieden sind und diesen Beruf wieder wählen würden. Außerdem würden sich 68 Prozent der Befragten noch einmal für exakt denselben Ausbildungsbetrieb entscheiden.

Dennoch hat die Lehre insgesamt in den letzten Jahrzehnten an Image und Nachfrage eingebüßt. Die Gründe dafür sind vielfältig. So haben beispielsweise der demographische Wandel und der Trend zur Akademisierung dazu geführt, dass es für das duale Ausbildungssystem immer weniger Bewerberinnen und Bewerber gibt, obwohl die heimische Lehre ein anerkanntes Erfolgsmodell ist. Wird nicht gegengesteuert, wird sich der jetzt schon eklatante Fachkräftemangel weiter verstärken.

Regelmäßige Überstunden keine Seltenheit

Eine Spezialauswertung des aktuellen österreichischen Lehrlingsmonitors von Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund und Gewerkschaftsjugend durch das Österreichische Institut für Berufsbildungsforschung hat nun aufgezeigt, wo bei der Lehre der Schuh drückt. "Solange es Betriebe gibt, die Lehrlinge weiterhin als billige Hilfskräfte ausnutzen und nicht qualitativ ausbilden, wird sich das Image der Lehre nicht reinwaschen können", mahnte Richard Tiefenbacher, Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend, bei der Präsentation Anfang November. Junge Menschen wollen nicht in Branchen arbeiten, wo sie bereits beim Berufseinstieg mit einer schlechten Ausbildungsqualität konfrontiert sind.

Schon jeder dritte Lehrling ist laut Lehrlingsmonitor unzufrieden mit der Ausbildung, ein Drittel gibt an regelmäßig Überstunden zu machen, viele davon unbezahlt und unfreiwillig. Rund 18 Prozent müssen ausbildungsfremde Tätigkeiten durchführen. Eine besonders hohe Unzufriedenheit herrscht vor allem bei den Lehrlingen in Tourismus- und Handels-Lehrberufen. Viele von ihnen wollen nach dem Lehrabschluss nur noch weg. Ganz gegenteilig ist die Lage bei den Bereichen Metall, Elektro und Bau, da vor allem beim Beruf Maurerin/Maurer: Sie schneiden bei der Umfrage, an der im letzten Jahr 4.100 Lehrlinge teilnahmen, besonders gut ab.

Vorzeigebranchen als Vorbild nehmen

Die Gründe für die guten Umfragewerte sind kein großes Geheimnis. Alle drei Branchen bieten gute Ausbildungsbedingungen und Jobchancen sowie eine faire Bezahlung. Im Lehrberuf Maurerin/Maurer beträgt beispielsweise das Lehrlingseinkommen ab dem zweiten Lehrjahr bereits 1.629 Euro. Der praktische Einsatz auf den Baustellen wird zusätzlich mit einer qualitativen Ausbildung in Lehrbauhöfen kombiniert. Aber auch andere Lehrberufe in der Baubranche rangieren im oberen Bereich der monatlichen Entgelte und Ausbildungsstandards.

Ilkim Erdost, Bereichleiterin Bildung in der AK Wien, hat daher keinen Zweifel daran, dass der chronische Arbeitskräftemangel in manchen Branchen selbst gemacht ist. "Wir spüren jedoch aktuell nur die schwachen Vorboten von zukünftigen Lücken, die entstehen werden, wenn sich nicht rasch etwas ändert", ist Ilkim Erdost überzeugt. Es müsse daher ständig an der Verbesserung der Ausbildungsbedingungen gearbeitet werden.

Lehrpläne in den Berufsschulen veraltet

Doch damit sind nicht nur die Betriebe und Branchen gemeint, auch in Bezug auf die Berufsschulen gibt es aus Sicht der AK und der ÖGJ Handlungsbedarf. "Nur drei von hundert Bildungseuros fließen in die Berufsschulen", erklärt Richard Tiefenbacher. So seien dort Overhead-Projektoren statt moderner Technik und heruntergefallener Putz keine Seltenheit. Was für Tiefenbacher angesichts des Fachkräftemangels eine Katastrophe ist: "Die Lehre ist Teil der Lösung gegen den Fachkräftemangel, aber nur dann, wenn auch die Ausbildungsbedingungen passen."

Mit dieser Ansicht ist er nicht alleine, wobei der Blickwinkel ein anderer ist. Laut der Kurzstudie von CEOs for Future zum Thema Lehre steigt zwar die Bedeutung der Lehrlinge in den Unternehmen, doch es gäbe Hindernisse bei der Ausbildung. So stimmten 83 Prozent der Unternehmen zu, dass Berufsschulen Nachhaltigkeitsthemen wie Klimaschutz, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft, in ihre Ausbildungspläne mit aufnehmen sollen. Auf die Frage nach den Hürden bei der Lehrlingsausbildung sprachen rund 64 Prozent der Betriebe von "veralteten Lehrplänen in den Berufsschulen" und 21 Prozent von einer "teilweise mangelnden Basisausbildung". Was unterm Strich heißt, dass anscheinend einige Lehrpläne absolut nicht zeitgemäß sind.

Zusätzliche Weiterbildung in der Warteschleife

Warum das so ist und welche Branchen davon betroffen sind, lässt die C4F-Studie jedoch offen. Was gerade deshalb interessant wäre, da die Berufsbilder der einzelnen Lehrberufe vom Arbeits- und Wirtschaftsministerium laufend aktualisiert werden. Diese kontinuierlichen Updates sollen sicherstellen, dass die Lehrberufe immer am Punkt sind und beste Jobchancen bieten. Dieses Jahr gab es zwei Lehrberufspakete, bei denen die Änderungen und Neuerungen nach Angaben des Ministeriums in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern sowie mit Expertinnen und Experten der Branchen erarbeitet wurden.

Weit entfernt von einem Entwurf samt Eckpunkten und Rahmenbedingungen scheint man hingegen bei der höheren beruflichen Weiterbildung zu sein.  Bis dato gibt es nur die Verlautbarung seitens der Regierung im Februar dieses Jahres, dass es analog zur akademischen Bildungskarrierenach nach der Lehre einen neuen Weg der Weiterbildung geben soll. Der angekündigte "Systemumbruch in der österreichischen Berufsbildung", befindet sich somit noch in der Warteschleife.