Lehrlingsrekrutierung

7 Praxis-Tipps für die Lehrlingssuche

Lehrlinge
01.07.2022

Um Lehrlinge zu finden oder besser noch von ihnen gefunden zu werden, sollten die alt bekannten Wege nicht verlassen, aber unbedingt um neue Optionen und Ideen erweitert werden. Wir haben sieben in der Praxis bewährte Möglichkeiten recherchiert, deren Erprobung und Einführung sich auszahlen könnte.

So gut wie jeder kennt das Sprichwort "Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler". Frei übersetzt heißt das für die Lehrlingssuche, dass sich die Unternehmen auf die Lehrlinge einstellen müssen und nicht die Lehrlinge auf die Unternehmen. Das ist auch tatsächlich so. Statt sich aus einer Vielzahl an Bewerber*innen die besten Köpfe auszusuchen, müssen Betriebe mittlerweile verstärkt um Lehrlinge werben und dabei neue Wege gehen. Wer also als Betrieb für ausbildungswillige Jugendliche interessant sein möchte, muss grundsätzlich einmal wissen, wie die Fachkräfte von morgen ticken. Dazu gehört im Speziellen das Wissen um ihre Kommunikationskanäle genauso, wie die Kenntnis darüber, was sie sich von Arbeitergeber*innen erwarten, um sich besser auf sie einstellen zu können.

Jede Altersgruppe hat andere Kriterien

Momentan ist es die Generation Z, die als potenzielle Lehrlingskandidat*innen und junge Fachkräfte in den Startlöchern steht. Doch kaum jemand ist sich darüber bewusst, dass die Jugendlichen ein eher geringes Interesse haben, zukünftige Arbeitgeber*innen auf einem Karriere-Event persönlich kennenzulernen. Viel mehr Aufmerksamkeit bekommen aussagekräftige Stellenausschreibungen und authentische Einblicke, vor allem in die Unternehmenskultur, wie eine Watchado-Umfrage zeigte. Auch Erfahrungsberichte, unter anderem als Video, stehen hoch im Kurs. Und was die Arbeit selbst betrifft, ist das Aufgabengebiet ausschlaggebender als die Bezahlung. Bezüglich eines Jobwechsels springen die jungen Fachkräfte jedoch auf ein Angebot mit mehr Gehalt und bessere Benefits an. Bei all den Jugendlichen sollte man aber auf keinen Fall auf ältere Arbeitnehmer*innen vergessen, die Interesse daran haben, sich beruflich neu zu orientieren. Da zählen natürlich wieder ganz andere Kriterien.

Wir haben sieben Beispiele aus der Praxis zusammengefasst, um neue Wege bei der Rekrutierung von Lehrlingen zu gehen und mit modernen Methoden auf das Unternehmen aufmerksam zu machen:

1. Lehrberufs-Videos auf TikTok & Co

Viele Jugendliche konsumieren keine traditionellen Medien wie Zeitungen und Zeitschiften. Um sie anzusprechen heißt es auf Social Media-Kanälen aktiv zu werden. Facebook ist diesbezüglich kein großes Thema bei der Generation der 14- bis 18-Jährigen. Viel höher im Kurs stehen Instagram, YouTube und TikTok. Vor allem das Videoportal TikTok, wo kurze Handyvideos hochgeladen werden, ist zurzeit voll im Trend – auch für Kurzvideos über Lehrberufe. So produziert beispielsweise der Medienmanagement-Lehrling Marvin Teufl in Niederösterreich, der auch als TikTok-Influencer aktiv ist, gemeinsam mit anderen Lehrlingen Clips mit Hintergrundinfos zu den Lehrberufen.

Aber auch Firmen selbst haben diesen Kanal schon für sich entdeckt. Unter den eigenen Lehrlingen gibt es oft videoaffine Jugendliche, die mit viel Fantasie und Wissen, aber ohne großen Aufwand, sich, ihren Lehrberuf und ihr Unternehmen perfekt vorstellen können. Die österreichische Sanitär-Traditionsmarke ÖAG ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen und hat im ersten Halbjahr 2022 per Casting vier Profisder heimischen SHK-Betriebe gesucht. Diese werden nach einer entsprechenden Einschulung als Influencer*innen für den Außenauftritt der Branche aktiv sein, um eine digitale Anlaufstelle im Internet aufzubauen, wo junge Menschen sämtliche Infos finden können.

2. Eigene Internetseite für Lehrlinge

Eine Firmen-Internetseite ist mittlerweile Usus geworden. Eine eigene Internetseite für derzeitige und zukünftige Lehrlinge eines Betriebes ist hingegen noch nicht so weit verbreitet, rückt jedoch im stärker in den Fokus. Sie ist eine perfekte Möglichkeit um über den Betrieb selbst und Details des Ausbildungsangebots zu informieren. Übersichtlich und leicht auffindbar erkennen Jugendliche, was im jeweiligen Betrieb geboten wird. Die eigene Internetseite macht aber nur Sinn, wenn es dort auch gleich eine Kontakt- und Bewerbungsmöglichkeit gibt. Bei der Gestaltung sollten vor allem KMU darauf achten, dass der Chef oder die Chefin für das Unternehmen persönlich spricht und steht.

Jörg Mosler, Experte für die Mitarbeiter*innengewinnung im Handwerk, ist davon überzeugt, dass ein Betrieb anzieht, was er ausstrahlt. Seiner Meinung nach funktioniert Mitarbeiter*innengewinnung dann, wenn sie persönlich gemacht ist und nicht mit reinen Zahlen-, Daten- und Faktengräbern. Zum Beispiel könnte man auf der Karriereseite ein kurzes Video zeigen, wo die Chefin oder der Chef einen kleinen Rundgang durch den Betrieb macht. Das wäre ein erster Schritt in der persönlichen Ansprache. Die Anton Paar Austria GmbH, Spezialist für hochpräzise Laborinstrumente und Prozessmesssysteme, gehört zwar nicht zu den Klein- und Mittelunternehmen, ist aber mit seiner "Mach-mich-zum-Experten"-Internetseite für Lehrlinge trotzdem ein gutes Beispiel.

3. Zusätzliche Lehrlings-Boni

Neben einem interessanten Aufgabengebiet, einer sehr guten Berufsausbildung mit Aufstiegschancen und einem guten Betriebsklima sind es vor allem zusätzliche Vorteile, mit denen man das Interesse von Jugendlichen wecken kann. Im Falle der Messner Ges.m.b.H, einem Tischlereibetrieb in Graz, der Innenausbauten für Yachten, Cruiseliner, Luxushotels und Privatvillen macht, ist es gleich ein ganzes Paket an zusätzlichen Vorteilen, die den Lehrlingen winken bzw. mit dem sich das Unternehmen von seinen Mitbewerber*innen abhebt. So gibt es für die Lehrlinge der Tischlerei eine Vier-Tage-Woche, aufgrund der internationalen Auftraggeber*innen ist die Ausbildung mit globalen Reisen verbunden und zur Förderung der persönlichen Mobilität finanziert der Betrieb bei erfolgreich bestandener Lehrabschlussprüfung auch den B-Führerschein.

4. Spezielle Lehrlingspraktika im Ausland

Ein Auslandspraktikum ermöglicht Lehrlingen den Blick über den Tellerrand. Außerdem können so auch gleich die Fremdsprachenkenntnisse verbessert werden, was in eine Arbeitswelt, die zunehmend internationaler wird, nur ein Vorteil sein kann. Einer jener heimischen Betriebe, die ihren Lehrlingen diese Möglichkeit bietet ist Baumit Österreich. Seit einigen Jahren schon ermöglicht der Baustoffprofi seinen Lehrlingen während der Lehrzeit Auslandserfahrungen in Form von Auslandspraktika zu sammeln. Und zeigt damit, welchen hohen Stellenwert Lehrlinge und deren Ausbildung im Unternehmen haben. Erst Ende Mai 2022 wurde der Baustoffhersteller vom Wirtschaftsministerium für das besondere Engagement und die hohe Qualität in der Lehrlingsmobilität mit dem EQAMOB-Qualitätslabel ausgezeichnet.

5. Eigener Club für Lehrlinge

Mit Gleichgesinnten in einem eigenen Club zusammen zu sein, hat etwas von Exklusivität und fördert das Gemeinschaftsgefühl. Mapei Austria, Teil des italienischen Familienunternehmens Mapei, das sich auf Klebstoffe, Dichtstoffe und chemische Produkte im Bauwesen spezialisierte, hat für die Lehrlinge seiner Kundinnen und Kunden den "Next Generation Club" ins Leben gerufen. Um die Lehre attraktiver zu gestalten bekommt jedes Mitglied eine Privatunfallversicherung, ein Welcome-Package, das aus einem Rucksack mit Gutscheinen und Ermäßigungen besteht und einen JBL Bluetooth Lautsprecher.

Außerdem gibt es jedes Jahr einen Lehrlingscontest, wo die besten Lehrabschlussprojekte bewertet und ausgezeichnet werden, sowie verschiedene Action-Events. Egal ob Rafting, Fußball oder Klettern, regelmäßig stehen Events und Ausflüge in ganz Österreich am Programm.  Nach dem Lehrabschluss winkt darüber hinaus eine Lehrabschlussreise nach Italien mit einem exklusiven Rahmenprogramm. International tätige Unternehmen tun sich mit so einem speziellen Club natürlich leichter, aber im Grunde könnten sich auch branchenübergreifend und länderübergreifend Unternehmen für einen Club zusammentun. Wenn die Clubaktivitäten bei den Jugendlichen gut ankommen, gibt es automatische eine gute Mundpropaganda.

6. Lehrlinge rekrutieren Lehrlinge

Schon im Betrieb integrierte Lehrlinge haben ein gutes Gefühl dafür, mit wem sie in den nächsten Jahren zusammenarbeiten wollen und mit wem eher nicht. Die Schoeller-Bleckmann Oilfield Equipment AG mit Sitz in Ternitz setzt bereits seit einigen Jahren darauf. Die bestehenden Lehrlinge gestalten dabei den gesamten Ablauf selbst  und wählen auch aus, wer aufgenommen werden soll. Zum Prozess gehört dabei die Terminisierung und die Gestaltung der Schnuppertage, genauso wie die Vorbereitung des Aufnahmetest inklusive der Aufbereitung der Testfragen sowie die Durchführung und Auswertung des Tests.

Letztendlich sind die Testergebnisse, die Einschätzungen aufgrund des Verhaltens bei den Schnuppertagen und die Erkenntnisse aus persönlichen Gesprächen mit den jugendlichen Bewerber*innen dann die Grundlage für Zu- oder Absage. Theoretisch hat die Personalleitung ein Einspruchsrecht, davon wurde aber bis jetzt noch kein Gebrauch gemacht. Da im Unternehmen mehrere Lehrlinge ausgebildet werden, ist es immer eine Gruppenentscheidung, wo persönliche Vorlieben und Antipathien ausgeschlossen sind. Als Nebeneffekt hat man damit auch eine rasche Integration der neuen Lehrlinge ins Team. Denn die bestehenden Lehrlinge nehmen sich besonders gern der neuen Lehrlinge an, sind es doch "ihre" Lehrlinge, die sie selbst ausgesucht haben.

7. Für Spätentschlossene offen sein

Nicht nur Jugendliche mit erfüllter Schulpflicht sind geeignet für eine Lehre, auch Maturant*innen und Studienabbrecher*innen können in einem Lehrberuf ihre Erfüllung finden. Darüber hinaus sollten junge Erwachsene und ältere Arbeitnehmer*innen nicht vergessen werden. Wer in jungen Jahren eine nicht so passende Entscheidung getroffen hat, bekommt mit einer späten Lehre eine zweite Chance. Die "Erwachsenenlehre" oder "Lehre 18plus" gibt es zwar schon einige Zeit, wird aber viel zu wenig genutzt. Derzeit machen Erwachsene gerade einmal sechs Prozent der heimischen Lehrlinge aus, in Deutschland liegt der Anteil viel höher. Dabei subventioniert das AMS die Betriebe bei der Erwachsenenlehre, die Mitarbeiter*innen bekommen während der Lehrzeit einen Hilfsarbeitergehalt. Hanno Messner, Geschäftsführer des Grazer Tischlerbetriebs Messner Ges.m.b.H, zählt gerade eine 26-jährige junge Dame zu seinen Lehrlingen und hat gute Erfahrungen damit gemacht.