Düsterer Ausblick

Baustopp: Baubranche droht der Stillstand

Nun hat die Krise – eine Mischung aus Corona, Preisexplosionen und Kriegsauswirkungen – die Baubranche eingeholt und trifft diese mit voller Härte. Das Wort Baustopp fällt häufiger als es vielen lieb ist.

In den letzten zwei Jahren gab sich die Baubranche eher gelassen. Man sei mit einem blauen Auge durch die Pandemie gekommen und bewege sich langsam wieder auf Vor-Pandemie-Niveau zurück hieß es vielerorts. Mittlerweile hat die Krise auch die Baubranche eingeholt und trifft diese, nicht zuletzt wegen des russischen Krieges, mit voller Wucht. Fehlende Fachkräfte, Preisexplosionen bei Rohstoffen und Baumaterialien sowie die stetig steigenden Energiekosten gepaart mit vollen Auftragsbüchern zu Fixpreisen und fehlenden Fachkräften bringen die heimische Baubranche ins Wanken. Das spüren sowohl die Baufirmen – die teils zu unwirtschaftlichen Preisen zu Arbeiten vertraglich verpflichtet sind –, als auch die Auftraggeberseite.

Arbeitsplätze am Bau wackeln

"Es ist zu befürchten, dass in den nächsten Wochen und Monaten die prekäre Situation weiter eskaliert", prophezeit Anton Rieder, Vizepräsident der Tiroler Wirtschaftskammer, Innungsmeister des Tiroler Baugewerbes und Geschäftsführer von Rieder Bau. Er selber habe in seinen 30 Jahren in der Baubranche solche Beschaffungsprobleme noch nie erlebt. Fixpreise gebe es praktisch keine mehr und auch Baustopps durch Lieferschwierigkeiten stünden im Raum.

Hinzu kommen die steigenden Kraftstoffpreise, die gerade für überregional tätigen Unternehmen zu einer besonderen Kostenbelastung werden. Auch hier ist die Bauwirtschaft als eine der transportintensivsten Branche besonders von den Preissteigerungen betroffen. "Auch die Dieselpreise belasten die Unternehmen enorm, ein mittelständisches Unternehmen mit rund 90 Millionen Euro Jahresumsatz verbraucht etwa 1,4 Millionen Liter Diesel im Jahr", so der oberösterreichische Landesinnungsmeister Norbert Hartl. "Bauunternehmen sind von unerwarteten Preissteigerungen besonders betroffen, da diese bei langlaufenden Projekten nicht oder nur in Ausnahmefällen an die Auftraggeber weitergegeben werden können." Zusätzlich haben Anfang April viele Baustoffhersteller neuerliche Preisanhebungen von 15 bis 20 Prozent vollzogen. Deutsche Hersteller haben bereits einen Auftragsannahme-Stopp bis in den Herbst 2022 in die Wege geleitet. Teilweise sind Vormaterialien nicht mehr verfügbar und der massiv hohe Energiepreis macht den Herstellungsprozess oft unwirtschaftlich.

"Wenn nicht rasch effektive Gegenmaßnahmen ergriffen werden, droht auf vielen Baustellen die Einstellung der Bautätigkeit - mit allen negativen Konsequenzen", beschreibt Rieder weiter die Situation. "Bereits jetzt mussten einige Bauunternehmungen trotz guter Auftragslage Mitarbeiter beim Frühwarnsystem des AMS anmelden, bei zahlreichen Mitgliedsbetrieben befinden sich entsprechende Meldungen in Vorbereitung."

Stahl, Holz und Ziegel sind rares Gut

Mit dieser Sicht auf die aktuellen Entwicklungen stehen Hartl und Rieder nicht alleine da. Tagespreise bei Rohstoffen erschweren die Kalkulationen der Firmen, vermeintlich banale Fertigprodukte wie Nägel und Schrauben sind mittlerweile schwer verfügbar. Auch die Beschaffung ausreichender Mengen an Bewehrungsstahl und Bewehrungsmatten ist am europäischen Markt nach Angaben des Güteschutzverbandes für Bewehrungsstahl nicht mehr gewährleistet. Andere Zulieferketten sind schon gänzlich weggebrochen. "Viele Holzprodukte aus der Ukraine sind wegen des Kriegs nicht lieferbar, jene aus Russland fallen wegen der Sanktionen aus", so der scheidende steirische Bau-Innungsmeister Alexander Pongratz
Aber auch bei regionalen Produkte sind die Wartezeiten lang. Im Ziegelbereich beispielsweise sei für neue Bestellungen (ohne Vormerkung) mit einer Lieferzeit von drei Monaten und mehr zu rechnen, so die Abau NÖ/Wien in einer Aussendung an ihre Mitglieder. 

Materialpreise: Kein Ende in Sicht

Mit Skepsis und Sorge beobachtet man auch bei der Einkaufsgenossenschaft die Preisentwicklungen. "Beinahe täglich kommen Ankündigungen von Lieferanten zu weiteren Preiserhöhungen und diese betreffen praktisch alle Materialien", berichtet Martin Lackner, Geschäftsführer der Abau NÖ/W. Auch wenn man das Möglichste tue, um die Erhöhungen abzuschwächen oder zumindest etwas zu verzögern, könne von planbaren, längerfristigen Rahmenpreisen im Moment keine Rede sein.

Die Preisentwicklung der vergangenen Monate hat die Abau für einen besseren Überblick zusammengefasst:

Auszug der wichtigsten Materialgruppen: Stand April 2022
Preiserhöhungen
2021
Preiserhöhungen
Anfang 2022
Preiserhöhungen
Q2 2022
Gesamt 2022
Ziegel 8 % 4 % 8-15 % 12-20 %
Beton 2-3  10 % 5 % 15 %
Eisen bis zu 70 % (ab Feb. laufend) bis zu 80 % 80 %
Dämmstoffe bis zu 30 % 10-15 % 10 % 20-25 %
Putze, Mörtel 3 % 10-15 % 10 % 20-25 %
Bauchemie, Bitumen 7-10 % 5-15 % 15-20 % 25-30 %
Kunststoffrohre 25 % 15 % 25 % 40-45 %
Werkzeug, Kleinteile 5-10 % 5-10 % 10 % 15-20 %

Weitere Preiserhöhungen zur Jahresmitte seien nicht auszuschließen, sollten sich an den Preistreiber Energie, Logistik und hohe Nachfrage nichts ändern, so Lackner weiter. 

Im Extremfall würden nicht haltbare Preise dazu führen, dass Unternehmer die Baustelle einstellen müssen, um nicht in den Konkurs zu schlittern.

Alexander Pongratz, LIM Bau Steiermark

Stillstand auf Baustellen befürchtet

Die Folgen eines im Raum stehenden Stillstands auf den Baustellen wären dramatisch - österreichweit wären rund 120.000 Bauarbeiter*innen davon direkt betroffen.

"Im Extremfall würden nicht haltbare Preise dazu führen, dass Unternehmer die Baustelle einstellen müssen, um nicht in den Konkurs zu schlittern", zeichnet der steirische Innungsmeister Alexander Pongratz ein düsteres Szenario. Immer öfter werde versucht, noch nicht begonnene Projekte in Absprache mit dem Auftraggeber zu verschieben oder bei laufenden Projekten eine Preisanpassung zu erreichen. Kleinere Baufirmen haben, nach Angaben von Brancheninsidern, teilweise schon damit begonnen sich aus Verträgen frei zu kaufen, da ihnen dies billiger kommt, als die Verträge einzuhalten.

Wir haben nachgefragt

Leser*innenumfrage

Prekäre Situation für das Handwerk

Um nichts besser geht es aktuell auch den anderen Gewerbe- und Handwerkbetrieben des Landes. Die Situation vieler Betriebe ist laut Angabe der Interessensvertreter prekär, das Risiko der volatilen Preise und sprunghaften Kostensteigerungen können die Betriebe nicht allein stemmen. "Wir hungern vor den vollen Töpfen: Die Aufträge wären zwar da, aber unsere Mitgliedsbetriebe können sie vielfach nicht abarbeiten", so Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk.

In Einzelfällen war es daher erforderlich, Vergabeverfahren aufgrund hoher Marktpreise zu widerrufen oder diese zeitlich anzupassen.

Daniel Pinka, Pressesprecher ÖBB-Holding AG

Infrastrukturbau mit Warnsignalen

Noch nicht ganz so düster präsentiert sich die aktuelle Situation im öffentlichen Infrastrukturbereich. "Notwendige Adaptierungen von Bauzeitplänen sind grundsätzlich nicht ausgeschlossen, aufgrund von Gegensteuerungsmaßnahmen sehen wir aber aktuell keine Anzeichen für Baustopps", stellt Daniel Pinka, Pressesprecher der ÖBB-Holding AG, klar. Trotzdem ist man auch seitens der ÖBB mit "signifikanten Kostensteigerungen bei Rohstoffen und Baumaterialien, insbesondere Stahl", konfrontiert, wodurch in Vergabeverfahren eingegriffen werden musste. "Der verantwortungsvolle Umgang mit öffentlichen Geldern ist die oberste Prämisse, auch in unseren Vergabeprozessen", so Pinka. "In Einzelfällen war es daher erforderlich, Vergabeverfahren aufgrund hoher Marktpreise zu widerrufen oder diese zeitlich anzupassen."

Auch für die Asfinag verläuft der Start in die neue Bausaison zufriedenstellend. Zu Verzögerungen bei Bauvorhaben komme es nach eigenen Angaben noch kaum. Ebenso seien Probleme im Vergabeverfahren noch die absolute Ausnahme. "Grundsätzlich halten wir an unserem geplanten Bauprogramm fest, müssen aber natürlich den Grundregeln eines ordentlichen Kaufmannes entsprechend das Verhältnis Einnahmen zu Ausgaben im Blick haben", meint Walter Mocnik, Pressesprecher Steiermark und Kärnten der Asfinag. Baustopps sehe er aktuell auch nicht im Raum stehen, die Situation sei aber zu dynamisch, um langfristige Prognosen abgeben zu können.

Auftragsstopp im Wohnbau

Weniger entspannt ist die Lage bereits im Wohnbau. Vor allem die Gemeinnützigen sitzen in der Kostenfalle. "Ich kann jetzt nur für Oberösterreich sprechen, aber wir schreiben aktuell schon gar nicht mehr aus", beschreibt Herwig Pernsteiner, Vorstandsvorsitzender der ISG, die Lage der gemeinnützigen Bauträger Österreichs. "Wir bekommen einfach keine Angebote." Einerseits seien die Baufirmen stark ausgelastet, andererseits komme man mit dem Preis aktuell kaum hin. Durch die klaren Baukostenvorgaben der Wohnbauförderung ist dabei kein Spielraum gegeben. Laufende Projekte könne man aber dank einem guten Verhältnis zu den ausführenden Firmen und mit ein wenig Flexibilität noch abwickeln - Verzögerungen auf Grund fehlendes Materials miteinberechnet.

Dank diesem guten Verhältnis zu den Baufirmen glaubt man auch in Wien noch daran, dass die laufenden Baustellen fertiggestellt werden können. Was danach kommt, sei aber schwer zu beurteilen, da keine Baufirma aktuell zu Fixpreisen Aufträge annehmen will und kann. So vergibt man beim Österreichischen Siedlungswerk aktuell keine Aufträge und auch seitens der WBV-GPA zeigt man sich in dieser Hinsicht zurückhaltend. Durch den Auftragsstopp bei neuen Projekten wird es aber ziemlich sicher zu einem Loch in der Verfügbarkeit notwendigen Wohnraums kommen.

Diese Dynamik spiegelt sich auch bei den Ausschreibungen wieder. Wir können aufgrund der Preissteigerungen und der Ressourcenknappheit nur mit drei von 30 Projekten in den nächsten Wochen beginnen.

Thomas Maierhofer, Bereichsleitung Baumanagement Salzburg Wohnbau GmbH

Preissicherheit am Bau nicht gegeben

"Zum latenten Fachkräftemangel und der – bisher - guten Auslastung kombiniert sich nun die reduzierte Verfügbarkeit auf dem Materialsektor dazu", bekräftigt auch Thomas Maierhofer, Bereichsleitung Baumanagement der Salzburg Wohnbau GmbH. Derzeit gebe es noch keine größeren Verzögerungen auf den Baustellen, für die Zukunft rechnet er allerdings mit diesen. "Diese Dynamik spiegelt sich auch bei den Ausschreibungen wieder", so Maierhofer weiter. "Wir können aufgrund der Preissteigerungen und der Ressourcenknappheit nur mit drei von 30 Projekten in den nächsten Wochen beginnen."

Abhilfe könnte im geförderten Wohnbau vor allem die Anhebung der Baukostenvorgaben seitens der Wohnbauförderung in den einzelnen Bundesländern schaffen. Teilweise wurde diese schon umgesetzt, in vielen weiteren Bundesländern laufen die Gespräche. Für Tirol fordert Anton Rieder beispielsweise eine Anhebung um 20 Prozent - kommt diese nicht, prognostiziert er einen großen Rückgang der Bautätigkeiten im sozialen Wohnbau.

Dies fordert man auch seitens des österreichischen Verbands gemeinnütziger Bauvereinigungen. "Variable Preise können wir uns einfach nicht leisten, wir brauchen ein Maß an Preissicherheit im gemeinnützigen Wohnbau", stellt Obmann Bernd Rießland fest. "In Bereichen, in denen es besonders schlimm ist, kann man sicherlich spezielle Lösungen finden. Wichtig ist jetzt nur, dass die gesamte Branche an einem Strang zieht und versucht gemeinsam durch diese Krise zu kommen."

Bau-Landesinnungsmeister fordern Maßnahmen

Ein Ansatz wie ein Weg aus der Krise aussehen könnte, kommt aus der Landesinnungsmeisterkonferenz des Baugewerbes. Ende März einigte man sich auf drei grundsätzliche Forderungen, die „aus Sicht des österreichischen Baugewerbes unerlässlich“ seien, um die "dramatische Entwicklung" aufzuhalten. So ist es in den Augen der Landesinnungsmeister unumgänglich, dass "sowohl öffentliche als auch private Auftraggeber ab sofort neue Bauaufträge nur noch zu veränderlichen Preisen ausschreiben und als Basis für die Anpassung der Vergütung einen sachlich zutreffenden Index heranziehen".

Zusätzlich werden Vertragsanpassungen bei bestehenden Bauverträgen gefordert. Bei zu Festpreisen abgeschlossenen Bauverträgen soll die durch höhere Gewalt ausgelöste Krisensituation zu einer Vertragsanpassung auf Basis einer indexbasierten Vergütung führen. Ebenso sollen im Falle von Lieferengpässen die vereinbarten Fertigstellungstermine entsprechend angepasst werden.

Die dritte Forderung dreht sich um notwendige "Gegenmaßnahmen zum Energiepreisschock". Hier wünscht man sich eine zeitlich begrenzten Refundierung der Mineralölsteuer und eine Aussetzen der geplanten CO2-Bepreisung.